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"Wir sind eine Armee"

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg des Rechtsextremismus in Griechenland.


Athen. Nikos Dimitriou, Scheitel, Bauch, olivengrüner Pullover, blickt auf ein Geschäft: zugesperrt. Vor eineinhalb Jahren gab Dimitriou auf. Die Umsätze seines kleinen Computer-Geschäfts seien in der Krise drastisch eingebrochen, erzählt er. Steigende Steuern und Sonderabgaben hätten ihm schließlich das Genick gebrochen. Seither schlage er sich mit Gelegenheitsjobs durch. In Athen kommt man damit kaum über die Runden. Schon gar nicht, wenn man wie Dimitriou eine Familie mit drei Kindern hat. Sein Blick streift über die Fassade. "Enoikiazetai" ("Zu Vermieten") steht da in roter Schrift auf einem Aufkleber. Ein "Enoikiazetai"-Aufkleber ziert auch das Schaufenster eines leeren Geschäfts direkt daneben. Doch Mieter wollen sich keine finden. Schuld sind die Ausländer.

"Geht das so weiter, werden wir bald eine Minderheit sein - in unserem eigenen Land! Sie haben hier nichts zu suchen! Sie sollen alle verschwinden!", poltert Dimitriou. Sie, für Dimitriou sind das die Einwanderer. Hier, im 6. Athener Stadtbezirk, prägen Immigranten aus Afrika und Asien das Straßenbild. Die meisten leben illegal in Griechenland. Das Gros will schnellstens fort. Dorthin, wo die Krise nicht so allgegenwärtig wie derzeit in Griechenland ist. "Einen Kampf" hätten die griechischen Bewohner vor zwei, drei Jahren begonnen, sagt Dimitriou. Einen Kampf, um den Platz vor der Kirche Aghios Panteilimonas von den Fremden zu befreien, ihn "zurückzuerobern". Kräftige, junge Männer seien ihnen zur Hilfe geeilt." Sie sind gekommen, wir haben Seite an Seite gegen dieses Pack gekämpft und die Jungs sind dann wieder gegangen. Sie haben keine Stimmen von uns als Gegenleistung gefordert, kein Lob, keine Anerkennung. Nichts", erinnert sich Dimitriou. Er scheint gerührt, als er das sagt. Wer waren die Jungs? "Die Goldene Morgenröte."

Der Aghios-Panteilimonas-Platz ist längst befreit, zurückerobert. Ein paar Straßen weiter, in der Michail-Voda-Strasse liegt Griechenlands wohl berüchtigste Polizeistation. Polizei und Anwohner sollen einen unheimlichen Pakt geschmiedet haben. Das geht so: Bricht die Nacht ein, patrouillieren Anwohner in Gruppen in den Straßen um den Kirchenplatz. Erblicken sie einen einzelnen Afghanen, Pakistani oder Bangladeshi, starten sie eine Hetzjagd - und die Polizei schaut weg. Tut er das auch? Dimitriou lächelt: "Nicht selten, oft. Ich bin hier in meinem Land. Und ich kämpfe für mein Land." Würden umgekehrt Greise oder andere Hilfsbedürftige die Polizei anrufen, dann laute die Antwort lapidar: "Warum melden Sie sich bei uns? Rufen Sie doch die Goldene Morgenröte an!"

Doch nicht nur illegale Einwanderer sind für Dimitriou ein rotes Tuch. "Die Juden haben das Geld. Sie unterwerfen alle Völker. Für sie ist es kein Problem, ein Land in die Knechtschaft zu zwingen." Sichtbar trotzig fügt er hinzu: "Die Judenfreunde oder Juden müssen aber wissen: Uns Griechen werden sie nicht besiegen, solange Blut in unseren Adern fließt". Zum Abschied gibt Dimitriou noch einen Tipp: "Geh zur Parteizentrale! Heute ist Infoabend."

