
Kalifornien verfügt über eine blühende High-Tech-Industrie.
Menasse: Die einen haben Industrie, die anderen Tourismus, es muss nicht jeder alles haben. Oberösterreich hat Schwerindustrie, Salzburg nicht. Na und? Und zur Frage, ob große oder kleine Einheiten besser sind: Es geht nicht um entweder/oder, beide Elemente müssen integriert werden. Wir müssen einen Kontinent schaffen, wo Rechtsstaatlichkeit und vernünftige Rahmenbedingungen für alle gelten; das ist das Große. Die Rahmenbedingungen. Und innerhalb dieses Rahmens bringen kleine Verwaltungseinheiten, nach dem Prinzip der Subsidiarität, das demokratische Leben zur Entfaltung.
Liessmann: Wenn die Entwicklung so wäre, ist ja alles wunderbar, die Frage ist nur, ob das europäische Bewusstsein der Eliten schon so weit ist. Bleiben wir bei Griechenland: In der symbolischen Sprache der Bürokraten und Politiker werden die Griechen wie kleine Kinder behandelt, denen eine Aufseherin, die Troika, Sparaufgaben stellt und deren Einhaltung kontrolliert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein solches Verhältnis, wo ökonomische Gouvernanten eine Regierung oder eine Region abkanzeln und geradezu demütigen, ein europäisches Wir-Gefühl schafft.
Menasse: Die gegenwärtigen politischen Eliten sind eine "lost generation", weil sie nicht die Erfahrungen ihrer Vorgänger mit den Folgen von Krieg, Zerstörung und Nationalismus gemacht haben; gleichzeitig haben sie noch kein europäisches Bewusstsein entwickelt, weil ihre Karrieren ausschließlich im Rahmen ihrer nationalen Strukturen verlaufen sind, es ging ja bisher auch gar nicht anders.
Liessmann: Das stimmt so nicht, Mario Monti etwa ist Berater von Goldman Sachs und Coca Cola, und er ist längst keine Ausnahme.
Menasse: Ja, es beginnt sich aufzuweichen, Monti war aber nicht nur Banker, er war vor allem EU-Kommissar. Noch wichtiger aber ist: In sechs Jahren wird wahrscheinlich kein einziger der jetzt amtierenden Regierungschefs in Europa noch im Amt sein. Um 2018 wird eine stille Revolution in Europa stattfinden, etwas, das es in der Geschichte noch nie gegeben hat: den kompletten politischen Eliten-Austausch auf einem ganzen Kontinent. Man kann hoffen, dass die nächste Politikergeneration aufgrund ihrer Sozialisation, Erfahrungen und Prägungen viel europäischer denken wird. Wir müssen nur die nächsten sechs Jahre übertauchen.
Außer, die Misere im Süden verfestigt sich und vergiftet dauerhaft das Klima zwischen reichem Norden und dem gedemütigten Süden.
Menasse: Wir müssen verhindern, dass lauter falsch beratene und im Übrigen dumme Politiker im Norden lauter kleine Kinder aus den Ländern des Südens machen. Die Krise bleibt ein Prozess voller Widersprüche, bei dem niemand weiß, wie er am Ende ausgehen wird, aber eines ist gewiss: Ein Rückfall in ein Europa der souveränen Nationalstaaten wird diesen Kontinent in rauchende Trümmer verwandeln. Und weil ich nicht der Feind meines eigenen Wohlbefindens bin, wehre ich mich mit aller Kraft gegen eine solche Entwicklung.
Liessmann: Ein solches Szenario halte nicht für real, Europas Integration ist viel zu weit fortgeschritten, ein völliger Zerfall doch eher ausgeschlossen. Und es gibt ja den Konsens, die Krise gemeinsam zu bewältigen, nur über das Wie wird eben noch diskutiert.
Menasse:Die Debatte um den EU-Finanzrahmen zeigt aber, welche Rolle engstirnige nationale Interessen spielen: Umgelegt auf jeden Bürger bedeutet der Vorschlag der Kommission (rund eine Billion Euro; Anm.) den Beitrag von 79 Cent pro Tag für jeden arbeitenden EU-Bürger auf die nächsten sieben Jahre. Nach monatelangen Streitereien der nationalen Finanzminister zum angeblichen Wohle der nationalen Steuerzahler wird wahrscheinlich herauskommen, dass jeder EU-Bürger statt 79 nur 77 Cent zahlen muss. Wie grenzenlos muss die Dummheit nationaler Politiker sein, dass sie wegen lächerlicher 2 Cent pro Tag so viele nationalistische Ressentiments aufköcheln? Ich würde mich als Politiker schämen, wenn ich nur dann gewählt werde, wenn ich vorher die Wähler zu Idioten gemacht habe. Das ist in der historischen Perspektive auch ein Vernunftgrund der EU: dass sie dieses System aushebelt.