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Zwischen gestern und morgen

Von Martina Pock

Politik

Pernar will "ausländische Okkupation" seiner Heimat beenden.


Zagreb. Kroatien wird 2013 der Europäischen Union beitreten. Lange stellte die massive Korruption im Land die größte Hürde bei den Verhandlungen mit Brüssel dar, mittlerweile hat Kroatien auch dieses Problem gelöst - offiziell. Denn die Korruption scheint nur oberflächlich behoben zu sein. Zudem scheint Pressefreiheit mehr Etikette als Realität zu sein. Arbeitslosenrate und Unzufriedenheit der Bevölkerung steigen immer weiter an. Im Frühjahr 2011 haben tausende Menschen im ganzen Land gegen die Regierung protestiert, geändert hat sich seither jedoch wenig.

Der Ban-Jelacic-Platz liegt im Zentrum von Zagreb. Über ihn verkehren die wichtigsten Straßenbahnlinien, es gibt Märkte und daher auch Touristen. In der Mitte des Platzes thront die Reiterstatue seines Namensgebers Joseph Jelacic von Buzim, ein Kommandeur des Maria-Theresien-Ordens. An einem Ende des Platzes liegt die sogenannte "Spica", eine Aneinanderreihung von schicken Cafés. Hier sitzt man um zu sehen und, um gesehen zu werden, wie man in Zagreb zu erzählen weiß. Doch was am ehemaligen "Platz der Revolution" besonders auffällt, sind die in ihrer Anzahl doch beträchtlichen österreichischen Bankhäuser. Hypo Alpe Adria, Erste Bank, Raiffeisen Bank, ihre Namensschilder dominieren den Platz.

"Kroatien ist okkupiert", sagt Ivan Pernar. Der junge Kroate gerät schnell in Rage "Wir haben eine kroatische Nationalbank, aber wenn in unserem Land jemand einen Kredit aufnehmen will, muss unsere eigene Bank erst Geld von der EU ausleihen und wechselt die Euros in Kuna. Was macht das für einen Sinn?" Ivan Pernar ist 26 Jahre alt und Krankenpfleger. Auf eine lange Vorstellung und Smalltalk legt er wenig Wert. Sein Gesicht ist in Zagreb mittlerweile bekannt. Wenn er in einem Café sitzt oder am Hauptplatz steht und lauthals über Politik und Religion spricht und dabei gestikuliert, drehen sich Menschen nach ihm um. Doch das scheint von dem groß gewachsenen Mann mehr als gewollt zu sein, denn Ivan Pernar hat viel zu sagen. Immer wieder wiederholt er seine Standpunkte. "Nicht einmal unser Geld wird mehr im eigenen Land gedruckt, sondern in Österreich!" Pernar bittet um einen Schein, er selbst habe kein Geld dabei, und tatsächlich, in kleinen Lettern am Rande des Geldscheins ist "oebs austria" zu lesen. Auf die Frage, warum das so sei, hat er keine Antwort, zumindest keine logische. Schnellen Schrittes geht es weiter auf den St. Markus Platz hinauf. Hier ist der Sitz der kroatischen Regierung, von hier aus startete vor eineinhalb Jahren eine landesweite Protestbewegung. Oben angekommen, beginnt Pernar zu erzählen. Seine Geschichte wirkt aus seinem Mund wie das erste Kapitel einer Autobiographie eines Revolutions-Führers und auswendig gelernt.

15 Mal verhaftet

Im Februar 2011 hat Pernar einen Aufruf auf Facebook gestartet. Er sei nicht zufrieden gewesen mit der Situation in seinem Land und forderte darin die amtierende Regierung unter Jadranka Kosor auf zurückzutreten. Er teilte mit, er würde jetzt auf den Markusplatz gehen, um vor dem Regierungsgebäude zu demonstrieren. Zwei Facebook-Freunde haben ihn damals begleitet, aus zwei wurden im Laufe der darauffolgenden Monate einige tausend. Nicht nur in Zagreb, auch in Split, Dubrovnik, Dakovo und vielen anderen Städten gingen die Menschen auf die Straßen. Die konservative Regierung unter der Führung der HDZ (Hrvatska demokratska zajednica) wurde bei den letzten Wahlen durch die Sozialisten abgelöst, doch zufrieden macht das Pernar noch lange nicht: "HDZ oder Sozis, das ist alles das Gleiche, beide belügen die Menschen."

Pernar nähert sich dem Regierungsgebäude, die beiden Wachmänner am Eingang werden etwas nervös. Einer von ihnen spricht in sein Funkgerät und verschwindet in das Innere des Gebäudes, der andere wartet, sein Maschinengewehr fest in Händen. "Ich wurde bereits fünfzehn Mal verhaftet", erzählt Pernar und überkreuzt dabei symbolisch seine Hände und lächelt. Ein Hauch von Stolz ist seinem Gesicht abzulesen. Heute ist der Vater eines sieben Jahre alten Sohnes arbeitslos. Kein Krankenhaus in der Stadt würde ihn mehr anstellen, seitdem er zur Galionsfigur der sogenannten "Facebook-Proteste" geworden ist. Seine Zeit widmet Pernar seither fast ausschließlich seiner Partei, der "Savez za promenje" ("Bündnis für Veränderung), die er im April 2011 gegründet hat. Die Partei hat etwa 500 Mitglieder, eine Homepage, jedoch kein Büro. Dafür reicht das Geld nicht. Was die Partei wirklich will, ist weniger klar als das, was sie nicht will, nämlich den Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union. "Die EU und Merkel wollen uns Vorschriften machen wie damals, als Hitler in unser Land marschiert ist. Merkel ist wie Hitler!" Diese Aussage ist die Ouvertüre einer Aneinanderreihung von populistischen Phrasen, die von Großvätern und Vätern erzählen, die in den letzten Kriegen für die Freiheit ihres Landes gekämpft haben, genauso wie er und seine Partei jetzt.

