Zum Hauptinhalt springen

"Hinterhältige Mistkerle"

Von Veronika Eschbacher und Konstanze Walther

Politik

Mittelmeerinsel ist bisher der Russen liebste Steueroase.


Nikosia/Moskau. Nur das Schwarze Meer und die Türkei trennen Russland von der kleinen Insel im Mittelmeer. Zypern ist also für russische Oligarchen das, was die Kanalinseln für Franzosen und Briten darstellen, Madeira für die Portugiesen oder Gibraltar für die Spanier. Nämlich eine winzige Volkswirtschaft mit günstigem Steuersystem, dessen Finanzsektor in keiner Proportion zur sonstigen Wirtschaftsleistung steht. Zypern ist für die Russen schlicht das nächstgelegene Offshore-Paradies.

Bei ausländischen Direktinvestitionen seitens "Personen mit russischem Wohnsitz" führt Zypern das Feld mit weitem Vorsprung an: Auf der Insel wurde in den ersten drei Quartalen 2012 von Russen das Äquivalent von 16,11 Milliarden US-Dollar investiert. Platz zwei für russische Investments nimmt die Türkei ein: Mit 3,7 Milliarden Dollar ist es aber nur ein Viertel von dem, was nach Zypern geflossen ist (siehe Grafik).

Das betrifft nun nur die ausländischen Investitionen. Manche Oligarchen sollen "ganze Dörfer" auf der Insel besitzen. Mehr als 30.000 Russen leben unter den 860.000 Zyprioten.

Bisher nur Schätzungen

Darüber, wie viel Geld auf den Konten zypriotischer Banken aus russischen Gefilden stammt, herrscht bis jetzt nur Rätselraten. 2010 schätzten zypriotische Minister das Volumen der russischen Konten "auf jedenfalls mehr als 10 Milliarden Euro".

Die russische Ausgabe des Wirtschaftsmagazins "Forbes" veranschlagte auf ihrer Webseite die russischen Guthaben in Zypern noch deutlich höher. Die Guthaben von natürlichen Personen aus Russland in Zypern schätzte Forbes auf bis zu 35 Milliarden Dollar. "Die Russen haben an einem Tag bis zu 3,5 Milliarden Euro verloren", titelte die Webseite nach dem Bekanntwerden der Pläne aus Brüssel zu einer Zwangsabgabe aller Kontoinhaber von vermutlich um die zehn Prozent (6,75 Prozent von Einlagen bis 100.000 Euro, 9,9 Prozent bei Einlagen darüber waren ursprünglich angedacht). Durch diese einmalige Sonderabgabe soll die Rettung von Zyperns Banken mitfinanziert werden.

Kaum verwunderlich, wenn sich angesichts dieser Pläne unter den Russen nun eine gewisse Unruhe breitmacht. Um nicht zu sagen Panik. "Viele meiner Bekannten sind schon nach Zypern geflogen", so ein russischer Oligarch, der anonym bleiben wollte, zur "Wiener Zeitung". Sie würden versuchen, ihr Geld von den Banken abzuziehen - Montag war jedoch ein Feiertag in Zypern, die Banken geschlossen. "Bis jetzt ist das jedoch vollkommen aussichtslos." Es empört ihn, dass die Gelder ohne Zugriffsmöglichkeit einfach weggesperrt wurden. Diejenigen, die sich das ausgedacht hätten, seien "hinterhältige Mistkerle", murmelt er noch, bevor er auflegt.

"Zyperns Neo-Marxismus"

Andere Oligarchen wie etwa der russische Oppositionspolitiker Alexander Lebedew machten ihre Kritik öffentlich und hinterfragten den Sinn der Aktion. "Zypern hat die Fundamente der globalen Offshore-Wirtschaft erschüttert. Der Slogan der EU ist: Lasst uns die weltweite Korruption mit zypriotischem Neo-Marxismus schlagen!", so Lebedew über den Kurznachrichtendienst Twitter. Damit spielte er auch darauf an, dass umstritten ist, ob das russische Kapital auf Zypern legalen Ursprungs ist. Lebedew schätzt, dass nur 10 bis 15 Prozent der Gelder auf Zypern Schwarzgelder seien, denn für sie sei es ein "Transitland". Gut die Hälfte des potenziell abgebuchten Vermögens würde eine Handvoll Schwerreicher - nämlich zehn bis zwanzig Personen, die auf der entsprechenden Forbes-Liste firmieren - betreffen. Russische Investoren könnten so durch die Sonderabgabe unfreiwillig einen wesentlichen Teil der Bankenrettung finanzieren. Die politische Führung, die schon länger darum kämpft, russische Gelder aus Offshore-Gebieten durch verschiedene Anreize nach Russland zurückzuholen, zeigt zumindest offiziell keine große Freude. Der russische Präsident Wladimir Putin warnte eindringlich vor der geplanten Sonderabgabe. In der vorgeschlagenen Form sei sie "unfair, unprofessionell und gefährlich", so ein Sprecher Putins.

Wie wichtig die russischen Einlagen auf Zypern für die russische Wirtschaft und vor allem für den russischen Bankensektor sind, zeigt auch, dass die Meldung zur Sonderabgabe russische Bank-Aktien am Montag gleich in den Keller schickte. Die Papiere der beiden größten Finanzinstitute Sberbank und VTB sackten jeweils um fünf Prozent ab und notierten infolge auf dem niedrigsten Stand seit zwei Monaten.

Moskau-Besuch verschoben

Die Sonderabgabe belastet das russisch-zypriotische Verhältnis aber auch bei der Einigung in einer weiteren offenen Frage. Denn: Neben den EU-Hilfen setzt die Insel auch auf Russland, um ihre Geldnot zu lindern. Zyperns Finanzminister Michalis Sarris hätte am Montag nach Moskau reisen sollen, um über eine Finanzhilfe Russlands weiter zu verhandeln. Moskau hatte der Insel 2011 einen Kredit von über 2,5 Milliarden Euro gewährt, Gespräche über einen Aufschub von Zinszahlungen oder neue Konditionen ziehen sich bereits über Monate.

Russischen Regierungskreisen zufolge hat Moskau aber noch keine Entscheidung über die Verlängerung des Kredits getroffen. Auch sei noch offen, ob sich russische Investoren an der Rekapitalisierung der Banken beteiligen sollten. Sarris wird am Mittwoch in Moskau erwartet. Der russische Finanzminister Anton Siluanow ließ mit der Forderung einer Gegenleistung aufhorchen: Er würde gern mit Zypern über die Offenlegung von Informationen über russische Niederlassungen auf der Insel verhandeln.

Auch wenn die Aufregung aktuell groß ist, könnte die Sonderabgabe Moskau aber in die Hand spielen. Russland versucht seit langem, den Kapitalabfluss zu stoppen und Schwarzgelder unter Kontrolle zu bekommen. Aus Sicherheits- und Renditeüberlegungen - die russische Bankenkrise 1998 ist nicht vergessen - haben viele Russen ihr Geld im Ausland geparkt und nutzen Steueroasen, um ihre Eigentumswerte zu verschleiern. Putin kreierte den Neologismus "De-Offshorisierung" für eine Kampagne, im Zuge derer russisches Kapital und Firmen von Barbados oder den Virgin Islands wieder nach Russland rückübersiedelt werden sollten. Somit kommt die Erschütterung einer Steueroase Moskau durchaus auch gelegen.