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"Wollen kein neues Hilfspaket"

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik
"Ohne Schuldenschnitt geht es nicht" , meint Milios.
© fb

Chefökonom der führenden Oppositionspartei Griechenlands sieht keine Erfolge, aber steigende Verschuldung.


Athen. Eine neue Streikwelle lähmt das Land, die Regierung Samaras gerät wieder unter Druck. In jüngsten Umfragen liegt Griechenlands führende Oppositionspartei, das "Bündnis der Radikalen Linken" (Syriza), vor der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia. Am Freitag ist Syriza-Parteichef Alexis Tsipras zu Besuch beim Kreisky-Forum in Wien.

Syriza-Chefökonom Yannis Milios, 61, Professor für Volkswirtschaft an der TU Athen, erklärt im Interview die Positionen der Partei mit Blick auf ein neues Hilfspaket für das Euro-Sorgenkind, den kolportierten Schuldenschnitt und erläutert, was Syriza mit den Ölquellen in Griechenland und den reichen Hellenen unternehmen will.

"Wiener Zeitung":Herr Professor Milios, ist der Grieche an der Krise in seinem Land schuld?Yannis Milios: Sie sehen doch: Auch Portugal, Spanien, Italien, Zypern oder Irland sind Euro-Krisenländer.

Aber was ist zum Beispiel mit dem Übel der Steuerhinterziehung? Wer in diesem Sommer auf griechischen Inseln seinen Urlaub verbracht hat, hat aus erster Hand feststellen können: In kaum einer Taverne hat der Gast eine Quittung bekommen. Bleibt der Volkssport Steuerhinterziehung in Griechenland nicht ein Problem?

Keine Frage: Die "kleine" Steuerhinterziehung muss bekämpft werden. Aber mindestens genauso wichtig ist: Die Regierung tut weiter nichts gegen die Steuerhinterziehung im großen Stil. Daran hat die Krise nichts geändert.

Die Kleinen fängt man, die Großen lässt man laufen?

Das ist so. Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel: Ein derzeit amtierender Staatssekretär in der Athener Regierung, zuständig für die Bekämpfung von Korruptionsangelegenheiten, hat konkrete, technisch durchaus leicht umsetzbare Umschläge vorgelegt, um den verbreiteten Ölschmuggel in Griechenland seitens der hierzulande tätigen Ölgesellschaften effizient zu bekämpfen. Nach Einschätzung des Staatssekretärs könnte der Fiskus dadurch Steuermehreinnahmen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr realisieren, plus eine Milliarde Euro durch die Bekämpfung von Scheinrechnungen. Seine Vorschläge verstauben aber in der Schublade seines Büros. Sie brauchen sich nur anschauen, wem die Ölgesellschaften in Griechenland gehören, dann kann man sich darauf einen Reim machen.

Sie gehören Griechenlands Super-Reichen, den Oligarchen. Gibt es keinen Sinneswandel bei der Athener Regierung unter Premier Samaras? In Europa feiert man ihn als entschiedenen Reformer.

Nein. Der ist auch nicht zu erwarten. Die Regierung Samaras ist Teil eines korrupten Systems aus Politik, Wirtschaft und Medien. Das ist das Dreieck der Sünde.

In den vorigen Monaten hat in Europa der Eindruck geherrscht, das Euro-Sorgenkind Griechenland sei endlich auf einem Weg der Erholung, der Besserung. Hat Sie das jüngste Statement des deutschen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble - mitten im Wahlkampf vor der diesjährigen Bundestagswahl - überrascht, wonach Griechenland ab 2014 ein drittes Hilfspaket brauchen werde?

Wer geglaubt hat, die Lage in Griechenland hätte sich beruhigt, war einem Trugschluss unterlegen. Die Proteste der Bevölkerung haben sich auch in diesem Jahr fortgesetzt. Die Streikwelle rollt wieder. Das hat auch gute Gründe: Griechenland ähnelt mittlerweile mehr Taiwan, Südkorea oder Indonesien als dem, was wir als europäisches Modell bezeichnen. Das ist auch das eigentliche Ziel der in den letzten Jahren betriebenen Politik: eine "Asiatisierung" der Euro-Krisenländer wie Griechenland mit Dumpinglöhnen von 400 Euro. Aber die Menschen nehmen das nicht hin. Die angebliche Erfolgsstory in Griechenland ist ein Hirngespinst.

Die Athener Regierung verweist im Einklang mit Griechenlands Kreditgeber-Troika aber auf durchaus positive Ergebnisse der rigiden Sparpolitik: Die Handelsbilanz habe sich deutlich verbessert, Griechenland steuere erstmals nach 2002 wieder auf einen primären Haushaltsüberschuss zu, die Staatsschulden würden nicht mehr so stark ansteigen. Sind das alles Hirngespinste?

Es stimmt: Die früher chronisch negative Handelsbilanz ist mittlerweile fast ausgeglichen. Der Grund dafür ist aber der starke Einbruch bei den Einfuhren - und das nur rezessionsbedingt. Was den Primärüberschuss im Haushalt angeht: Er resultiert aus massiven Einschnitten bei den Löhnen, Gehältern und Renten sowie stark gesunkenen öffentlichen Investitionen. Ein Anstieg der öffentlichen und privaten Investitionen wird übrigens die Einfuhren wieder erhöhen. Das Scheitern der Krisenpolitik ist auf Anhieb zu sehen, nimmt man die Entwicklung von Griechenlands Staatsschulden unter die Lupe. Sie steigen weiter an. Zwar nicht mehr so stark wie früher. Gemessen an der Wirtschaftsleistung aber hat die Schuldenlast schwindelerregende Höhen erreicht. Griechenlands Staatsschuld ist nicht tragfähig.

Braucht Griechenland ein neues Hilfspaket?

Die Position von Syriza ist klar: Wir wollen kein neues Hilfspaket. Herr Schäuble - oder wer auch immer deutscher Finanzminister sein wird - kann sein Geld behalten. Solche Kredite erhöhen nur den Schuldenstand. Wir wollen kein Fass ohne Boden sein.

Griechenland ist sehr reich an Bodenschätzen. In wenigen Jahren soll mit der Ausbeutung neuer Erdöl- und Gasverkommen in der Ägäis begonnen werden. Was will Syriza mit den Einnahmen tun? Könnte mit den betreffenden Erlösen nicht die Schuldenkrise endgültig überwunden werden?

Wir favorisieren das Modell Norwegen. Das bedeutet: Die künftigen Erlöse aus dem Erdöl- und Gasgeschäft bleiben in nationaler Hand. Sie fließen ausdrücklich nicht in die Bedienung der Auslandsschulden, sondern kommen den gesetzlichen Renten- und Gesundheitskassen zugute.

Griechenland hatte per Ende Juni 321 Milliarden Euro Schulden. Gläubiger ist fast ausschließlich die Kreditgeber-Troika aus EU, EZB und IWF. Syriza-Chef Tsipras hat kürzlich hervorgehoben, dass er als Regierungschef "entschiedene Neuverhandlungen in Sachen Staatsschulden" mit der Troika führen werde. Was heißt das?

Ohne Schuldenschnitt geht es nicht. Zudem muss ein Moratorium für die Tilgung der verbleibenden Kredite mit der Verankerung einer Wachstumsklausel vereinbart werden. Das Motto muss lauten: Nur wenn die Wirtschaft wieder wächst, braucht Griechenland seine verbliebenen Schulden zu bedienen. Übrigens war genau das das Modell der Tilgung von Deutschlands Staatsschulden, das im Jahre 1953 auf dem Londoner Kongress vereinbart wurde.