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Abtritt eines Widerspenstigen

Von Klaus Huhold

Politik

23 Jahre lang prägte der neoliberale EU-Gegner Klaus das Land.


Prag/Wien. "Und wer sind eigentlich Sie?" Berüchtigt ist dieser Satz von Vaclav Klaus, mit dem er missliebige Gesprächspartner gerne in die Defensive drängt, seien es Journalisten oder andere Politiker. Gleichzeitig drücken diese Worte auch das Selbstbewusstsein aus, an dem es dem tschechischen Präsidenten wahrlich nicht mangelt.

Der 71-Jährige hat allerdings auch eine beachtliche politische Karriere hingelegt. Der frühere Erstligabasketballer und zu kommunistischen Zeiten eher unbekannte Ökonom, der beim Prognostischen Institut der Akademie der Wissenschaften arbeitete, prägte sein Land 23 Jahre lang in höchsten Positionen - als Finanzminister, Premier, Parlamentsvorsitzender und schließlich als Präsident. Nun steht sein Abgang als Staatsoberhaupt bevor - gestern, Freitag, begann in Tschechien die zweitägige Präsidentenwahl und in etwa zwei Monaten muss Klaus abtreten.

"Melde mich freiwillig, um den Euro zu liquidieren"

Es ist der Abschied eines Widerspenstigen, eines Polemikers, der zu allem eine Meinung hat, der sich für kein Wortgefecht zu schade ist, der sein Land und teilweise auch Europa polarisierte. "Wenn es nötig sein sollte, den Euro zu liquidieren, melde ich mich freiwillig", verkündet er bei einem Vortrag vor polnischen Studenten. Die Brüsseler Bürokraten rauben in seinen Augen den Tschechen, ähnlich wie früher im Ostblock, ihre nationale Souveränität. Und mögen auch noch so viele Wissenschaftler vor dem Klimawandel warnen, für Klaus ist das nur Propaganda. "Indem er immer wieder gegen den Strom schwimmt, macht sich Klaus öffentlich sichtbar und rückt sich so in den Mittelpunkt der Diskussionen", sagt der Politologe Jiri Pehe.

Der Wissenschafter ist kein Fan von Klaus. Auf seiner Homepage hat der frühere Berater von Ex-Staatsoberhaupt Vaclav Havel einen Ticker installiert, der die verbleibenden Tage von Klausens Präsidentschaft herunterzählt. Am Freitag waren es noch 55. Kaum jemand hat sich so intensiv mit dem Phänomen Klaus befasst wie Pehe, der im Jahr 2010 ein Buch über den streitbaren Politiker veröffentlicht hat. Doch wie so viele Kritiker von Klaus spricht auch Pehe dem Präsidenten ein enormes politisches Talent zu. "Er ist ein Schachspieler, der seinen Gegnern oft um zwei, drei Züge voraus ist." Deswegen hielt sich Klaus in den höchsten Ämtern - trotz Wahlniederlagen oder eines Parteispendenskandals in den 1990er Jahren.

Doch Verdienste will Pehe dem Langzeitpolitiker nur in dessen Anfangszeit auf der politischen Bühne zusprechen, als er dem Transformationsprozess nach dem Sturz der Kommunisten 1989 pragmatische Impulse gab. "Sein technokratischer Zugang zur Politik war bei der Trennung der Tschechoslowakei schließlich doch ein Segen", sagt Pehe. Dadurch habe Klaus wesentlich dazu beigetragen, dass sich die Spaltung des Landes Anfang der 1990er Jahre friedlich vollzog.

Klaus war damals Premier und stand der von ihm aus der Taufe gehobenen Bürgerdemokraten (ODS) vor, die noch heute Tschechien regieren. Und auch wenn Klaus mittlerweile aus der ODS ausgetreten ist, trägt die Partei noch seine Handschrift - gesellschaftspolitisch konservativ, in wirtschaftlichen Fragen liberal. Der Anhänger von Margaret Thatcher und des Ökonomen Friedrich Hajek glaubte an die segnende Kraft des Marktes, sei es für den Wohlstand, sei es für die Demokratie. "Jeder Dollar in der Tasche eines Bürgers ist für den Totalitarismus gefährlicher als eine Zeitschrift von Dissidenten", ist ein bekannter Ausspruch von Klaus.

