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Zeichen gegen Nazi-Parolen

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Jüdischer Weltkongress trifft sich in Budapest, Premierminister Orban verbietet antijüdische Aufmärsche.


Budapest.  Es geschah am letzten Sonntag in der Nähe des Budapester Ferenc-Puskas-Fußballstadions. Die berüchtigten rassistischen Fans des Clubs Ferencváros hatten während eines Spiels immer wieder "Sieg Heil!" gebrüllt. Mit im Publikum saß der antirassistische Aktivist Ferenc Orosz. Er rief die Umstehenden auf, die Nazi-Parolen zu unterlassen. Nachher wurde Orosz auf der Straße krankenhausreif geschlagen. Die noch nicht ermittelten Täter riefen "Jetzt erst recht Sieg Heil", während sie ihm das Nasenbein brachen. Orosz ist Vorsitzender der Budapester Raoul-Wallenberg-Gesellschaft. Der berühmte schwedische Diplomat Wallenberg hatte während der Nazi-Zeit etwa 30.000 Budapester Juden vor der Ermordung gerettet.

Dieser Vorfall ist nur eine von vielen Formen des Antisemitismus in Ungarn, gegen den der Jüdische Weltkongress (WJC), der am Sonntag seine Vollversammlung in Budapest beginnt, ein Zeichen setzen will. Seit 2010 sitzt mit Jobbik eine antisemitische Partei in Ungarns Parlament. Die rechtsnationale Regierung von Viktor Orbán geht nicht konsequent gegen offenen Rassismus vor. Zwar hat Orbán im Vorfeld der WJC-Versammlung antijüdische Demonstrationen verboten – darunter einen geplanten "antizionistischen Marsch", zu dem Jobbik aufgerufen hatte.

Ob die WJC-Versammlung ungestört ablaufen würde, war am Freitagabend dennoch unklar. Jobbik erstritt nämlich im letzten Moment doch noch eine Erlaubnis vor Gericht. Orbán bezeichnete den Aufmarsch als "inakzeptabel" und rief die Polizei auf, ihn zu verhindern. Jobbik forderte indes Orbán auf, Gerichtsurteile zu respektieren, "egal, ob ihm diese gefallen oder nicht".
Vor Wochen schon hatte Orbán ein Defilée der berüchtigten Gruppe "Goj Motorosok" untersagt. Der Nazi-Motorradfahrerverein wollte an der Großen Synagoge vorbeiziehen, unter dem Motto "Gib Gas!" Auch war es Orbán, der in seiner ersten Amtszeit (1998-2002) einen Holocaust-Gedenktag einführte.

Zugleich darf aber Orbáns enger Freund, der Publizist Zsolt Bayer, ungestraft rassistische Tiraden gegen Juden und Roma veröffentlichen. Mit Billigung und zum Teil auf Betreiben der Regierung blüht ein Kult um die Zwischenkriegszeit, als unter Hitlers Verbündetem, dem "Reichsverweser" Miklós Horthy, in Ungarn die ersten antisemitischen Gesetze erlassen wurden, als im Auftrag deutscher Nazis mit ungarischer Mithilfe massenhaft Juden nach Auschwitz deportiert wurden.

Rechtsradikale im Lehrplan

Rechtsradikale Autoren werden in den Lehrplan für Schüler aufgenommen, Antisemiten bekommen in der Kulturszene mehr Macht. Etwa 400.000 ungarische Juden wurden während der Nazizeit in Konzentrationslager verschleppt. Heute zählt Ungarns Jüdische Gemeinde rund 100.000 Mitglieder – es ist die drittgrößte in der EU.

Bei den Budapester WJC-Debatten droht offener Streit. Der Premier soll beim Eröffnungsdinner eine Ansprache halten. Im Vorfeld verschärften sich die Fronten. WJC-Präsident Ronald S. Lauder kritisierte Orbán ohne Wenn und Aber: "Wir können bisher nicht erkennen, dass die Maßnahmen der Regierung mit der Dimension des Problems (des Antisemitismus) Schritt gehalten, geschweige denn etwas verändert haben", sagte er dem Berliner "Tagesspiegel". Orbán wiederum griff Lauder persönlich an. Die Kritik des WJC-Präsidenten liege an "wirtschaftlichen Gründen", sagte er der israelischen Zeitung Jediot Ahronot. Eine Lauder gehörende Firma prozessiere gegen den ungarischen Staat wegen eines gescheiterten Bauprojekts. "Wenn man persönlich betroffen ist, kann man natürlich nicht objektiv sein", stichelte Orbán. Erwartet wird zum Kongress auch der deutsche Außenminister Guido Westerwelle.

Der Staat Israel hat sich bisher um Deeskalation in Ungarns Antisemitismusfrage bemüht. Deutlich wurde dies im Sommer, als sich der ungarische Parlamentspräsident Laszló Köver eine rassistische Entgleisung leistete. Köver hatte an einer Trauerfeier für den antisemitischen Literaten und Politiker Jozsef Nyirö teilgenommen. Israel verbat sich daraufhin Kövérs Besuch im Heiligen Land - und lud stattdessen den Staatspräsidenten János Áder ein. Áder hatte vorher für Ungarns ehemaligen Oberrabbiner Jozsef Schweitzer Partei ergriffen, nachdem dieser auf der Straße von Antisemiten beschimpft worden war. Demonstrativ stattete Áder damals Schweitzer einen Besuch ab