Zum Hauptinhalt springen

Abschottung in neuer Form

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Vier Innenminister forcieren Debatte über Belastungen für Sozialsysteme.


Brüssel/Luxemburg. Mal ist es die Sorge um Arbeitsplätze, ein anderes Mal die Furcht vor hohen Sozialausgaben: Bei ihren Versuchen, ihre Länder vor Bürgern anderer Staaten abzuschotten, lassen sich manche EU-Regierungen unterschiedliche Argumente einfallen. Deutschland und Österreich etwa gehören zu jenen westeuropäischen Ländern, die nach jeder Erweiterung der Union die Gelegenheit nutzen, den neuen EU-Mitgliedern den Zugang zu ihren Arbeitsmärkten so lang wie möglich durch Übergangsfristen zu beschränken. Für Reisende aus einigen anderen Staaten wiederum würden sie gern die Visumpflicht wieder einführen - zumindest unter bestimmten Umständen und zeitweise. Und gerade recht käme ihnen die Möglichkeit, sogar EU-Bürger auf Dauer des Landes zu verweisen, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Sozialsysteme missbraucht werden.

Genau das forderten vor wenigen Wochen vier Innenminister in einem Brief an die EU-Kommission. Und bei einem Treffen am heutigen Freitag in Luxemburg wollen sie ihre europäischen Amtskollegen damit befassen. In dem Schreiben klagen Großbritannien, Deutschland und die Niederlande über EU-Bürger aus anderen Staaten, die von ihrer Reisefreizügigkeit Gebrauch machen, "ohne die Voraussetzungen zur Nutzung dieses Rechts zu erfüllen". Und in den Gastländern entstünden den Städten sowie Gemeinden zusätzliche Kosten durch Gesundheits- oder Sozialausgaben. Österreich ist von der Thematik zwar kaum betroffen, wie im Innenministerium in Wien eingeräumt wird - doch hat es den Brief "aus Solidarität" ebenfalls unterschrieben.

Auch wenn in dem Text keine Länder genannt sind, ist klar, dass es um Immigranten aus Rumänien und Bulgarien geht. In der britischen Boulevardpresse häuften sich die Klagen über den "Sozialtourismus", und in Deutschland forderten manche Kommunen finanzielle Unterstützung von der Regierung bei der Sozialhilfe. Dass die Minister diese Debatte auf eine europäische Ebene heben wollen, hat aber auch innenpolitische Gründe. In Deutschland stehen im Herbst Wahlen an, und in Großbritannien können Politiker mit EU-Kritik Sympathie sammeln.

Soros schreibt Faymann

Hinzu kommt, dass den Staaten die Maßnahmen ausgehen, mit denen sie Rumänen und Bulgaren fernhalten können. Denn die Übergangsfristen für diese EU-Bürger auf den Arbeitsmärkten laufen zu Jahresende aus, und sie können nicht mehr verlängert werden. Zwar kann danach die Reisefreizügigkeit unter bestimmten Bedingungen eingeschränkt werden: Bei einem Missbrauch können Menschen des Landes verwiesen werden. Doch wünschen sich die vier Innenminister wirksamere Sanktionen, wie beispielsweise ein Verbot der Wiedereinreise.

Die Reaktion der EU-Kommission auf diese Forderung erfolgte ebenfalls schriftlich. Die Behörde verweist auf die Errungenschaft der Reisefreiheit, die zu den Grundrechten in der EU gehört und nicht ausgehebelt werden sollte. Daneben liefert sie auch wirtschaftliche Argumente für die Mobilität der Unionsbürger: So sei die Wirtschaft der älteren 15 EU-Mitglieder bis 2009 um rund ein Prozent gewachsen, nachdem sie Arbeitnehmer aus den zehn - 2004 der Union beigetretenen - Staaten integriert haben.

In ihren Ausführungen wird die Kommission von so manchem Land unterstützt. Schon hat Polen damit begonnen, bei Ministertreffen gegen Einschränkungen der Reisefreiheit aufzutreten und sich für deren Verteidigung Verbündete zu suchen.

Allerdings steckt hinter der aktuellen Diskussion auch ein anderer Aspekt, den die Regierungen in Deutschland oder Großbritannien nicht offen darlegen. Etliche der rumänischen und bulgarischen Einwanderer sind Roma und Sinti, deren ökonomische und soziale Situation in ihren Ländern sich trotz zahlreicher EU-Appelle noch immer kaum verbessert hat. Das spricht aber George Soros an - und das ebenfalls in einem Brief. Der aus Ungarn ausgewanderte Investor und Philanthrop verfasste nun ein Schreiben an den österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann, Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, den britischen Premier David Cameron sowie ihren niederländischen Amtskollegen Mark Rutte. Darin verweist er auf die Expertise seiner Stiftungen, die sich seit 20 Jahren mit der Integration von Roma in verschiedenen Ländern befassen. Genau daran sollten die Länder mehr arbeiten als an Sanktionen oder der Ausweisung von Menschen, betont Soros. Bestrafungen würden nämlich die Diskriminierung bestimmter Gruppen verstärken.

Diesem Vorwurf sahen sich ein paar Staaten schon vor einiger Zeit ausgesetzt, als sie eine Debatte über die Wiedereinführung der Visapflicht für Bürger des Westbalkans begannen. Damals ging es vor allem um Kosovaren, aber auch damals klagten ein paar Länder darüber, dass die Visafreiheit für unberechtigte Asylansuchen genutzt werde - was ebenso die Sozialsysteme belaste. Mittlerweile wurde eine Möglichkeit geschaffen, die Visumpflicht auf bestimmte Zeit wieder einzuführen. Die Regeln dazu wollen die Innenminister heute absegnen.