Wilde Privatisierung wirkt bis heute nach

Mit diesem ideologischen Rüstzeug war Klaus als Finanzminister und Premier in den 1990er Jahren der Architekt einer wilden Privatisierungswelle, als zwielichtige Gestalten mit den richtigen Verbindungen über Nacht reich wurden. Er habe damit eine politische Kultur geschaffen, die das Land bis heute präge und ihm schade, kritisiert Pehe.

Und diese kapitalistische Wildwest-Ära der 1990er Jahre ist auch der Grund dafür, warum die zu Weihnachten 2012 ausgesprochene Amnestie des nunmehrigen Präsidenten Vaclav Klaus für so viel Wirbel in Tschechien gesorgt hat. Denn Klaus hat mit seiner großzügigen Begnadigung nicht nur tausende Kriminelle aus den Gefängnissen freigesetzt, sondern auch anhängige Verfahren für beendet erklärt, die schon länger als acht Jahre dauern. Davon profitieren dubiose Geschäftsleute, die wegen Wirtschaftsverbrechen angeklagt wurden, da diese komplexen Prozesse oft viel Zeit in Anspruch nehmen. Es scheint, als wolle Klaus einen Schlussstrich unter sein aus dem Ruder gelaufenes Reformexperiment in den 1990er Jahren ziehen - für viele Tschechen, die sich an die Gesetze hielten und halten, ein Schlag ins Gesicht.

Die Amnestie war einer der Schlusspunkte einer kontroversen Präsidentschaft, von der wohl auch in Erinnerung bleiben wird, dass Klaus bei einem Staatsbesuch in Chile grinsend einen Kuli in seiner Jackentasche verschwinden ließ und dabei zu seinem Pech gefilmt wurde.

Bei seinem Amtsantritt 2003 hatte Klaus noch angekündigt, dass er ein "aktiver" und kein "aktivistischer" Präsident sein wolle. Davon war aber wenig zu merken. So weit es ging, dehnte er die Verfassung aus, trieb zuletzt die Regierung, die nur über eine schwache Mehrheit verfügt, vor sich her, legte ständig Vetos gegen Gesetzesvorhaben von Premier Petr Necas ein.

In der Auffassung über das Präsidentenamt war Klaus seinem Vorgänger Vaclav Havel gar nicht so unähnlich, so sehr der mittlerweile verstorbene Schriftsteller Havel in den 1990er Jahren auch ein Gegenspieler des Pragmatikers Klaus war. Beide wollten korrigieren oder zumindest öffentlich beklagen, was ihrer Meinung nach falsch lief, und führten dabei das repräsentative Amt oft mitten in die Parteipolitik. Und damit könnten sie auch das tschechische Präsidentenamt für die Zukunft geprägt haben.

Es wurde immer einsamer um den Präsidenten

Doch während der frühere Dissident Havel mit großem Respekt verabschiedet wurde und bis heute als moralische Instanz in Tschechien gilt, ist es um Klaus immer einsamer geworden. Seine Polemiken gegen die EU sorgen bei vielen tschechischen Kommentatoren für Kopfschütteln, ja fast schon für Beschämung. "Aus einem konservativen Liberalen ist ein nationalistischer Konservativer geworden", sagt Pehe. Die Skepsis von Klaus gegenüber der EU habe sich immer mehr zu einer Gegnerschaft entwickelt.

Es ist das Paradox von Klaus, dass er sich als der Bewahrer der tschechischen Souveränität gegenüber Brüssel sieht, ihm dabei aber offenbar nicht allzu viele Tschechen folgen mögen. Die europakritische Partei seines Freundes Petr Mach, der Klaus bei den letzten Parlamentswahlen 2009 offen Sympathien entgegenbrachte, scheiterte mit unter einem Prozent Zustimmung kläglich. Spekuliert wird nun, dass Klaus in Zukunft selbst eine europakritische Partei anführt. Ob diese dann aber viel Zustimmung erhält, ist fraglich. Oder Klaus zieht im Hintergrund die Fäden. Noch immer soll sein Einfluss auf den europaskeptischen Flügel in der ODS groß sein. Jedenfalls wird er auch mit 71 Jahren nicht leisetreten, sei es, dass er eine Denkfabrik anführt, worüber es in Tschechien ebenfalls Gerüchte gibt, sei es, dass er als Redner durch die Welt tourt. Sein Hauptthema wird aller Wahrscheinlichkeit die von ihm so verteufelte EU bleiben. Mag es auch ein Kampf gegen Brüsseler Windmühlen sein, Vaclav Klaus wird ihn aufnehmen - selbstbewusst, polemisch und widerspenstig.