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Das Bauernland in Ungarn-Hand

Von Hermann Sileitsch

Politik

Österreichischen "Landgrabbern" droht Haft.


Budapest/Wien. Ungarns Landwirtschaft ist seit geraumer Zeit von Großbetrieben geprägt. Schon 1885 gab es fast agroindustrielle Strukturen: "Fünftausend kerngesunde hab‘ ich, hübsch kugelrunde", singt Schweinefürst Zsupán im "Zigeunerbaron" über seinen Viehbestand. 130 Jahre später soll sich das ändern und die Zukunft familiären Bauernhöfen gehören. Zumindest ist das die Vorstellung der konservativen Regierung von Viktor Orbán. Sie will die ländliche Bevölkerung bewahren und strebt einen Strukturwandel an: Bisher seien 80 Prozent der Fläche in Hand von Großbetrieben, künftig sollen 50 Prozent durch Bauernhöfe bewirtschaftet werden, heißt es.

Die Regierung hat deshalb den "Krieg gegen Spekulanten" ausgerufen. Was die Wogen mit dem Nachbarland hochgehen lässt: Die Ungarn haben vor allem Österreicher im Verdacht, in den letzten zwei Jahrzehnten Landgrabbing betrieben und sich illegal Ackerflächen verschafft zu haben.

Spekulation auf Wertzuwachs

Das Motiv dazu läge auf der Hand. Mitte der 1990er habe ein Hektar Land (etwas mehr als ein Fußballfeld) in Ungarn 30.000 Forint gekostet. In Österreich hätte der Preis 3 Millionen Forint betragen, schreibt die in Amsterdam ansässige Denkfabrik Transnational Institute (TNI) in einem Landgrabbing-Bericht von April.

Der österreichisch-ungarische Streit tobt zwar schon seit etlichen Jahren, erhält nun aber neue Brisanz: Am Montag soll das Parlament in Budapest - sofern es das Hochwasser zulässt - über das neue, umstrittene Bodengesetz abstimmen. Dieses wird ab 1. Mai 2014 regeln, wer Ackerland kaufen darf. Bisher war das für Ausländer nahezu unmöglich - mit minimalen Ausnahmen (siehe Wissen). Mit 30. April 2014 laufen aber endgültig die Übergangsbestimmungen aus, welche die Ungarn mit Brüssel beim EU-Beitritt 2004 vereinbart hatten.

In der Praxis dürfte sich trotz der Liberalisierung wenig ändern. Das Gesetz und begleitende Verordnungen würden es Ausländern fast unmöglich machen, Land zu kaufen. Nur für Kleinflächen bis zu einem Hektar wäre ein Kauf unkompliziert. Darüber hinaus wird es knifflig: Wer den Zuschlag will, müsste eine landwirtschaftliche Ausbildung nachweisen oder in Ungarn seit mindestens drei Jahren auf eigenes Risiko eine landwirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt haben. Die Betriebsgröße soll mit 300 Hektar begrenzt werden, bei Pacht oder für Vieh- und Saatgutbetriebe gelten 1200 und 1800 Hektar als Limit. Welche Hürden konkret beschlossen werden, steht noch nicht endgültig fest. Die Rede ist aber unter anderem von einer 20-Kilometer-Klausel, wonach ein Käufer mindestens die Hälfte des Jahres in diesem Umkreis wohnen müsste.

Vorgesehen ist auch ein Vorkaufsrecht, das lokale Interessenten bevorzugt. An erster Stelle kommt der Staat - wenn er gleich viel für eine Fläche bietet wie ein privater Interessent, bekommt er den Zuschlag. In der weiteren Folge würden der bisherige Pächter oder lokale Bauern bevorzugt.

Die Fidesz-Regierung dürfte von ihrem Vorkaufsrecht durchaus Gebrauch machen wollen: Laut offiziellen Stellen hat der Nationale Bodenfonds allein für heuer 3 Milliarden Forint (10 Millionen Euro) budgetiert, um damit "Spekulation zu verhindern". Der staatliche Fonds verwaltet derzeit 1,8 Millionen Hektar Nutzfläche.

Selbstanzeige nur bis 1. Juli

Teile davon gehen allmählich in private Hand oder Pacht über. Das ist meist ein lukratives Geschäft, weil üppige Subventionen winken, schreibt die Denkfabrik TNI - und erhebt den Vorwurf, der Bodenfonds verkaufe Flächen oft an eine kleine Gruppe regierungsnaher Personen. Der Vorwurf der Günstlingswirtschaft wird von ungarischer Seite strikt zurückgewiesen: Es seien überhaupt erst 40.000 Hektar des Bodenfonds verpachtet worden. Die Vergabekriterien seien strikt und würden eine Bevorzugung ausschließen. Sollten Verstöße vermutet werden, sollten diese bei der Justiz zur Anzeige gebracht werden.

