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Dumping, Subventionen und Kapital

Von Thomas Seifert

Politik
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Handelskommissar Karel de Gucht zu Euro-Gegnern: "Nicht alle Politiker zeichnen sich durch Wirtschaftskompetenz aus."
© Thomas Seifert

De Gucht über Luxus, das Abkommen mit den USA und Arbeitsbedingungen in Bangladesch.


"Wiener Zeitung:" Die EU-Kommission hat Strafzölle gegen Solarprodukte aus China verhängt. Was ist so schlimm daran, dass China Solarpanele zum Schleuderpreis auf den Markt wirft. Ist billige Solarenergie nicht eine feine Sache?Karel de Gucht: Es geht um die Nachhaltigkeit eines Geschäftsmodells. Und ein Geschäftsmodell, das auf Dumping, Subventionen und billigem Kapital basiert, ist kein tragfähiges Geschäftsmodell. Als Einzelperson und Öko-Strom-Kunde haben sie vielleicht ein Interesse an billigen Solarzellen, aber das ist kurzfristig gedacht. Ich muss auch die europäische Wirtschaft im Auge haben: da geht es um Arbeitsplätze und um den Schutz von geistigem Eigentum. Man kann ohne ein Mindestmaß an Fairness keinen internationalen Handel treiben.

Wenn man in Baoding, rund 170 Kilometer südwestlich von Peking, auf dem Gelände der Fabrik von Yingli Solar steht, dann steht man inmitten einer riesigen Anlage. Kann die europäische Solarenergiebranche gegen solche Giganten überhaupt bestehen?

Es geht vor allem um Innovation, aber durch unfaire Wettbewerbspraktiken sind die Möglichkeiten für Forschung und Entwicklung für die europäische Industrie eingeschränkt. Freilich: Der Maßstab ist wichtig, aber es ist nicht der einzige Faktor. In China gibt es bei Solarpanelen eine massive Überproduktion. Und das bringt auch den chinesischen Solarzellenherstellern keinen Vorteil, sondern für sie wäre es vernünftig, wenn die Produktion auf einen Level gebracht würde, den der Markt auch aufnehmen kann.

Wie sehen Sie die Handels-Beziehung zwischen China und der EU?

China ist unser zweitwichtigster Handelspartner, es geht um ein Volumen von 500 Milliarden Euro pro Jahr. Zwischen zwei so großen Handelspartnern wird es immer wieder Reibereien geben. Die Europäische Kommission hat die europäischen Interessen und Prinzipien zu vertreten und zu verteidigen. Und das sind ja auch die Prinzipien der WTO und der OECD, es geht also um die Einhaltung einer gewissen Disziplin im Handel miteinander und um fairen Wettbewerb.

Vor kurzem sind die Arbeitsbedingungen in Bangladesch nach dem Einsturz einer Textilfabrik mit über tausend toten Arbeiterinnen und Arbeitern in den Fokus gerückt. Ist das auch ein Thema für den Handelskommissar?

Hier geht es nicht um Wettbewerb. Bangladesch ist eines der am wenigsten entwickelten Länder der Erde. Daher geben wir dem Land zollfreien und quotenfreien Zugang zu europäischen Märkten für alle Produkte außer Waffen. Allerdings haben wir gesehen, dass die Bedingungen, unter denen Textilien hergestellt werden, von einem humanitären Standpunkt aus völlig inakzeptabel sind. Es geht hier um die Sicherheit am Arbeitsplatz, es geht um den Respekt für fundamentale Rechte und es geht um menschenwürdige Bezahlung. Wir arbeiten mit der Regierung Bangladeschs zusammen, um Verbesserungen zu erreichen. Erst letzte Woche hatte ich in Brüssel ein Treffen mit dem Außenminister von Bangladesch: Da wurde diskutiert, dass Bangladesch innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens sich zu bestimmten Verpflichtungen bekennt. Wir verstehen durchaus, dass man die Situation der Arbeiterinnen und Arbeiter nicht von heute auf morgen verbessern kann. Einige EU-Mitgliedsstaaten haben angeboten, die Regierung von Bangladesch dabei zu unterstützen, mehr Arbeitsinspektoren in die Fabriken zu schicken.

Und wenn das keine Verbesserung bringt?

Ich habe bereits in der Vergangenheit gesagt: Wenn es keine klaren Fortschritte gibt, dann müssen wir die Handelsprivilegien für Bangladesch überdenken. Außerdem arbeiten wir mit den großen europäischen Kunden der Hersteller in Bangladesch zusammen und ich hoffe auch auf eine Kooperation mit den US-Herstellern. Die Europäische Union importiert aus Bangladesch Textilien im Wert von 11 Milliarden Euro, das verschafft uns einen gewissen Einfluss. Im Juli organisieren wir in Genf ein Stakeholder-Treffen mit den Handelskonzernen und Handelsmarken, um gemeinsam eine Vorgehensweise festzulegen. Schließlich geht es um die vielbeschworene Corporate Social Resposibility (CSR), das heißt, die Marken müssen ihre Verantwortung wahrnehmen. Es ist unsere Pflicht das zu tun, um den Menschen in Bangladesch eine Chance auf ein besseres Leben zu eröffnen. Das ist auch im Interesse der Markenhersteller: Die Konsumenten sind in dieser Hinsicht ja sehr kritisch geworden.

