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Privat oder Staat - wer kann's?

Von Martyna Czarnowska und Hermann Sileitsch

Politik
Die Wasserversorgung privatisieren? Die Kommission dementiert, erntet aber Misstrauen.
© ClassicStock/Corbis

Kritiker warnen vor hohen Kosten für Bahnkunden und Ausverkauf des Wassers.


Brüssel. Eine Zugfahrt ohne Hindernisse zwischen dem Schwarzen Meer und dem Atlantik: Geht es nach der EU-Kommission, soll das in den kommenden zehn Jahren Realität werden. Ein gesamteuropäisches Eisenbahnnetz müsse geschaffen werden, das effizient sei und Wettbewerb ermögliche, heißt es aus der Brüsseler Behörde. Doch die Pläne, die Verkehrskommissar Siim Kallas am Mittwoch präsentieren möchte, sorgten schon im Vorfeld für einen Sturm der Entrüstung. Denn die Vorschläge etwa zur völligen Trennung von Netz und Betrieb gefallen etlichen Bahnkonzernen gar nicht.

Dabei will die Kommission laut eigenen Aussagen den Eisenbahnverkehr lediglich den Anforderungen eines offenen Marktes anpassen. Für diesen seien nämlich weder die unterschiedlichen Stromsysteme oder Spurweiten noch die Vielzahl von Vorschriften adäquat, die in jedem Land differieren. Schon dreimal hat Brüssel daher Gesetzesvorschläge erarbeitet, um diese Mängel zu beheben. Die Initiativen sollten etwa allen Eisenbahnen den Zugang zum europäischen Güterverkehrsnetz ermöglichen oder die Trennung des Personen- und Güterverkehrs in den Staatsbahnen forcieren.

Das jetzige vierte Eisenbahnpaket soll unter anderem dazu dienen, die Europäische Eisenbahnagentur als Koordinationsstelle zu stärken, die Staaten zur Öffnung der Verkehrsmärkte zu zwingen sowie die Verkehrs- und Infrastrukturfirmen voneinander zu trennen.

Staatsbahnen wehren sich gegen "Mehrbelastung"

Vor allem gegen den letzten Punkt stemmen sich große Staatsbahnen wie die DB (Deutsche Bahn) und die französische SNCF. Zwar seien auch sie für möglichst viel Wettbewerb und eine starke Regulierung der Bahnen, erklärte DB-Vorstandsvorsitzender Rüdiger Grube. Die Organisationsform solle jedoch dem jeweiligen Land überlassen bleiben.

Gemeinsam mit zwölf anderen Kollegen, die weitere Betriebe repräsentieren - wie die ÖBB in Österreich, die italienische FS oder die ungarische MAV -, appellierte Grube in einem Brief an die EU-Kommission, die Trennung nicht zu forcieren. Diese würde den Wettbewerb nicht unbedingt stärken, aber zu Verteuerungen führen, die im Endeffekt die Steuerzahler oder Fahrgäste bezahlen müssten.

Bei den ÖBB heißt es, dass die geplanten Änderungen das Bahnfahren erschweren und zu hohen Mehrkosten führen würden. "Wir gehen von jährlich rund sechs Milliarden Euro Mehrbelastung in Europa aus", sagt Konzernsprecherin Sonja Horner. Die Bahn sei ein komplexes System, wo es sehr hohen Koordinationsaufwand gebe. Die Trennung von Infrastruktur und Betrieb würde es noch komplizierter machen.

Auch der Verband der öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs weist auf mögliche Gefahren des Eisenbahnpakets hin. Demnach würden Gewinne künftig individualisiert, Risiken aber sozialisiert. So müssten künftig Kommunen Verkehrskonzepte erstellen und danach die Ausschreibungen ausrichten. Zusätzlich sollten sie über Kosten, Erlöse oder Nachfrage informieren. Und wenn es dabei zu Fehleinschätzungen komme, drohen Klagen - was wiederum Kosten für die Allgemeinheit verursache.

Brüssel will Marktöffnung - und beschwichtigt

Die Liberalisierungs-Debatte trifft einen empfindlichen Nerv: Seit Tagen wird über die EU-Konzessionsrichtlinie gestritten. Besonders in Österreich und Deutschland gehen die Wogen hoch: Kommunen, die wichtige Versorgungsleistungen für die Bevölkerung erbringen, müssten diese künftig ausschreiben und an Private vergeben, wird befürchtet. "Brüssel will uns das Wasser wegnehmen" schreibt der Boulevard.

Worum geht es? Die Kommission drängt darauf, den EU-Binnenmarkt weiter zu liberalisieren: Unternehmen sollen Produkte und Dienstleistungen europaweit anbieten können. Beim Warenhandel ist das Alltag, Dienstleistungen hinken auch nach 20 Jahren hinterher. Die EU will nun, dass öffentliche Aufträge und Konzessionen nach einheitlichen Regeln vergeben werden, damit sich Unternehmen EU-weit beteiligen können. Das soll die Richtlinie gewährleisten, welcher der zuständige Ausschuss des EU-Parlaments am 24. Jänner zugestimmt hat. Das Parlamentsplenum ist im März an der Reihe.

