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Ein Pas de deux zu Marschmusik

Von Hermann Sileitsch

Politik

Frankreich braucht Reformen, will aber nicht den deutschen Weg gehen.


Berlin. "Ich habe volles Vertrauen zur französischen Regierung." Also sprach der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble am Donnerstag. Beide Länder würden eng zusammenarbeiten. Was das bedeutet, war wenige Tage zuvor durchgesickert: Schäuble hatte den Rat der Wirtschaftsweisen beauftragt, Vorschläge auszuarbeiten, wie Frankreichs Wirtschaft auf die Beine kommen kann. Berlins große Sorge: Die Märkte könnten sich nach Italien und Spanien auf die Grande Nation einschießen und zum nächsten Euro-Sorgenkind machen.

Deutsche Nachhilfe für Paris? Ein Affront für Europas zweitgrößte Wirtschaftsnation. Deutsche Medien wühlen tief in den Wunden: "Hartz IV für Paris" fordert "Die Zeit" in Anspielung auf die Schröder-Reformen, die den kranken Mann Deutschland zu Europas Kraftmeier werden ließen. Lohn- und Sozialkürzungen, Abbau von Arbeitnehmerrechten: Eine solche Rosskur brauche Paris, um wettbewerbsfähig zu werden, so die gängige Meinung.

An anderen Ufer des Rheins hat man zwar das Problem erkannt. Statt Sparen steht hier aber Wachsen auf Platz eins der Agenda. Deshalb haben Präsident François Hollande und Premierminister Jean-Marc Ayrault dem Konzept von Ex-EADS-Chef Louis Gallois, der Paris einen Wettbewerbsschock versetzen wollte, abgemilderte Ideen entgegengesetzt.

Sparen gut, Wachsen besser

Ayrault - ob seiner guten Sprachkenntnisse oft "Deutschlehrer" genannt - war am Donnerstag zum Antrittsbesuch in Berlin, wo er von Kanzlerin Angela Merkel mit militärischen Ehren empfangen wurde. Bei einer Veranstaltung machte er deutlich, dass deutsche Rezepte für Frankreich nicht geeignet seien: Die Ankurbelung des Wachstums und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit habe Priorität, so Ayrault in Berlin. Die Stabilisierung der Eurozone sei derzeit die "wichtigste Bedingung, damit wieder Wachstum nach Europa kommt".

Das ist in der Tat nötig: Die Währungsunion schrumpfte zwischen Juli und September um 0,1 Prozent. Es ist das zweite negative Quartal in Folge, womit der Euroraum nach einer gängigen Definition in der Rezession steckt.

Auch Deutschland kann sich kaum entkoppeln, die Kurve zeigt nach unten: Nach Zuwächsen von 0,5 und 0,3 Prozent in den ersten beiden Quartalen ging sich nur ein Plus von 0,2 Prozent aus. "Die Rezessionsgefahr für die deutsche Wirtschaft steigt", warnte Ökonom Gustav Horn. Während die Talfahrt für Spanien, Italien, Portugal und Griechenland weiterging, kam Frankreich auf ein Quartalswachstum von 0,2 Prozent - was kaum jemand erwartet hatte.

"Diese Indikatoren sind vielversprechend, aber nicht genug", sagte Ayrault. Ungeachtet des Fokus auf Wachstumsimpulse will er die Neuverschuldung wie geplant senken: "Wir dürfen nicht der nächsten Generation die Last aufbürden, indem wir uns weiter verschulden." In Brüssel wird bezweifelt, dass Paris sein angepeiltes Defizitziel von 3 Prozent 2013 erreicht.

Im Streit über den richtigen Spar- und Reformkurs bewegt sich Europa nun aber auf den Internationalen Währungsfonds (IWF) zu. Europa müsse bei den Instrumenten zur Krisenbekämpfung "flexibel" sein, sagte Schäuble. EU-Währungskommissar Olli Rehn hatte am Vortag angedeutet, die Schrauben für Spanien nicht anzuziehen, obwohl die Iberer ihre Defizitziele wohl abermals verfehlen. Brüssel sei mit den von Madrid beschlossenen Maßnahmen zufrieden.

Lagarde reist zu Eurogruppe

Wichtiger als die Zahlen sind die Reformen, hat IWF-Chefin Christine Lagarde mehrfach betont. Sie wird am Dienstag zum Eurogruppen-Treffen nach Brüssel reisen. Differenzen wird es dort weiterhin geben: Schäuble erwartet sich bis Dienstag eine "Lösung, die für Griechenland ein Stück weit hält", warnt aber vor übertriebenen Erwartungen. Das klingt nicht nach dem Schuldenschnitt der öffentlichen Geldgeber, den der IWF will.

Für die Eurozone sind aber auch die anderen Optionen teuer: Verabschiedet sich der IWF aus der Rettung, steigen die Kosten. Eine weitere Variante bringt die "Süddeutsche" ins Spiel: In Verhandlerkreisen werde über direkte Transfers nachgedacht. Im Klartext: Statt Hilfskrediten könnte es Geldgeschenke für Athen geben.