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"Man sieht es ein, oder es knallt"

Von Konstanze Walther

Politik
"Es ist keine produktive Haltung, wenn jemand meint, dass er arbeiten ,muss‘", meint dm-Gründer Götz Werner.
© dm

Unternehmer und Philanthrop setzt sich für das Ende der Armut in Deutschland ein.


"Wiener Zeitung":Herr Werner, Sie sind Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens und haben ein Buch über das Thema geschrieben. Sie sind auch Unternehmer und Gründer der Drogeriemarkt-Kette dm. Wie viel würde einem Lehrling bei dm (im Unternehmensjargon: "Lernling") über das Grundeinkommen bezahlt werden?Götz Werner: Ich habe einen anderen Denkansatz: Der junge Mensch kommt doch auf die Welt, geht in die Schule, bildet sich, um dann die Welt zu ergreifen. Und dazu macht er eine Lehre, damit er das, was er ergreifen will, besser versteht. Diese Entwicklung steht im Vordergrund. Dazu braucht er aber ein Einkommen. Ein Einkommen, das so hoch ist, dass er davon leben kann. Hier wird sich zeigen müssen, welches Einkommen sich einpendelt - auf der Basis eines Grundeinkommens. Auf jeden Fall muss man, damit sich die besten Lernlinge in das Unternehmen einbringen, attraktive Arbeitsplätze anbieten. Wie groß die Attraktion des Lohnes sein muss, das orientiert sich daran, wie attraktiv der Arbeitsplatz sonst ist.

Sie glauben, es wollen alle aufstehen und anpacken.

Ich glaube es nicht, ich kann es beobachten: Der Mensch will arbeiten. Der Mensch ist ein Tätigkeitswesen. Wenn er nichts tun will, dann ist es ein Problem der Sozialisierung.

Wer wehrt sich denn in Deutschland gegen das Grundeinkommen?

Jeder, der die Idee nicht denken kann oder will, das ist in Deutschland genauso wie in Österreich. Spießer zum Beispiel.

Weil die Länder voll mit Spießern sind?

Weil Menschen zum Spießertum - zum Erstarren, zum Festhalten - tendieren.

Läuft es nicht eher auf eine Neid-Debatte hinaus? Nach dem Motto: Wieso sollte wer anderer etwas bekommen, wenn ich arbeiten muss?

Wenn ich das mache, worin ich einen Sinn sehe, womit ich mich identifizieren kann, dann ist Arbeit nie Müssen. Es ist keine produktive Haltung, wenn man meint, dass man arbeiten "muss". Wenn Sie wirklich Journalistin sein wollen, dann ist das keine Arbeit, die Sie machen müssen, sondern eine sinnvolle Tätigkeit, die Sie machen wollen.

Ich nehme an, dass viele Angestellte zwar Sinnvolles tun möchten, aber die Chefetagen mitunter Richtungen vorgeben, in denen man nicht den Sinn sieht.

Gerade deswegen braucht es ja ein Grundeinkommen, damit jeder sagen kann: "Nicht mit mir. Das ist ja alles ganz nett, aber es entspricht nicht meinen Vorstellungen. Ich mache jetzt was anderes." Das Grundeinkommen versetzt den Menschen in die Lage, Nein sagen zu können.

Am Sonntag sind Wahlen in Deutschland. Welche Partei steht Ihnen am nächsten?

Gar keine. Wählen gehe ich aber trotzdem.

Wie stehen die deutschen Parteien zum Grundeinkommen?

Es gibt in jeder Partei Strömungen zum Grundeinkommen, aber bislang meist nur an der Basis. Von der SPD und vielen linksorientierten Politikern wird die Idee abgelehnt. Je mehr eine Partei linksorientiert ist, desto mehr hängt sie am Arbeitsfetisch.

Bei der CDU gibt es Vertreter des Grundeinkommens?

Der ehemalige Ministerpräsidenten von Thüringen hat dafür plädiert (Dieter Althaus, Anm.).

Der ist damit nicht weit gekommen.

Das ist eine andere Frage. Aber solche hochrangigen Vertreter hat es bei der SPD nie gegeben. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat erst vor kurzem gesagt, dass das Grundeinkommen ein Affront für arbeitende Menschen sei.

In Österreich ist es umgekehrt. Da stehen eher die Linksparteien für ein Grundeinkommen.

Trotzdem sind es die linksorientierten Parteien, die letzten Endes über die Identifikation mit der Arbeit groß geworden sind.

Sie plädieren für ständige Erneuerung, sowohl in Unternehmen als auch in anderen Lebenslagen. In der EU und in Deutschland scheint es aber mehr auf Erstarren und Festhalten hinauszulaufen.

