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Getrennt für das Gleiche kämpfen

Von Alexander Dworzak und WZ-Korrespondent Michael Pöppl

Politik

Unberechenbarkeit zwischen Ost- und Westflügel der Linken schreckt Rot-Grün ab.


Berlin. "Das musst du mir zugestehen, lieber Frank." "Nein, lieber Gregor." Es kommt höchst selten vor, dass sich deutsche Politiker im Fernsehen duzen, bei einer ARD-Talkshow diese Woche legten SPD-Fraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier und sein Konterpart bei der Linken, Gregor Gysi, ihre Freundschaft offen. Doch abgesehen von gegenseitiger persönlicher Wertschätzung grenzen sich SPD und Grüne weiter scharf vor der Linkspartei ab - deren acht bis zehn Prozent in der Wählergunst sie für den Sturz von Kanzlerin Angela Merkel benötigen.

Gemeinsamer Nenner: Soziale Gerechtigkeit

Inhaltliche Schnittmengen gäbe es aber genug, insbesondere in der Wirtschafts- und Sozialpolitik: So könnten sich SPD, Grüne als auch Linke auf die Einführung des Mindestlohns einigen. Denn jeder fünfte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Deutschland arbeitete 2012 im Niedriglohnbereich, davon geschätzt 1,15 Millionen für weniger als fünf Euro in der Stunde. Derzeit werden die Tarife zwischen Arbeitnehmervertretern und den Arbeitgebern festgelegt. Doch der schwindende Einfluss der Gewerkschaften, die Umwandlung fester Stellen in Zeitarbeitsplätze und Unsicherheiten im Arbeitsrecht verhinderten bisher eine übertarifliche und bundesweite Einigung. "Die erste Maßnahme ist ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro" verspricht das "100-Tage-Programm" von Peer Steinbrücks Kompetenzteam für den Fall einer SPD-geführten Regierung. Das ist auch Konsens bei den Grünen. "Mindestens 10 Euro Mindestlohn" fordert die Linkspartei.

Soziale Gerechtigkeit befürworten in Deutschland eigentlich alle Parteien, nur der Weg zur gerechten Verteilung ist schwer umstritten. Ein populistisches Mittel ist die "Millionärssteuer", welche die Linke in ihrem Wahlprogramm fordert. Eigentlich eine Vermögenssteuer, soll sie erst ab der zweiten Million fünf Prozent des Privatvermögens betragen. Für Firmenvermögen gilt eine Untergrenze von fünf Millionen Euro. Die SPD will sich nun nicht zur "Neidsteuer" äußern, die sie im Jahr 2009 noch selbst ins Gespräch gebracht hat.

Sozialdemokraten für höheren Spitzensteuersatz

Die Sozialdemokraten plädieren für die Erhöhung des Spitzensteuersatzes ab einem jährlichen Einkommen von 100.000 Euro auf 49 Prozent. Die Grünen lassen den neuen Spitzensteuersatz bei bereits 80.000 Euro pro Jahr greifen, die Linke setzt den Höchststeuersatz von 53 Prozent ab 65.000 Euro Jahreseinkommen.

Einen gemeinsamen Weg finden SPD, Grüne und Linke auch leicht bei den milliardenschweren Infrastrukturprojekten. Deutschland benötigt dringend einen Modernisierungsschub für seine Straßen, Schienen und Brücken. Neben den Verkehrswegen stehen Investitionen in Stromleitungen bedingt durch die Energiewende genauso an wie Breitbandkabel in der Netzinfrastruktur. Rund 75 Milliarden Euro zusätzlich müssten pro Jahr ausgegeben werden, rechnet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung.

Sowohl Sozialdemokraten als auch Grüne wollen dank des erhöhten Spitzensteuersatzes Infrastrukturprojekte vorantreiben. Auch die Linkspartei plädiert in
ihrem Wahlprogramm für "eine bessere öffentliche Infrastruktur", lässt aber die Finanzierung offen.

Harsch kritisierte die Opposition in den vergangenen vier Jahren, dass die schwarz-gelbe Regierung zu wenig für die Binnennachfrage mache. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück möchte für die Bauvorhaben zum Teil privates Kapital lukrieren. Angesichts der niedrigen Zinsen sollen Fondsanleger in Verkehrswege oder Energieanlagen investieren und im Gegenzug eine festgesetzte Rendite erhalten. Dagegen würde sich die Linkspartei aber sträuben.

Heilt die Zeit die Wunden der Agenda 2010?

So groß die Schnittmengen zwischen SPD, Grünen und der Linkspartei sind, so vergiftetet war in den vergangenen Jahren das Gesprächsklima. Insbesondere zwischen Sozialdemokraten und der Linken herrscht schlechte Stimmung seit den Arbeitsmarkt- und Sozialreformen der Agenda 2010. Auch wenn die SPD mittlerweile selbst manche Reformen als zu harsch kritisiert, eine Rückkehr vieler Abtrünniger - insbesondere aus dem Gewerkschaftsflügel - ist nicht absehbar. Vielmehr erinnert die Linke gerne an diesen Reibebaum, denn damit stieg sie von einer reinen Ost-Partei zu einer gesamtdeutschen Kraft auf und verbesserte sich von vier Prozent bei der Bundestagswahl 2002 auf 8,7 und gar knapp elf Prozent in den Jahren 2005 und 2009.

SPD und Grünen können die Linke bis heute nicht marginalisieren. Gleichzeitig herrscht "Hass in der Bundestagsfraktion" gab Gysi 2012 zu - zwischen Pragmatikern im Osten und Sektierern im Westen.

Das Risiko einer Koalition wollen SPD und Grüne daher bis heute nicht eingehen.