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Gegenwind für Großruck

Von Gerhard Lechner

Politik

ÖVP-Politiker soll Diktatur in Baku als Wahlbeobachter zu milde beurteilt haben.


Baku/Wien. Wolfgang Großruck ist vielgereist. Der ÖVP-Nationalratsabgeordnete und Ex-Bürgermeister von Grieskirchen war an vielen Orten für die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, als Wahlbeobachter tätig - unter anderem in Albanien, Kasachstan oder den USA. Auch diese Woche beobachtete Großruck wieder einen Urnengang - die Präsidentenwahl in Armenien. Zurück aus Eriwan, erreichte den 65-Jährigen die Kunde, dass aus Aserbaidschan ein Brief bei der OSZE eingegangen ist, der seine Person zum Inhalt hat.

In dem Schreiben beschweren sich 45 Unterzeichner aus dem Umkreis der aserbaidschanischen Opposition über den ÖVP-Abgeordneten. Sie stoßen sich daran, dass Großruck für fünf Monate den Vorsitz der Parlamentarischen Versammlung der OSZE übernehmen soll. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Oppositionskräfte aus Baku werfen dem Politiker aus Österreich Parteinahme für das Regime von Präsident Ilham Alijew vor. "Leichtsinnig und rücksichtslos" habe Großruck gehandelt, heißt es in dem Brief, er habe die Mängel und Defizite bei der letzten aserbaidschanischen Parlamentswahl im November 2010 weißgewaschen. "Diese Anschuldigungen zwei Jahre danach sind für mich nicht relevant", erklärte Großruck auf Nachfrage der "Wiener Zeitung". Er habe damals auch die Opposition besucht.

Großruck hatte 2010 gemeinsam mit dem Belgier Paul Wille die OSZE-Wahlbeobachtermission in Baku geleitet. Die Wahlen endeten mit der praktischen Abschaffung jeglicher Opposition im Parlament in Baku - nur ein profilierter Regimegegner schaffte es in die 125-köpfige Volksvertretung. Alijews Regierungspartei "Neues Aserbaidschan" baute die Mehrheit aus, die im Parlament vertretenen Oppositionskräfte gelten als handverlesen - "eine praktische Opposition für den Hausgebrauch", sagte Anar Mammadli, der Vorsitzende des Zentrums für Wahlbeobachtung und Demokratiestudien in Baku, das den Brief an die OSZE abgeschickt hat, telefonisch zur "Wiener Zeitung".

Schaumgebremste Kritik

Die OSZE hatte den Urnengang im November 2010 recht schaumgebremst kritisiert und nur davon gesprochen, dass keine "lebendige politische Debatte" möglich gewesen sei. Großruck hatte 2010 in Baku darauf hingewiesen, dass Aserbaidschan daran gearbeitet habe, die internationalen Standards zu erfüllen. Es sei niemals leicht, ein Land gerecht zu beurteilen, das "in schwieriger Umgebung" seine demokratischen Institutionen entwickle.

Dabei zweifeln viele, dass es eine Entwicklung zur Demokratie in Aserbaidschan gibt. Das Land gilt als Diktatur, Beobachter sprechen beim herrschenden Alijew-Clan von Nepotismus, ja von einer "Tribokratie", einer Herrschaft der Stämme. Errichtet hat dieses System bereits der Vater des jetzigen Präsidenten, Heydar Alijew. Der war im Sowjetsystem Leonid Breschnews groß geworden, schaffte es vom aserbaidschanischen Parteichef bis ins Politbüro nach Moskau, ehe er 1987 auf Geheiß Michail Gorbatschows seinen Platz räumen musste. Alijew war berüchtigt dafür, seinen Clan zu bevorzugen, etwa bei der Wohnungsvergabe: Die besten Wohnungen sollen enge Verwandte bekommen haben, dann Cousins und weitere Clanmitglieder.

Seinen Sohn bezeichnete Alijew vor seinem Tod als "würdigen Nachfolger" - worauf der 2003 mit mehr als 80 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt wurde.

Sprudelnde Öleinnahmen und die günstige Lage des Landes zwischen Europa und Zentralasien machen Aserbaidschan zum begehrten und umworbenen Partner - auch und besonders im Westen: Für die geplante Gaspipeline Nabucco, die Europas Gasversorgung von Russland unabhängiger machen soll, ist die Mitwirkung des aserischen Regimes von Baku unentbehrlich. Angesichts dieser geopolitischen Realitäten bleiben die fragwürdigen Vorgänge in Baku - etwa der Umstand, dass große Teile der Opposition im Gefängnis sitzen - von Europa meist unkommentiert. Während beispielsweise dem von Alexander Lukaschenko regierten Weißrussland bis heute wegen der fragwürdigen Menschenrechtslage die Mitgliedschaft im Europarat verwehrt bleibt, wurde Ilham Alijew 2003 sogar zum Vizepräsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarats gewählt.