Die Europäische Union verhandelt mit einer immer größeren Zahl von Handelspartnern über bilaterale Handelsabkommen. Heißt das nun eigentlich, dass die Welthandelsgespräche der Doha-Runde und die Welthandelsorganisation WTO insgesamt für die Europäische Union gestorben ist?

Überhaupt nicht. Wir haben die Doha Runde noch nicht aufgegeben und wir sind im Moment dabei, die WTO-Ministerkonferenz in Indonesien vorzubereiten. Ich hoffe, dass wir dort einen Deal über Handels-Erleichterungen erreichen können. Da geht es vor allem um die Erleichterung von Zoll-Verfahren, Bürokratieabbau oder um die Zeit, in der gelöschte Ladungen im Hafen liegen bleiben. Kurzum: Nein, wir geben Doha nicht auf. Aber wir werden nicht bis zum Ende des Jahres zu einer Lösung kommen.

Bei den Verhandlungen über ein bilaterales Handelsabkommen mit den USA wird es sich beim Kapitel Landwirtschaft spießen. Die Konsumenten wollen keine genetisch veränderten Nahrungsmittel und auch kein Hormonfleisch.

Ich darf Ihnen verraten, dass das Thema Landwirtschaft in allen Verhandlungen ein Problem darstellt. Das ist nichts Neues, daran sind wir gewöhnt. Sie haben genetisch veränderte Lebensmittel oder Hormonfleisch erwähnt: Ich kann Ihnen versichern, dass wir die europäischen Gesetze und Verordnungen nicht ändern werden. Es ist ausgeschlossen, dass sich nach einem erfolgreichen Abschluss eines Handelsabkommens mit den USA plötzlich Hormonfleisch in den Regalen von Lebensmittelläden findet. Wenn die USA freilich eine Produktionslinie von Rindfleisch, das ohne Zuhilfenahme von Hormonen produziert worden ist, aufbauen, dann ist das ihr Recht. Wir werden jedenfalls nichts an unseren europäischen Verordnungen ändern.

Und was genetisch veränderte Lebensmittel betrifft?

Wir haben bereits jetzt ein Verfahren für die Zulassung von genetisch veränderten Organismen. Es sind bereits 47 genetisch veränderte Pflanzen für die Futtermittelproduktion erlaubt, zwei für den menschlichen Verzehr. Es gibt ein klares Verfahren für diesen Fall und es gibt auch die Möglichkeit, dass bestimmte Mitgliedsländer - wie etwa Österreich - die Kultivierung von genetisch veränderten Pflanzen aus bestimmten Gründen auf ihrem Gebiet untersagen.

Manager in energie-intensiven Industrien machen sich Sorgen um Wettbewerbsvorteile für US-Unternehmen, deren Energiepreise dank des Schiefergas-Booms drastisch gesunken sind.

Die EU-Kommission wacht über die Energiepreise in Europa. Erst vor Kurzem hat mein Kollege, Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia, Anti-Trust Ermittlungen gegen den Gaskonzern Gazprom gestartet. Wir arbeiten auch an alternativen Pipelines, etwa Northstream oder Nabucco. Ein Freihandelsabkommen mit den USA würde übrigens die Position Europas, an Flüssiggas aus den USA zu gelangen, verbessern.

Hans-Christian Strache, Obmann der Freiheitlichen Partei in Österreich, sagte erst vor kurzem in einem Interview, Österreich solle den Euro verlassen. Welche Folgen hätte ein Zerfall des Euro aus Ihrer Sicht?

Nicht alle Politiker zeichnen sich durch Wirtschaftskompetenz aus: Wenn der Euro verschwinden würde - und das glaube ich nicht - dann wäre das ein eindeutiges Desaster für alle Beteiligten.

Sie haben in Wien an einer Konferenz über die Luxusindustrie teilgenommen. Welche Bedeutung hat dieser Sektor?

Europa hat hier eine dominante Position. Europa ist mit Abstand der größte Produzent von Luxusgütern, mehr als 6 Millionen Jobs hängen an dieser Industrie. Diese Industrie schafft, was in der europäischen Technologiebranche manchmal nicht gelingt: Innovationen zur Produktreife zu bringen, die man international vermarkten kann. Insofern kann man von dieser Branche lernen. Was dem Technologiesektor vor allem fehlt, ist Zugang zu Wagniskapital.

Zur Person

Karel De Gucht ist EU-Handelskommissar. Er ist Mitglied der flämischen Liberalen, war dann belgischer Außenminister zunächst unter Regierungschef Guy Verhofstadt und ab 2008 unter Yves Leterme und Herman Van Rompuy.