Zum Hauptinhalt springen

Unvermögen im Wahlkampf

Von Alexander Dworzak

Politik

Abstiegsängste der Bürger, die an Angela Merkels Sparkurs festhalten.


Berlin/Wien. "Blühende Landschaften" versprach Helmut Kohl 1990 den Ostdeutschen mit der Wiedervereinigung. Voll solcher und als reibungslos laufender Motor in einer von stotternden Ökonomien übersäten europäischen Landschaft wird Deutschland mittlerweile oftmals gesehen - und verklärt. Rasant wachsen nämlich die Ungleichheiten: Mehr als eine Million Bürger im Nachbarstaat verfügt über ein Geldvermögen von mehr als einer Million Dollar, ergab eine Studie der Beratungsfirma Capgemini. Auf der anderen Seite beträgt der Median des Nettovermögens - jener Wert, der die Haushalte in eine reichere und eine ärmere Hälfte unterteilt - lediglich 51.400 Euro. Von einer "ausgeprägten Vermögensungleichheit" spricht die Deutsche Bundesbank.

Die Reichen werden immer vermögender, während die Mittelklasse gegen den Abstieg kämpft und die Unterprivilegierten kaum den sozialen Aufstieg schaffen. Beste Grundvoraussetzungen für einen Sieg der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl im September könnte man meinen. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück tritt jedoch auf der Stelle; bei 25 Prozent hält seine Partei laut Umfragen für den "ARD Deutschlandtrend", während die CDU von Kanzlerin Angela Merkel mit 41 Prozent unangefochten in Führung liegt.

Schuld daran sind nicht nur die regelmäßigen Fehltritte Steinbrücks und der schlecht ausgewählte Beraterstab. Paradoxerweise hat Merkel der SPD geschadet, indem auch sie deren ureigenes Thema soziale Gerechtigkeit im Wahlkampf behandelt. Gerade in diesem Bereich zeigt Steinbrück Schwächen, schließlich war er während der Kanzlerschaft Gerhard Schröders aktiv an der Umsetzung der "Agenda 2010" samt Arbeitsmarktliberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte beteiligt.

Geteilter Meinung sind die Experten bei der Beurteilung der Agenda 2010: Die Beschäftigung habe sich erhöht, dadurch wurde für mehr Gerechtigkeit gesorgt, weil vom Wohlstand Ausgeschlossene nun Arbeit und Einkommen haben, urteilt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) laut "Frankfurter Rundschau". Auch liege Deutschland mit Platz sechs im vorderen Feld jener EU-Länder, in denen die Menschen mit niedrigen Einkommen am stärksten von staatlichen Unterstützungsleistungen profitierten.

Kehrseite der um zwei Millionen auf 2,9 Millionen Personen gesunkenen Arbeitslosigkeit: Jeder vierte Beschäftigte ist nach Angaben der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung im Billiglohnsektor tätig. Drei Viertel der Deutschen fürchten, dass ihre Altersvorsorge geringer ausfallen wird, 61 Prozent sorgen sich um ihre Ersparnisse, so die alarmierenden Umfrageergebnisse.

Kein Vertrauen in die SPD

Lösungskompetenz wird praktisch nur der CDU zugeschrieben. 45 Prozent der Deutschen meinen, die Union könne die Euro- und Schuldenkrise in den Griff bekommen, der SPD trauen das nur 14 Prozent zu. Wenig verwunderlich ist daher, dass sieben von zehn Deutschen mit der Arbeit von Kanzlerin Merkel zufrieden sind. Ihr Austeritätskurs wird als alternativlos gesehen - und von der CDU auch geschickt so nach außen verkauft.

Eine Debatte um gezielte Steuererhöhungen empfehlen Experten daher der SPD, um das Thema Gerechtigkeit sichtbarer zu machen. Tatsächlich wurde vor Jahren die Vermögensteuer abgeschafft und der Einkommensteuer-Spitzensatz auf 45 Prozent gesenkt, auch wurden die Unternehmenssteuersätze nach unten korrigiert. Steinbrück kündigte bereits an, Privatvermögen belasten zu wollen. Bloß, wie alle anderen Vorschläge, prallt auch das an den Wählern ab.