Der kleine Raum in der Athener Parteizentrale der Goldenen Morgenröte ist brechend voll. Ein Redner ergreift das Wort. Er spricht über den Krieg, geostrategische Fragen und die Rolle Griechenlands in der Welt. Dann übergibt er einem "Mitkämpfer" das Wort. Nach ein paar Minuten hört auch dieser auf, ohne dass eine Diskussion oder Fragen folgen. Lieber spenden die Besucher tosenden Applaus. Pavlos Ktistakis, ein schlanker Mann mit Dreitagebart, ist seit mehr als zwanzig Jahren in der Goldenen Morgenröte. Heute ist Ktistakis leitender Parteifunktionär in Athen. Nicht jeder könne Mitglied werden, sagt Ktistakis. Im Gegenteil: "Wir haben ein strenges Auswahlverfahren. Wir schauen uns den Kandidaten genau an. Da könnte doch jeder kommen, der im Kopf nicht richtig tickt." Was ist die Goldene Morgenröte? "Eine Armee." Seine Augen funkeln, als er das sagt.

Bilder von Hitler und Hess

Die Chrysi Avgi ("Goldene Morgenröte") wurde im Dezember 1980 gegründet. Bis zum Ausbruch der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise fristete sie nur ein Aschenputteldasein. Bei den Parlamentswahlen im Oktober 2009 votierten landesweit lediglich 19.624 Griechen (und damit 0,29% der Wähler) für die Goldene Morgenröte. Bei den Kommunalwahlen im November 2010, als die Krise Griechenland bereits in seinen Grundfesten erschütterte, schaffte die Partei mit dem antiken Mäander als Parteisymbol den Einzug in das Athener Stadtparlament, bei den Parlamentswahlen kamen sie bereits auf sieben Prozent, im Juni gaben ihr 426.025 Griechen ihre Stimme. Jüngsten Umfragen zufolge hat sich der Zuspruch für die Goldene Morgenröte seither beinahe verdoppelt.

Schon vor dem Wahltriumph im Frühjahr hatten die Auftritte von Parteichef Nikos Michaloliakos hohe Wellen geschlagen. Als Michaloliakos, der die Goldene Morgenröte seit ihrer Gründung ununterbrochen anführt, sorgte bei einer Athener Stadtratsitzung mit dem Hitlergruß für einen Eklat. Der Aufschrei in Hellas war groß. "Das ist ein Gruß aus der Antike", entgegnet Michaloliakos stets darauf - und grüßt unbeirrt auf die gleiche Art weiter.

Zwar legen die Mitglieder der Goldenen Morgenröte Wert darauf, sich selber als Nationalisten, nicht als Nationalsozialisten, zu bezeichnen. Auch in den Ausführungen zur Identität und ihren programmatischen Positionen auf der offiziellen Partei-Homepage sucht man einschlägige Wörter wie Nationalsozialismus vergeblich. Dennoch: "Kurz vor den diesjährigen Wahlen war urplötzlich die vorige Webseite der Partei gelöscht. Sie war eine wahre Fundgrube für Nazi-Nostalgiker. Ob Hitler oder Hess: Sogar seltene Bilder von den deutschen Nazi-Grössen konnte man dort finden", sagt der Journalist Nikos Chasapopoulos von der Athener Tageszeitung "To Vima". Seit Jahren recherchiert Chasapopoulos zur Goldenen Morgenröte. Gerade schreibt er an einem Buch über den Rechtsextremismus in Griechenland. Auch sein Kollege Dimitris Psarras hegt keine Zweifel an der Gesinnung der Goldenen Morgenröte. "Das ist zu 100 Prozent eine Nazi-Partei", sagte Psarras unlängst im Interview mit der "Wiener Zeitung". Im Oktober erschien das Psarras-Buch "Das Schwarzbuch der Goldenen Morgenröte".

Unterdessen ist die Goldene Morgenröte darauf bedacht, unentwegt für Aufsehen zu sorgen. Partei-Vordenker Christos Pappas warnte kürzlich im Parlament mit erhobenem Zeigefinger davor, dass auf die Sparbefürworter im Abgeordnetenhaus bald Volkstribunale warten würden. Im Fadenkreuz haben Michaloliakos, Pappas und Co. aber auch die bekennenden Spargegner in Reihen der Opposition. Das Motto ihrer Strategie: "Enantion olon" ("Wir sind gegen alle").