Frauen machen sich in der SP bisher sehr rar. "Die jungen Frauen in Kroatien kümmern sich in erster Linie um ihr Aussehen und haben mit Politik nichts am Hut", meint Daniela. Sie ist die einzige Frau an der Spitze der Partei. Die 32-Jährige, die ihre neun Jahre alte Tochter gemeinsam mit ihrem Ex-Freund in einer Art WG aufzieht, ist seit einiger Zeit arbeitslos. Auch der Vater ihrer Tochter hat keine Arbeit. Die Raten für den Kredit, den sie vor ein paar Jahren für ihre Wohnung bei der Raiffeisen Bank in Zagreb aufgenommen haben, können sie schon lange nicht mehr bezahlen. Die Aussichten auf einen guten Job sind für die Veterinär-Technologin, wie für viele andere, sehr schlecht. Die kroatische Wirtschaft ist schwach, die Jugendarbeitslosenrate liegt bei 30 Prozent, die dritthöchste im EU-Schnitt. Eine Vollzeit-Kellnerin verdient in Kroatien zwischen 300 und 500 Euro im Monat, das ist zu wenig, um davon leben zu können. Die Bevölkerungszahl schrumpft jährlich. In den letzten vier Jahren haben etwa 20.000 Menschen das Land verlassen, die meisten emigrierten nach Kanada und Australien. Daniela wird in erster Linie von ihren Eltern finanziert. Ihre Großeltern besitzen ein kleines Stück Land in Ostslawonien, vielleicht zieht sie einmal dort hin und baut dort selbst an, was sie zum Leben braucht, meint sie und zieht an ihrer selbst gedrehten Zigarette. Zur Zeit des Kommunismus war es üblich, dass eine Familie am Land oft vier weitere in der Stadt miternährt hat.

"It sells you heaven"

Ivan Pernar kann dem Kommunismus nur wenig abgewinnen: "Ich mag den Kommunismus nicht, denn er ist eine Ideologie ohne Gott und Gott ist für mich in meinem Leben sehr wichtig." 90 Prozent aller Kroaten sind katholisch. Die Kirchen in Zagreb haben den ganzen Tag über großen Zulauf. Selbst der etwa zwei Quadratmeter große, als Kapelle angedachte Raum am Glavni Kolodvor, dem Hauptbahnhof, zählt in einer halben Stunde geschätzte 40 Gläubige. Ohne die Kirche geht in Kroatien gar nichts, und das ist schon lange so, erklärt Munir Podumljak. Der 42-jährige Aktivist ist Präsident des "Partnership for Social Development" und arbeitet seit Jahren an Projekten zur Aufklärung und Eindämmung der Korruption in Kroatien. Die katholische Kirche hatte, wie er sagt, schon immer ihren festen Platz in Kroatien, auch im Kommunismus. "All die Kirchen hier wurden nicht erst nach 1991 gebaut."

Mit der Transition begann ein Kampf gegen den Kommunismus, der die katholische Kirche wiederum erstarken ließ. Besonders Franjo Tudjman, 1990 bis 1999 Staatspräsident von Kroatien, war sich der großen Bedeutung der katholischen Kirche bewusst. Bereits bei den Vorbereitungen zu den ersten freien Wahlen 1990 erhielt Tudjman und die von ihm gegründete HDZ große Unterstützung durch die katholische Kirche. Doch warum konnte ein Politiker wie Tudjman, der zum Teil utopische Ziele, wie die Etablierung von 200 Elite-Familien verfolgte, so populär werden? Für Munir Podumljka lässt sich dieser Umstand leicht erklären: "Mit Tudjman verhielt es sich wie mit der Kirche. Beiden waren so populär, weil sie den Menschen den Himmel versprechen und niemand kann beweisen, dass das nicht stimmt." Bei Tudjman war es weniger der Himmel, denn das große Geld. Sein Konzept, basierend auf "200 reichen Familien", die die Wirtschaft kontrollieren sollten, wirft bis heute seine Schatten. "Die Konsequenzen dieses System tragen wir heute. Die großen Tycoons kamen in den 90ern zu ihrem Geld, und genau deswegen gibt es heute kein neues Geld mehr in Kroatien", erklärt Podumljak. "Die Tycoons haben nach wie vor das Land unter ihrer Kontrolle, nicht die EU. Die EU sieht die schön renovierten Gebäude und schicken Menschen in der Innenstadt. Aber das ist alles nur Make-up. Die Korruption ist nach wie vor ein Problem."

Etikett "Pressefreiheit"

Die kroatischen Medien schweigen über all das, weil auch sie in Besitz der Großen sind, wie der gebürtige Bosnier erzählt. Wer darüber berichtet, wird gefeuert. Laut einer Studie der "Reporter ohne Grenzen" lag Kroatien 2010 in puncto Pressefreiheit an 63. Stelle von 178 Ländern. 2011 hat der Verband der Kroatischen Journalisten ein sogenanntes "White Book", eine Chronik aller Übergriffe auf kroatische Journalisten von 1991 bis 2011, veröffentlicht. Darin ist von Journalisten zu lesen, die gefeuert, geschlagen, schwer verletzt oder sogar getötet wurden, weil sie über Kriegsverbrechen oder die vorherrschende Korruption und die zum Teil mafiosen Verhältnisse im Land berichtet haben.