Zum Hauptinhalt springen

"Geld erreichte die Armen nicht"

Von WZ-Korrespondent Frank Stier

Politik

Österreichs Botschafter in Sofia, Gerhard Reiweger, im Gespräch.


Sofia. Am 12. Mai finden in Bulgarien vorgezogene Parlamentswahlen statt. Auslöser waren Proteste und Demonstrationen, die - erst gegen hohe Stromkosten und ausländische Energiekonzerne, dann gegen das Politumfeld - ab Anfang Februar fast täglich in der Hauptstadt und in Provinzstädten wie Varna stattfanden und zum Sturz der Regierung von Ministerpräsident Bojko Borissow führten. Keine Partei dürfte am Sonntag eine klare Mehrheit erringen - generell wird mit schwierigen Koalitionsverhandlungen gerechnet.

"Wiener Zeitung": Als Botschafter in Bulgarien haben Sie drei Jahre "Normalität" und die jetzige "Ausnahmesituation" erlebt. War der Lauf der Dinge unvermeidlich oder hat er Sie überrascht?Gerhard Reiweger: Wie immer kommen politische Krisen, auch wenn man sie zu erwarten hat, letztlich doch überraschend. Die Protestbewegung des Jahres 2013 begann nur einen Tag nach dem traditionellen Wiener Ball in Sofia. An diesem Abend war sich keiner und keine der Anwesenden - einschließlich der Bürgermeisterin von Sofia - bewusst, was sich auf den Straßen zusammenbraute. Was politische Beobachter sich allerdings schon lange gefragt hatten, war, wie lange die soziale Situation von der Bevölkerung akzeptiert werden würde. Die Regierung Borissow erzielte durch die verstärkte Nutzung von EU-Fonds zwar wirtschaftliche Erfolge, wodurch auch Geld ins Land kam. Aber das erreichte aufgrund der restriktiven Budgetpolitik und des Aufschubs wichtiger Reformen im Sozial- und Gesundheitswesen die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten nicht in ausreichendem Maße.

Bulgarien behauptet, die technischen Kriterien für den Schengen-Raum längst zu erfüllen. Länder wie die Niederlande halten das Land aber für nicht reif. Spielt die jetzige Instabilität eine Rolle? Wie steht Österreich zum Schengen-Beitritt Bulgariens und Rumäniens?

Bulgarien hat bei seinem EU-Beitritt auch die rechtlichen Regelungen für den Schengener Raum übernommen. In diesen ist vorgesehen, dass die Grenzkontrollen zu den anderen Schengener Staaten erst dann wegfallen, wenn diese in einem einstimmigen Beschluss bestätigen, dass Bulgarien alle dafür erforderlichen Voraussetzungen tatsächlich erfüllt.

Zwar wurde bereits 2011 festgestellt, dass die technischen Kriterien erfüllt sind, doch sind einige EU-Mitgliedstaaten bis heute nicht zu einem solchen Beschluss bereit. Österreich, das im Rahmen des sogenannten Forum Salzburg mit Bulgarien und anderen Ländern in Zentral- und Osteuropa eine gut funktionierende, enge Zusammenarbeit in Fragen der inneren Sicherheit unterhält, hat sich für die Annahme eines Kompromissvorschlags eingesetzt. Dieser würde vorsehen, dass in einem ersten Schritt die Kontrollen an den leichter überschaubaren Flug- und Seehäfen wegfallen, während über die Aufhebung der Kontrollen an den heikleren Landgrenzen zu anderen Schengenstaaten erst nach neuerlichen Überprüfungen zu einem späteren Zeitpunkt entschieden würde.

Österreich ist einer von Bulgariens führenden Wirtschaftspartnern, Unternehmen wie EVN oder Karl Habsburgs BG Privatinvest haben in Bulgarien aber Probleme. Können sich österreichische Unternehmen in Bulgarien auf den Rechtsstaat verlassen?

Die Justizreform ist eine der noch unvollendeten Aufgaben Bulgariens aus dem Beitrittsprozess. Bulgarien unterliegt wie Rumänien weiterhin der Beobachtung durch die Europäische Kommission, die regelmäßige Berichte zum Stand der Justizreform vorlegt. Österreichische Unternehmen klagen tatsächlich immer wieder über Schwierigkeiten mit dem Justizsystem. Andererseits arbeiten in Bulgarien mehrere große österreichische Anwaltskanzleien, die - bei allen Schwierigkeiten - ihre Klienten effizient vertreten können.

Wie können Sie sich als Botschafter im Falle von Konflikten für österreichische Unternehmen einsetzen?

Die Wünsche, die österreichische Unternehmen an mich herantragen, sind sehr vielfältig. Das reicht von der Bitte, bei bestimmten Gelegenheiten - auch angenehmen, wie Betriebseröffnungen - einfach das österreichische Interesse zu zeigen, bis zu Interventionen auf höchster Ebene, wo wir - meist gemeinsam mit dem Wirtschaftsdelegierten der Wirtschaftskammer Österreich in Sofia - Probleme erfolgreich an die Regierungs- und Staatsspitze herantragen. Diese enge Zusammenarbeit mit den österreichischen Unternehmen ist ein besonders interessanter Teil meiner Arbeit in Bulgarien, wo die österreichische Wirtschaft große Investitionen getätigt hat und dadurch auch von den politischen Entwicklungen direkt betroffen ist.

Ihr deutscher Amtskollege Mathias Höpfner hat sich vor einigen Monaten über die Situation der Medien in Bulgarien beklagt, weil kritische Ausführungen von ihm in einem Interview für eine Tageszeitung zensiert wurden. Wie ist Ihre Sicht der Mediensituation?

Es gibt in der bulgarischen Medienlandschaft problematische Konzentrationstendenzen, die sich seit dem Verkauf der großen Tageszeitungen, die zur deutschen WAZ-Gruppe gehörten, leider verstärkt haben. Nach dem Verkauf der WAZ-Zeitungen an das bereits erwähnte österreichische Unternehmen BG Privatinvest ist ein Streit um die Kontrolle über die Tageszeitungen entbrannt, der derzeit vor Gericht ausgetragen wird. Wir verfolgen gemeinsam mit der deutschen und anderen Botschaften von EU-Mitgliedstaaten die Entwicklungen sehr genau und lassen dies auch die politischen Entscheidungsträger wissen.

Glauben Sie, dass die Proteste über die Parlamentswahlen hinaus eine Veränderung der politischen Kultur in Bulgarien bewirken werden?

Es gibt eine Chance, dass der Unmut über die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zuständen im Lande, der sich in den Protesten manifestiert hat, zu dauerhaften Änderungen führt - wenn sich die Protestbewegung nicht im Interesse bestimmter Interessensgruppen instrumentalisieren lässt.

Viele Bulgaren und Bulgarinnen hegen ein tiefes Misstrauen sowohl gegenüber großen Wirtschaftsunternehmen wie auch gegenüber dem Staat. Eine unabhängige und transparente zivilgesellschaftliche Bewegung könnte vielen Hoffnung geben.

Zur Person



Gerhard

Reiweger

Der 60-Jährige ist seit Jänner 2010 Österreichs Botschafter in Sofia. Von 1997 bis 2009 war er stellvertretender Direktor der Diplomatischen Akademie Wien. Zuvor war er in diplomatischen Diensten in Rabat, Washington und Stockholm.bmeia