Kritiker laufen dagegen Sturm: Die Richtlinie übe Druck auf die Kommunen aus, sensible Bereiche der Daseinsvorsorge wie die Wasserversorgung zu privatisieren. Das wird zwar im Gesetzesentwurf nicht verlangt, aber auch nicht ausgeschlossen. Einige Passagen legen solche Schlussfolgerungen tatsächlich nahe.

So sei das Ziel bei der "Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie Postdiensten eine wirkliche Marktöffnung". Die Richtlinie sollte "für eine Reihe von Dienstleistungen gelten (wie zum Beispiel Catering- und Wasserversorgungsdienste), die Potenzial für den grenzübergreifenden Handel aufweisen".

"Befürchten Liberalisierung durch die Hintertür"

Die Kommission beruhigt: Die nationalen Gesetzgeber und öffentlichen Auftraggeber hätten weiterhin "breiten Ermessensspielraum" bei der Konzessionsvergabe. Es gehe nur um die Festlegung allgemeiner Kriterien, wodurch der Intransparenz, Günstlingswirtschaft und Korruption bei öffentlichen Vergaben ein Riegel vorgeschoben werden soll.

Dass die Privatisierung der Wasserversorgung forciert werde, sei eine Falschinformation, sagt EU-Kommissar Michel Barnier: "Der Richtlinienvorschlag beeinträchtigt in keiner Weise die Autonomie der Gebietskörperschaften bei der Organisation der Wasserversorgung. Er enthält keine Verpflichtung zur Vergabe dieser Leistungen am Markt." Der Gesetzesvorschlag finde gar keine Anwendung, wenn eine Kommune Dienstleistungen selbst erbringt, diese inhouse - also an rechtlich selbstständige Dritte, die vom öffentlichen Auftraggeber kontrolliert werden - oder an verbundene Unternehmen vergibt.

Kritiker glauben der Kommission kein Wort. Sie sehen in der Ausschreibungspflicht bei Konzessionen einen weiteren Schritt in die Richtung, dass künftig alle Tätigkeiten des öffentlichen Lebens an private Firmen vergeben werden müssen. Die Szenarien reichen von mächtigen Großkonzernen, die mit der Wasserversorgung Geld scheffeln über verfallende Leitungen und Wassermangel bis hin zu einer Preisexplosion, die Wasser zum Luxusgut werden lässt. In Wien darf die Bevölkerung Anfang März sogar abstimmen, ob kommunale Dienstleistungen generell vor Privatisierung geschützt werden sollen.

Auch österreichische Interessensvertretungen in Brüssel machen gegen die Konzessionsrichtlinie mobil. Länder und Gemeinden, Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund gaben ihre Stellungnahmen ab und versuchten, EU-Abgeordnete von ihren Argumenten zu überzeugen. Einer der Hauptkritikpunkte war, dass die neuen Vorgaben keineswegs - wie von der Kommission behauptet - mehr Rechtssicherheit schaffen. Diese "wird durch teils widersprüchliche Regelungen vielmehr verringert", erklärt Michaela Kauer, die Leiterin des Verbindungsbüros der Stadt Wien zur EU. Die bisherigen Gesetze seien ausreichend gewesen - das belege die geringe Zahl von Streitfällen. Im Bereich der Konzessionen habe es seit 2000 gerade einmal 26 Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes gegeben.

"Wir befürchten eine Liberalisierung durch die Hintertür", sagt Kauer. Gewachsene Strukturen wie in Österreich ließen sich aber nicht in eine bestimmte Form pressen. Daher forderten die Verbände und Vertretungen Ausnahmen sowohl für die Wasserver- und -entsorgung als auch für personenbezogene Dienstleistungen, etwa im Pflegebereich.

Daseinsvorsorge
Es gibt eine Reihe von Gütern und Leistungen, die als wesentlich für die menschliche Grundversorgung gelten - ihre Bereitschaft wird von vielen als staatliche Aufgabe gesehen und verwaltungsrechtlich mit dem Terminus "Daseinsvorsorge" bezeichnet. Meist sind damit Aufgaben wie der Verkehr und das Transportwesen, die Wasser- und Energieversorgung (Strom, Gas, Wärme), die Müll- und Abwasserbeseitigung, aber auch Gesundheitseinrichtungen (Spitäler, Bäder) oder Friedhöfe bis hin zu Bildungs- und Kultureinrichtungen gemeint. Viele dieser Aufgaben erledigen kommunalwirtschaftliche Betriebe. Wie umfassend oder eng der Aufgabenbereich der Öffentlichen Hand definiert wird, ist aber auch eine hochideologische und politische Frage. Wer der Meinung ist, dass nur der Staat Aufgaben, die dem Gemeinwohl dienen, zuverlässig erledigt, plädiert für eine umfassende Definition der Daseinsvorsorge. Manche wirtschaftsliberale Ökonomen halten den Begriff hingegen für obsolet - sie sind der Meinung, dass all diese Aufgaben ebenso gut private Anbieter erledigen können.