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Kroatiens umstrittene Helden kehren zurück

Von WZ-Korrespondentin Marijana Miljkovic

Politik

Beobachter fürchten ein Ende der Auseinandersetzung mit dem Krieg.


Zagreb. Damit hatten wohl auch die größten Optimisten nicht gerechnet: Das Haager Kriegsverbrechertribunal hat den kroatischen Ex-General Ante Gotovina freigesprochen. Nervös verfolgten tausende Kroaten landesweit auf Videowänden die Verlesung des Urteils, das den Freispruch für Gotovina und den mitangeklagten Ex-General Mladen Markac von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bedeutete.

Die Fassungslosigkeit ging rasch in unbändigen Jubel über, die versammelten Kriegsveteranen aus dem kroatisch-serbischen Krieg (1991 bis 1995) und Bürger fielen einander um den Hals, es wurde gesungen und geweint. "Kroatien ist unschuldig", meldeten sogleich die Medien. "Der Krieg ist endgültig vorbei", hieß es auf dem Jelacic-Platz in der Zagreber Innenstadt wiederholt.

Doch genau vor diesem Trugschluss, dass Kroatien nun das Kapitel Krieg abschließen könne, warnen Beobachter im Land. Der Philosoph Zarko Puhovski befürchtet, dass in Kroatien nun jene Situation eintreten könne, die Westeuropa fast zwei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg erfasst hatte: "Kurzfristig herrscht Euphorie, die wird dann langfristig von der Meinung abgelöst, dies sei der Schlusspunkt des Krieges, und man brauche über diese Dinge nicht mehr zu reden."

Gotovina war im August 1995 Befehlshaber der kroatischen Militäroperation "Oluja" ("Sturm"), bei der von ethnischen Serben besetztes Gebiet, die sogenannte Serbische Krajina, befreit wurde. Im Zuge der Aktion wurden mehr als 300 Menschen getötet und 90.000 vertrieben. Insgesamt waren es 2000 Tote und 200.000 Vertriebene.

Die Anklage hatte Gotovina und Markac illegalen Granatenbeschuss von vier Städten und Teilnahme an einer kriminellen Vereinigung - als deren Mastermind der kroatische Staatsgründer Franjo Tudjman ausgemacht wurde - vorgeworfen, mit dem Ziel, das Gebiet ethnisch zu säubern. Gotovina und Markac waren im April 2011 zu 24 beziehungsweise 18 Jahren Haft verurteilt worden. Die kroatische Öffentlichkeit hatte entsetzt aufgeschrien. Die Ex-Generäle gingen in Berufung.

Halbherzige Untersuchung

In ihrer Reaktion auf die Freisprüche am Freitag gaben sowohl Kroatiens Präsident Ivo Josipovic als auch Premier Zoran Milanovic offen zu, dass es auf kroatischer Seite Kriegsverbrechen gegeben habe. Diese sollten auch verfolgt werden, betonten sie. In der Praxis allerdings hat die kroatische Justiz die Kriegsverbrechen bisher nur halbherzig untersucht. Forderungen von Organisationen wie Amnesty International oder kroatischen NGOs haben bisher keine Beachtung gefunden.

Nicht verwunderlich ist daher, dass die Freisprüche in Serbien Empörung auslösten: Präsident Tomislav Nikolic übte harsche Kritik am Haager Tribunal, das "ein politisches, aber kein rechtliches Urteil" gefällt und die Serben erneut als Schuldige und Verbrecher abgestempelt habe. Dieselben Vorwürfe kamen auch vom Präsidenten der bosnischen Serben, Milorad Dodik. "Wer trägt denn nun die Schuld für die tausenden Vertriebenen und Ermordeten?", fragte Nikolic.

Bis Freitag hatten die meisten Kroaten eine ähnlich schlechte Meinung vom Haager Tribunal gehabt wie Nokolic und Dodic. Als vor eineinhalb Jahren das erstinstanzliche Urteil gegen Gotovina und Markac auf "schuldig" lautete, hatten empörte Kroaten die Institution verteufelt.

Das ist jetzt anders. Für den EU-Anwärter Kroatien ist das Kapitel Haag nun vorerst abgeschlossen. Serbien jedoch wird es schwerfallen, an die Unabhängigkeit des Tribunals zu glauben.