Erneuerung bedeutet Entwicklung. Und Entwicklung erfolgt, das können Sie bei Kindern beobachten, immer schubweise. Bei Kindern scheint es manchmal, als tue sich gar nichts, dabei passiert viel. Man kann sagen, Entwicklung verläuft wie ein Schwelbrand. Keiner merkt was, man riecht nur ab und zu was und plötzlich macht irgendwer eine Tür auf und das Haus steht in Flammen.

Wonach riecht es in Deutschland?

Es riecht nach Veränderung, weil viele Menschen merken, dass es im Sozialen so nicht weitergeht. Der Mensch lernt durch Einsicht oder Katastrophen. Entweder man sieht es ein, oder es knallt.

Es schaut doch ganz gut aus für die CDU, dass sie in der Regierung bleibt und nicht so schnell den Karren an die Wand knallt.

Die Probleme, die wir haben, werden nicht dadurch gelöst, dass die CDU in der Regierung bleibt. Die Bürger sind der Souverän und die Politiker können nur das umsetzen, was die Menschen verstehen. Es braucht einen Wandel im gesellschaftlichen Bewusstsein. Probleme lösen Sie nicht, indem Sie es genauso machen wie vorher, sondern es anders machen.

Was sind die Probleme, an denen Deutschland arbeiten muss?

Die Einkommensfrage! Uns ging es noch nie so gut wie heute. Anders gesagt, die Gemeinschaft in Deutschland, in Österreich gleichermaßen, ist in der Lage, so viele Güter und Dienstleistungen hervorzubringen wie noch nie zuvor. Die Frage ist: Wieso leisten wir uns Armut? Es ist ein Problem, dass wir die Einkommensfrage nicht hinterfragen. Wir verkoppeln immer noch Arbeit mit Einkommen: Das Einkommen "klebt" an der Arbeit anstatt am Menschen. Wenn Arbeit wegrationalisiert wird, ist es ja das Beste, was passieren kann. Stellen Sie sich vor, Sie müssten Ihre News wie früher schreiben, mit Stenografie und Fernschreiber. Rationalisierung ist gut, der Mensch muss befreit werden von stupider und monotoner Arbeit. Aber das Einkommen darf deswegen nicht verschwinden. Das Einkommen muss am Menschen hängen. Das ist die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Das Problem ist, dass wir meinen, die Arbeit würde bezahlt werden. Das ist ein Irrtum. Was bezahlt werden muss, ist, dass Sie beispielsweise in der Lage sind, dieses Interview zu führen. Das Interview an sich ist unbezahlbar. Oder wie wollen Sie den Wert des Interviews messen? Oder den Wert der Arbeit eines Lehrers oder eines Richters? Also ist Einkommen nicht die Bezahlung der Arbeit, sondern die Ermöglichung der Arbeit. Das ist eine kopernikanische Wende in unserem Denken. Dieser Bewusstseinswandel ist eine große Herausforderung.

Sie halten auch Vorträge über Nachhaltigkeit. Auf Konsumenten-Webseiten werden Ihrem Unternehmen Rosen gestreut, nur beim Themenbereich Palmöl schneidet dm nicht so gut ab. Oft kann man nicht sehen, weder bei Ihnen, noch bei der Konkurrenz, ob sich es um Palmöl handelt und aus welchem Land es kommt. Umweltschutz-NGOs weisen darauf hin, dass Palmöl oft aus Gegenden kommt, in denen Urwald gerodet wird, um die Palmen anzupflanzen und so einen negativen Beitrag zur CO2-Bilanz leistet.

Wenn ein Hersteller Palmöl verarbeitet und Kunden diese Produkte kaufen wollen, kann sich ein Händler nicht leisten, die Produkte auszulisten.

Ist es ein Spagat, den Konsum fördern zu wollen und auf Nachhaltigkeit zu setzen?

Sie dürfen sich als Händler nicht verführen lassen, den Kunden dazu animieren zu wollen, etwas zu kaufen, was er in Wirklichkeit nicht braucht. Das ist der wesentliche Punkt. Den größten Nachhaltigkeitseffekt hätten wir als Gesellschaft, wenn wir alles das, was wir nicht brauchen, auch nicht kaufen würden. Drei Bohrmaschinen. Vier Computer. Egal was. Das ist ein Problem der Werbung. Und das ist auch der Grund, warum wir bei dm keine Sonderangebote machen. Schon seit 20 Jahren nicht mehr. Damals hatte ich gesagt: Wir machen keine Sonderangebote mehr. Warum? Weil die Kunden nur die Dinge kaufen sollen, die sie wollen, und nicht die, die wir wollen. Die Antwort war: "Herr Werner, sind Sie wahnsinnig geworden?"

In meiner dm-Filiale sehe ich schon noch Sonderangebote.

Die "Preiszuckerln", oder? Da unterscheidet sich das Marketing von dm Deutschland und dm Österreich.

Das Gespräch fand anlässlich der GDI-Handelstagung in Zürich statt.