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"Wir können nicht mehr länger warten"

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Handelskommissar De Gucht legt den Mitgliedstaaten Brüssels Mandat für die Gespräche mit Washington vor.


Brüssel/Straßburg. Es ist nur ein logistischer Zufall. Doch den Abgeordneten kann es nur gefallen, dass EU-Handelskommissar Karel De Gucht die Pläne der Brüsseler Behörde am Dienstag ausgerechnet in Straßburg präsentiert, wo gerade das Europäische Parlament zu seiner Plenarsitzung zusammengekommen ist. Es geht dabei um die Verhandlungen über ein Handelsabkommen zwischen der EU und den USA, die schon bald starten sollen. Das Mandat dafür stimmt die Kommission bei einem ihrer wöchentlichen Treffen ab - das diesmal in Straßburg stattfindet.

Dieser Gesprächsbasis müssen die Mitgliedstaaten noch zustimmen, damit die Verhandlungen tatsächlich beginnen können. Dies könnte noch vor dem Sommer geschehen. Das EU-Parlament kann zwar erst zum Schluss für oder gegen den Vertrag votieren, doch sei eine frühere Einbindung der Volksvertretung ratsam, heißt es in Brüssel. Allzu frisch ist nämlich noch die Erinnerung daran, wie die Abgeordneten verhinderten, dass das internationale Anti-Piraterie-Abkommen "Acta" in Kraft tritt.

So wird De Gucht nicht müde, für den nun geplanten Vertrag zu werben, der die EU und die USA zur größten Freihandelszone der Welt machen würde. Und genau dort ortet er auch ein großes Potenzial der Europäer, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. "Nur dank des Handels waren wir 2011 und 2012 nicht in einer tiefen Rezession", sagt der Belgier im Gespräch mit mehreren EU-Korrespondenten.

Furcht vor Genmanipulation

Das nun angestrebte Abkommen würde einen weiteren ökonomischen Schub bedeuten. Nach Schätzungen der Brüsseler Behörde könnte der Vertrag bis 2027 die Wirtschaft der EU jährlich um 0,5 Prozent wachsen lassen. Das entspräche Zusatzeinnahmen in der Höhe von 86 Milliarden Euro pro Jahr.

Dass die Gespräche bei einigen Staaten und ihren Bürgern auch Unbehagen auslösen, ist De Gucht bewusst. Schon wurden Sorgen geschürt, die Europäer müssten in Chlor getauchte US-Hühnchen importieren oder genmanipulierten Produkten uneingeschränkten Zugang zu ihren Märkten gewähren. Das Agrarland Frankreich sperrte sich überhaupt lange Zeit gegen zu viele Lebensmittelimporte aus den USA.

Der Handelskommissar hingegen plädiert für eine "Ent-Dramatisierung der Angelegenheit". Zu den Chlorhühnern meint er: "Ich glaube, wir sind manchmal zu philosophisch. Warum lösen wir das Problem nicht einfach durch Etikettierung? Lassen wir doch den Konsumenten entscheiden, ob er ein bestimmtes Produkt kauft oder nicht."

Ebenso wenig hat De Gucht Angst vor einer Überschwemmung des europäischen Marktes mit genmanipulierten Waren. Stattdessen verweist er auf die gültige Gesetzgebung. Die erlaubt den Import bereits unter bestimmten Bedingungen - und überlässt etliche Regelungen den Mitgliedstaaten selbst. "Für die Zulassung gibt es strenge Regeln, und die werden sich durch ein Freihandelsabkommen nicht ändern", stellt der Politiker klar. "Niemand öffnet eine Tür ohne den passenden Schlüssel."

Doch das sind nicht die einzigen Hürden auf dem Weg zu einem Vertrag. So könnten die unterschiedlichen Auffassungen zum Datenschutz ebenso eine Rolle spielen. Schon jetzt werben US-Lobbyisten in Brüssel intensiv dafür, eine geplante EU-Gesetzgebung zu strengerem Datenschutz zu entschärfen. De Gucht bestätigt, dass es dazu Gespräche zwischen den Partnern gibt. Ob die Vereinbarungen aber im Rahmen der Verhandlungen über das Abkommen oder parallel dazu geführt werden, sei noch offen.

Multilateraler Weg zu Ende?

Bis all dies geregelt ist, wird jedenfalls noch einige Zeit vergehen. Die Kommission rechnet mit mindestens zwei Jahren. Ob De Gucht das Ende der Verhandlungen noch als Handelskommissar erleben wird, ist freilich nicht sicher. Die jetzige Amtsperiode der Behörde läuft Ende des kommenden Jahres aus. Das scheint den Politiker aber ebenso wenig zu bekümmern wie die Befürchtungen, die einer seiner Vorgänger geäußert hatte. Der Abschluss von bilateralen Abkommen würde multilaterale Verträge der Welthandelsorganisation (WTO) unnötig machen und berge die Gefahr, internationale Partner zu verschrecken, hieß es noch vor ein paar Jahren. Im Gegensatz dazu sieht De Gucht den multilateralen Weg auch jetzt nicht als überholt an. Die Europäer seien zu Gesprächen darüber durchaus bereit. "Aber wir können nicht länger darauf warten, die beiden größten Wirtschaftsräume der Welt in einer Zone zu vereinen."

Dass das andere Handelspartner wie beispielsweise China verärgern könnte, schließt der Kommissar nicht aus. "Das ist aber nicht mein Problem", erklärt er: "Ich bin für Europa verantwortlich."