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Groß, größer, Erdogan

Von Ronald Schönhuber

Politik

Mit megalomanischen Projekten will sich der Premier ein Denkmal setzen.


Istanbul. Längst ist der Taksim-Platz zum Synonym geworden. Seit knapp vierzehn Tagen protestiert hier die unter großen Geburtsschmerzen entstehende türkische Zivilgesellschaft gegen die Politik von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, die zunehmend als autoritär und selbstherrlich empfunden wird.

Der Taksim-Platz ist aber nicht nur ein Synonym für die Protestbewegung, er steht auch prototypisch für die nach sichtbarer und dauerhafter Größe strebende Türkei unter Erdogan. Wenn es nach dem Willen des Ministerpräsidenten geht, soll hier und im benachbarten Gezi-Park ein neues Stadtviertel entstehen mit der Replika einer 1940 abgetragenen osmanischen Kaserne im Mittelpunkt. In dem pompösen Gebäude sollen Cafés, Museen und ein Einkaufszentrum für die neuen Reichen in der Türkei untergebracht werden. Die Umgestaltung einer der letzten Grünoasen Istanbuls wurde dabei ohne Beteiligung der Bürger beschlossen. Die 50 Prozent, die er bei den letzten Wahlen erhalten hat, gelten für Erdogan, der sich in Anlehnung an seinen Lieblingssultan Süleyman gern als "Baumeister" bezeichnet, als ausreichende Legitimation.

Ein dauerhaftes Denkmal will sich der AKP-Chef nach Ansicht seiner Gegner auch mit einem Projekt setzen, gegen das sich die Kaserne im Gezi-Park fast schon bescheiden ausnimmt. Bis 2017 will die Regierung nördlich von Istanbul den weltgrößten Flughafen aus dem Boden stampfen. Der Transportknoten, der die beiden bisherigen Airports der Stadt ersetzen soll, verfügt laut den Plänen über sechs Startbahnen, pro Jahr will man 150 Millionen Passagiere abfertigen. Dass das Ganze teuer wird verheimlicht man nicht, auf 29 Milliarden Dollar schätzte Erdogan im Mai die Projektkosten. Erste Erdarbeiten und Sprengungen hat es bereits gegeben, die Bedenken von Umweltschützern, die um den Verlust von 100.000 Bäumen fürchten, wurden ähnlich wie beim Gezi-Park einfach beiseite gewischt.

Brücke als Provokation

Bereits auf Schiene ist auch schon die dritte Autobahn-Querung über den Bosporus. Die knapp 1,3 Kilometer lange Yavuz-Sultan-Selim-Brücke, für die Erdogan vor knapp drei Wochen den Grundstein gelegt hat, soll als Teil eines gigantischen Autobahnrings den Verkehr in Istanbul entlasten.

Dass es hier wie bei vielen anderen städtebaulichen Projekten nicht ausschließlich um eine Infrastrukturmaßnahme geht, sondern auch um relativ unzweideutige politische Botschaften, lässt sich nach Meinung vieler Kritiker schon am Namen der neuen Brücke ablesen. Selim I. Yavuz, der "Gestrenge", hatte im 16. Jahrhundert den Grundstein für die weitere Expansion des Osmanischen Reiches gelegt und rief sich als erster Sultan selbst zum Kalifen aus. Der Eroberer Ägyptens war ein erbitterter Gegner der Schiiten, die er massenhaft abschlachten ließ. Die aus dieser Glaubensrichtung hervorgegangenen Aleviten, die derzeit zehn Prozent der türkischen Bevölkerung ausmachen, bilden bis heute eine der Grundstützen der laizistischen Staatsordnung.

Als ähnliche Provokation wie die Yavuz-Sultan-Selim-Brücke wird von vielen säkularen Türken die Camlica-Moschee gesehen, ein weiteres megalomanisches Projekt des AKP-Chefs. Das Gotteshaus soll mit seinen 15.000 Quadratmetern Grundfläche nicht nur die größte Moschee der Türkei werden, sondern auch die berühmte Al-Azhar Moschee in Kairo übertrumpfen. Auf Erdogans ausdrücklichen Wunsch hin soll die riesige Moschee von überall in Istanbul aus zu sehen sein.

In den Schatten gestellt werden all diese Projekte allerdings durch den "zweiten Bosporus", ein Vorhaben, das sogar Erdogan selbst als "verrückt" bezeichnete, als er es im Jahr 2008 vorstellte. Mit dem geplanten Kanal westlich des europäischen Teils von Istanbul will der Ministerpräsident eine neue Verbindung zwischen dem Marmara-Meer und dem Schwarzen Meer schaffen. Dadurch soll nicht nur die Schifffahrt am Bosporus entlastet werden, die Stadt solle auch "mehr Platz zum Wachsen" bekommen, wie Erdogan es ausdrückt. Denn in der Vision des Ministerpräsidenten, der stets das 100. Gründungsjubiläum der Türkei im Jahr 2023 im Blick hat, wird Istanbul dank seines verdienten Einsatzes bald deutlich größer sein. Ob das alle Türken auch tatsächlich so wollen, scheint für den Baumeister allerdings eine untergeordnete Rolle zu spielen.