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Lose Front gegen Jobbik

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Regierender Fidesz-Partei fällt es schwer, sich von Jobbik zu distanzieren.


Budapest. T-Shirts mit Aufdrucken der rechtsradikalen Parlamentspartei Jobbik liegen auf, daneben steht Rotwein zum Verkauf. Die Etiketten auf den Flaschen zieren Porträts von Hitler und seinem ungarischen Verbündeten, dem Faschistenführer Ferenc Szálási (1897-1946). In diesem Dekor empfängt Jobbik an diesem Abend ihre Anhänger zur "Bürgerversammlung". Stargast im stuckverzierten Ballsaal des Bürgerzentrums im alten Budapester Arbeiterviertel Ujpest ist Janos Volner, der Jobbik-Vizepräsident. Mit warmer Baritonstimme und gekonnten Pausen tischt Volner dem Publikum auf, was es hören will: Dass Ungarn vom internationalen Großkapital ausgebeutet werde, dass die "Zigeuner" zu viele Kinder bekämen. Die klassischen rechtsradikalen Parolen. Auch ein neues Reizthema kommt an die Reihe: Der Eklat um den Jobbik-Abgeordneten Marton Gyöngyössi. Dieser hatte im Parlament verlangt, dass Volksvertreter dazu verpflichtet würden, ihre eventuelle jüdische Volkszugehörigkeit offenzulegen, weil dies angesichts des Gaza-Konflikts ein "Sicherheitsrisiko" darstelle. Niemand rief den Mann zur Ordnung, zumal man rassistische Sprüche seitens Jobbik im Parlament gewohnt ist.

Nur weil zufällig TV-Kameras Gyöngyössis Äußerung aufnahmen, kam es zu einem Sturm der Empörung. Erst entrüsteten sich die Medien, nachher die Oppositionsparteien und einen Tag später die rechtsnationale Fidesz-Regierung von Premier Viktor Orban, die Jobbiks Propaganda bis dahin toleriert hatte.

Die Jobbik-Führung rund um Parteichef Gabor Vona ruderte halbherzig zurück: Gyöngyössi habe nicht die jüdische Rasse, sondern die israelische Staatsbürgerschaft gemeint. Volner hingegen sieht an diesem Abend in der Empörung über Gyöngyössi nur eine "Koalition" von Linksopposition und Regierung gegen Jobbik. Das Publikum dankt mit einem Chor von "Pfui"-Rufen, die der Regierung gelten. Zum Schluss der Rede kommt Volners Zuckerl: Triumphierend schildert er, wie es jüngst gelungen ist, die Polizei zu übertölpeln, um ungestört neue Mitglieder der paramilitärischen Ungarischen Garde zu vereidigen. Die von Jobbik 2007 gegründete Garde, die mit ihrer Uniform an die faschistischen Pfeilkreuzler Szálásis erinnert und mit martialischen Aufmärschen in Roma-Siedlungen für Angst und Schrecken sorgt, ist zwar 2009 per Gericht verboten worden. Sie lebt aber unter dem Namen "Neue Ungarische Garde" weiter. Und sie wird lebendig bleiben, verspricht Volner - und bekommt stürmischen Beifall.

Israelische Flagge verbrannt

Wer gebietet Ungarns Rechtsradikalen Einhalt? Haben sie eine schlagkräftige Koalition von moderaten Konservativen, Liberalen und Linken zu fürchten? Fast sah es so aus, als Anfang Dezember zehntausende Ungarn dem Aufruf von sonst gegnerischen Politikern zu einer Demonstration gegen Gyöngyössi folgten. Auf dem Podium der Antirassisten stand neben dem Sozialisten-Chef Attila Mesterhazy und dem Führer der Anti-Orban-Bewegung "Együtt 2014", Gordon Bajnai, auch der Fidesz-Fraktionsvorsitzende Antal Rogan.

Allein diesen Konsens feierten selbst Ungarns regierungskritische Medien als großen Fortschritt. Das Außenministerium distanzierte sich, als vor kurzem ein früherer Jobbik-Abgeordneter in Budapest eine israelische Flagge verbrannte - bei einer Demo, zu der die rechtsradikale Gruppe "Wächter der Karpaten-Heimat" aufgerufen hatte.

Ist aber dem neuen antifaschistischen Kurs des Fidesz zu trauen? Immerhin werden in ganz Ungarn Straßen nach dem Hitler-Verbündeten Miklos Horthy benannt, mit Zustimmung von Fidesz-Lokalpolitikern. Rechtsradikale Autoren wurden in den Lehrplan der Schüler eingeführt. Orban selbst hielt erst in diesem Herbst eine Blut-und-Boden-Rede zu Ehren des mythischen Vogels Turul, eines Kultobjekts der Rechtsradikalen. Zum Fall Gyöngyössi nahm Orban persönlich erst eine Woche später Stellung - und auch dies nur auf Anfrage eines jüdischstämmmigen sozialistischen Abgeordneten. "Ich möchte klarstellen (...), dass wir Ungarn unsere jüdischen Mitbürger verteidigen", sagte Orban. Einer rätselhaften Logik folgend prangerte Orban allerdings gleich im übernächsten Satz vermeintliche Gefahren aus dem Ausland an.

Unter den Massen antifaschistischer Demonstranten am Kossuthplatz steht auch Erika, eine Pädagogin Anfang 50. Sie ist voller Hoffnung, dass nunmehr eine richtige Bewegung gegen die braune Gefahr begonnen habe. In einem Verbot der Jobbik sieht sie keine Lösung, denn "der Rechtsradikalismus beschränkt sich nicht auf Jobbik". Wohl wahr. Nicht nur Jobbik, sondern auch viele kleinere rechtsextreme Cliquen, gröhlende Fußballfans und das Publikum rechtsradikaler Rockgruppen kultivieren den Rassismus in Ungarn - und dazu so manche linken Dorfpolitiker, die sich mit dem sozialen Roma-Problem allein gelassen fühlen.

Gegner haben Mut gefasst

Lange Zeit gab es zudem keinen Konsens unter Ungarns Demokraten über das Ausmaß der braunen Gefahr - und auch keine Strategie dagegen. Ausgerechnet der Fraktionschef der jungen, grün-liberalen Oppositionspartei LMP, Andras Schiffer, sagte vor Monaten vor Auslandskorrespondenten in Budapest, Jobbik sei "keine faschistische Partei". Es schien, als seien für Schiffer die Sozialisten verabscheuungswürdiger als Jobbik. Nach heftigem internem Tauziehen rang sich die LMP aber dazu durch, Jobbik im Parlament zusammen mit der linken Opposition durch einen Boykott an den Pranger zu stellen. Die sehr heterogene LMP ringt weiter mit der Entscheidung, ob der Kurs eher nach links oder nach rechts gehen soll.

Trotz der Wackelpolitik von Orbans Fidesz und der Verunsicherung der Opposition bläst Ungarns Rechtsradikalen doch etwas Wind ins Gesicht. Viele Menschen haben offenbar Mut gefasst. Die Demonstrantin Erika, die wir als frühere Wohnungsnachbarin kennen, hatte kurz nach dem Parlamentseinzug von Jobbik 2010 im Treppenhaus flüsternd erzählt, sie arbeite für eine israelische Stiftung. "Das darf man in Ungarn heutzutage nicht laut sagen", meinte sie damals. Jetzt sagt sie: "Ich will keine Angst mehr haben."