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"Blockupy" macht EZB dicht

Von Thomas Seifert

Politik

Banker gehen inkognito ohne Krawatte, um nicht aufzufallen.


Frankfurt/Wien. "EZB - echt ätzend" oder - etwas drastischer: "Fuck EZB" steht auf den Schildern der linken Demonstranten. Die Protestbewegung "Blockupy" hatte zum "Widerstand im Herzen des europäischen Krisenregimes" aufgerufen und tausende Demonstranten haben am Freitag in der Früh das Frankfurter Bankenviertel lahmgelegt. Die Veranstalter sprachen von mehr als 3000 Protestierenden, ein Polizeisprecher von 2500. "Die Blockade steht. Der Geschäftsbetrieb der EZB ist erfolgreich gestört", sagte "Blockupy"-Sprecherin Ani Dießelmann.

Die Proteste richteten sich unter anderem gegen die Sparpolitik der europäischen Regierungen, gegen Lebensmittelspekulationen der Banken, gegen Mietpreiserhöhungen und die Abschiebung von Flüchtlingen. Am Samstag werden mehr als 15.000 Teilnehmer bei einer Demonstration durch die Innenstadt erwartet.

Auch die Einkaufsmeile Zeil wurde zu einem Pilgerort der Protestler, dort warfen einige Demonstranten mit Farbbeuteln auf Schaufenster. Die Demonstranten wollten damit auf die Katastrophalen Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch mit mehr als 1000 toten Textilarbeitern aufmerksam machen.

"Der Schritt vom öffentlichen Protest zum zivilen Ungehorsam ist nötig", sagte ein "Blockupy"-Sprecher. "Mit der Blockade machen wir den europaweiten Widerstand gegen die verheerende Verarmungspolitik sichtbar."

Im vergangenen Jahr waren bei deutlich besserer Wetterlage rund 5000 "Blockupy"-Aktivisten nach Frankfurt gekommen, damals hatte die Polizei die Innenstadt komplett abgeriegelt. Diesmal war das Wetter schlecht, die Zahl der Demonstranten dadurch niedriger und daher begnügte sich die Polizei damit, nur einzelne Gebäude abzusperren.

Das Bankengeschäft in Frankfurt war dennoch beeinträchtigt: Die Mehrzahl der Banker arbeitete von zu Hause oder wich in Ausweichquartiere aus, viele nahmen den Fenstertag frei - Donnerstag war ja, genauso wie in Österreich, auch in Hessen ein Feiertag. Eine Reihe von Bankern ging ohne den klassischen Anzug und ohne Krawatte zur Arbeit: "Wir sind heute hier wieder in Notbesetzung, mit Jeans und T-Shirt, damit uns nur ja keiner erkennt", wurde ein Händler an der Börse in den Nachrichtenagenturen zitiert.

Blockupy und die 99 Prozent

Die Proteste sind von der "Occupy Wall Street"-Bewegung inspiriert, die ab Oktober 2011 mit der Besetzung des in der Nähe der Wall Street in Manhattan gelegenen Zuccotti Park auf die sich stetig öffnende soziale Kluft in den USA aufmerksam machen wollte. Die Ökonomen Joseph Stiglitz und Emmanuel Saez lieferten den US-Demonstranten damals die Grundlage für die Slogans, die Protestler dann auf ihre Transparente malten: "Wir sind die 99 Prozent!" stand dort zu lesen. Während nämlich 99 Prozent der Erwerbstätigen hilflos Stagnation oder gar ein Sinken ihrer Einkommen hinnehmen mussten, zogen die Einkommen des obersten Prozents davon.

Doch "Occupy Wall Street" zerfiel recht rasch: Aus den 99 Prozent ließ sich keine Allianz schmieden. Leute wie der Philosoph und Linksutopist Slavoj Zizek sahen darin eine "Botschaft der kommenden kommunistischen Zukunft". Doch wie der Politikwissenschaftler David Runciman in der "London Review of Books" schrieb, träumten die wenigsten von einem kommunistischen Revival und wollten auch die Demokratie, wie wir sie kennen, nicht abschaffen: "Sie wollten nur, dass sie besser funktioniert."

Die wahren Opfer der Krise seit 2008 sind in Europa wie in den USA vor allem junge Menschen, sie waren es auch, die in Frankfurt bei den "Blockupy"-Protesten auf der Straße waren. Kein Wunder: In den Krisenländern Europas eilt die Jugendarbeitslosigkeit von einem Rekordniveau zum nächsten.

Die Fünf Prozent von 1934

Die "99 Prozent" haben einen Vorläufer: 1934 gab es die Parole der "Fünf Prozent". Mitten in der US-Wirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit, organisierte der Arzt Francis Townsend die "5 Prozent"-Kampagne. Er forderte die Einführung eines Pensionssystems und lenkte die Aufmerksamkeit auf das Schicksal der alten Menschen. 1934 waren gerade einmal fünf Prozent der Menschen in den USA über 65 Jahre alt und in Franklin Delano Roosevelts "New Deal"-Sozialprogrammen war auf diese Personengruppe einfach vergessen worden.

Heute ist die Zahl der Menschen zwischen 18 und 24 Jahren in Europa geringer als die Zahl der über 65-Jährigen. Und die Bevölkerungsgruppe der über 65-Jährigen verfügt heute über beträchtliche politische Einflussmöglichkeiten - im Gegensatz zu jungen Menschen, die ihren politischen Ausdruck in Aktionen wie "Blockupy" suchen.

Doch selbst die Kapitalismuskritische "taz" fragt, warum ausgerechnet die Europäische Zentralbank (EZB) Ziel der Proteste geworden ist - schließlich habe EZB-Präsident Mario Draghi die Länder des Südens mit einer Geldspritze vor dem Kollaps bewahrt, der Austeritätsfetisch sei vor allem ein deutsches Phänomen, ist in der "taz" zu lesen: "Das Hauptproblem sitzt nicht in Frankfurt, sondern im Berliner Bundeskanzleramt".