Hatz auf Einwanderer

Die Hatz auf Einwanderer darf da nicht fehlen - der Medienrummel ist diesmal erwünscht. Anfang September gingen die Parlamentsabgeordneten Barbarousis, Germenis und Iliopoulos in Begleitung von Schlägertruppen in einer offensichtlich konzertierten Aktion auf zwei Wochenmärkten, die vier Autostunden voneinander entfernt lagen, zeitgleich gegen afrikanische und asiatische Verkäufer vor. Sie verlangten vor laufender Kamera nicht nur deren Papiere. Hatten die dunkelhäutigen Verkäufer keine oder ungültige Dokumente vorzuweisen, demolierten Barbarousis und Co. kurzerhand deren Stände. Ihre Botschaft: Präsenz auf der Straße zeigen, gegen Illegale vorgehen, die Unfähigkeit der Behörden bloßstellen.

Doch die Goldene Morgenröte handelt auch karitativ - aber strengstens nur für Griechen. Nach eigenen Angaben verwendet sie die Gelder aus der staatlichen Parteienfinanzierung, um regelmäßig Lebensmittel an die notleidende Bevölkerung zu verteilen. Das einprägsame Motto: "Die Gelder des Volkes kehren zum Volk zurück! Solidarität mit den Griechen!"

Doch damit nicht genug. Die Goldene Morgenröte hat eine Blutbank eingerichtet - wieder nur für Griechen. Der Slogan hier: "Spende Blut - rette eine griechische Seele!" Obendrein fungiert sie als Arbeitsagentur ("Wir unterstützen alle Griechen, die der Staat in die Verelendung getrieben hat"). Ihre neueste Idee: Weil immer mehr Griechen wegen der grassierenden Arbeitslosigkeit keine Krankenversicherung mehr haben, bietet die Goldene Morgenröte künftig kostenlos eine ärztliche Versorgung an. Einzige Voraussetzung: Grieche sein. Mit unverhohlenem Verweis auf die internationale Nichtregierungsorganisation Ärzte ohne Grenzen, hierzulande vor allem eine Anlaufstelle für illegale Einwanderer aus Afrika und Asien, heißt ihre Aktion "Ärzte mit Grenzen".

Derweil zerbrechen sich die Athener Koalitionäre die Köpfe, wie dem rapiden Aufstieg der Goldenen Morgenröte Einhalt geboten werden kann. Während der konservative Regierungschef Antonis Samaras auf eine Null-Toleranz-Politik gegen illegale Einwanderer setzt, riefen die mitregierenden Pasok-Sozialisten unter Ex-Finanzminister Evangelos Venizelos zu Wochenbeginn zum Kampf gegen den sich ausbreitenden Rechtsextremismus in Griechenland auf. Ein zweieinhalbminütiger Fernsehspot schloss mit dem Appell: "Wir alle können Opfer werden. Wir sagen NEIN zum Neonazismus, den Nostalgikern der Junta, den Anhängern der Gewalt."

Feststeht: Ein Parteiverbotsverfahren gegen die Goldene Morgenröte wird es bis auf Weiteres nicht geben. Der Grund: Das sieht die aktuelle griechische Verfassung nicht vor. Sie wurde nach den Erfahrungen aus der Obristendiktatur in Griechenland geschrieben. Parteienverbote galten als undemokratisch. Ob die bedrohlich zunehmende Dynamik der Goldenen Morgenröte im krisengeplagten Hellas zu stoppen ist, bleibt abzuwarten. Vassiliki Georgiadou, Politik-Professorin an der Athener Panteion-Universität, warnte schon vor Jahren vor der Gefahr.

In diesen Tagen klagt sie öffentlich darüber, dass sie vor der Krise auf der Suche nach Finanzierungsquellen für eine wissenschaftliche Studie über den Rechtsextremismus in Griechenland bei staatlichen Stellen konsequent auf taube Ohren stieß.
"Diejenigen, die sich jetzt große Sorgen machen, zeigten damals ein völliges Desinteresse". Und nun? "Jetzt ist Griechenland bankrott."