Dass ein Ziel des Bodengesetzes darin besteht, Ausländer vom Landkauf in großem Stil fernzuhalten, wird indes nicht dementiert. Eine Diskriminierung von Ausländern sieht man darin aber nicht: Das Gesetz solle ebenso reiche westungarische Spekulanten davon abzuhalten, große Fläche in Ostungarn zu erwerben. Ob all das mit EU-Recht in Einklang steht, halten Experten für fraglich. Zur Beurteilung müsse aber der endgültige Text vorliegen.

Zittern lässt etliche Österreicher, dass die Regierung Orbán eine "Aktion scharf" gegen sogenannte Taschenverträge angekündigt hat. Sie wirft Österreichern (und in geringerem Maß Holländern und Deutschen) vor, mit ungarischen Strohmännern illegale Absprachen über Landkäufe getroffen zu haben, um sich so den Zugriff auf wertvolles Land zu sichern. Der Name kommt daher, dass die undatierten Verträge "in der Tasche" versteckt bleiben sollten, bis der Kauf offiziell legal ist.

Diese Spekulation werde jedoch nicht aufgehen, versichert die Regierung. "Wer sein Land rechtmäßig erworben hat, kann ruhig schlafen", heißt es. Gegen rechtswidrige Käufe werde man hingegen konsequent vorgehen, kündigt auch Botschafter Vince Szalay-Bobrovniczky an.

Am 1. Juli endet eine Frist, die illegalen Käufern eine strafbefreiende Selbstanzeige ermöglicht - das Land muss im Gegenzug abgetreten werden. Nach dem 1. Juli drohen nach neuer Rechtslage Haftstrafen zwischen einem und fünf Jahren. Das Ministerium sagt, bisher seien "mehrere" Meldungen eingelangt. Detaillierte Zahlen gebe es aber erst nach Fristablauf. Die Angaben, wie viel Land wirklich illegal von Ausländern erworben wurde, divergieren auf geradezu groteske Weise. "Die Taschenverträge sind ein Vorwand der ungarischen Politik, um die österreichischen Bauern schlecht zu machen", sagt Agrarattaché Ernst Zimmerl von der österreichischen Botschaft in Ungarn. Er weist auf eine Kommission hin, die schon 2001 unter der früheren Regierungszeit Viktor Orbáns Untersuchungen angestellt hatte. Von 1506 Anzeigen seien damals 1480 sofort als unbegründet zurückgelegt worden. 26 Fälle wurden untersucht, nur 77 Hektar seien als verdächtig übrig geblieben. Dieser Kommission seien die Wahlen in die Quere gekommen - die sozialistische Nachfolgerregierung habe die Causa nicht konsequent weiterverfolgt, sagen die Ungarn.

Laut Zimmerl bewirtschaften rund 200 bis 220 Österreicher in Ungarn eine Gesamtfläche von 200.000 Hektar. "Das sind vier Prozent der Ackerfläche", sagt er zur "Wiener Zeitung".

Ackerverbot im Nationalpark

Botschafter Szalay-Bobrovniczky zitiert Schätzungen, wonach insgesamt zwischen 100.000 und einer Million Hektar über Taschenverträge gekauft worden seien.

Ganz unberechtigt sind Sorgen vor Enteignungen oder Zwangsverkäufen wohl nicht: Zwei Österreicher, die seit 1994 für größere Ackerflächen im Bereich des Nationalparks Örszeg im Grundbuch eingetragen sind, sollen jetzt verkaufen müssen, aus ihrer Sicht weit unter Wert. Trotz fast 20-jähriger Duldung - laut Regierung verstoßen die Agrarflächen im Nationalpark gegen ein Gesetz.

(hes) Das Thema Bodenbesitz ist sensibel: Diese Erfahrung musste auch Österreich machen. Die EU hat mehrfach Regelungen aufgrund einer unzulässigen Bevorzugung von Einheimischen gekippt – etwa in Tirol.
Im Fall Ungarn wird die Situation dadurch kompliziert, weil die Rechtslage je nach dem Datum des Vertragsabschlusses unterschiedlich war. Vor 1994 waren Käufe rechtens – die Regierung Orbán bedauert das zwar, stellt es aber nicht in Abrede. 1994 wurde der Bodenerwerb mit dem Gesetz über das Ackerland begrenzt – mit maximal 300 Hektar Fläche für Privatpersonen. Ausländern wurde der Besitz von fruchtbaren Agrarflächen schlichtweg verboten. Mit dem EU-Beitritt 2004 änderte sich vorerst nicht viel: Budapest verhandelte ein
Landkaufmoratorium. Die
Übergangsregelung sah vor, dass nur EU-Bürger Ackerland kaufen dürfen, die nachweislich mindestens drei Jahre lang in Ungarn gewohnt und eine landwirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt haben. Diese Einschränkung sollte im Mai 2011 fallen, wurde allerdings noch einmal um drei Jahre verlängert. Mit 1. Mai 2014 ist endgültig Schluss. Deshalb arbeitet die Regierung von Viktor Orbán nun mit Hochdruck an einer Nachfolge-Regelung.