Zum Hauptinhalt springen

Vatikan: Revolution von oben

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik

Franziskus: Kirche soll sich nicht nur mit Homo-Ehe und Abtreibung befassen.


Rom. Die Suite im Gästehaus von Santa Marta beschreibt Antonio Spadaro so. "Einfach, ja karg." Der Arbeitsplatz am Schreibtisch sei sehr schlicht. "Es gibt wenige Bücher, wenig Papier, wenige Kunstgegenstände." Nur eine Ikone des Heiligen Franziskus von Assisi, eine Statue der Schutzpatronin Argentiniens und ein kleiner, schlafender Josef. So sieht es aus in Suite Nummer 201. Es ist der Raum, von dem aus der Papst die Weltkirche steuert. Seinen Gast lässt er auf einem bequemen Stuhl Platz nehmen, Franziskus selbst setzt sich auf einen "höheren und härteren Sessel - wegen seiner Rückenprobleme". Es ist das erste große Interview seines Pontifikats.

Insgesamt sechs Stunden hat Spadaro, Chefredakteur der Jesuiten-Zeitschrift "Civiltà Cattolica", an drei verschiedenen Tagen Ende August mit dem Jesuiten Franziskus verbracht. Das auf 29 Seiten gedruckte Gespräch wurde in 16 Jesuiten-Zeitschriften der ganzen Welt veröffentlicht. Der Papst erklärt seine bisherigen Äußerungen, die viele Menschen aufhorchen haben lassen, etwa zu Homosexualität und Frauenordination. Erstmals skizziert er ausführlich, wie er sich die Weltkirche unter seiner Führung vorstellt. "Wir müssen auch ein neues Gleichgewicht finden, sonst fällt auch das moralische Gebäude der Kirche wie ein Kartenhaus zusammen", sagt Franziskus. Er hat eine Kirche vor Augen, die zwar in einigen Fragen an den bisherigen Dogmen festhält, aber sie doch in Ton und Umgang aufzuweichen versucht. Ein Paradox?

"Kirche ist wie ein Lazarett nach der Schlacht"

"Ich sehe die Kirche wie ein Feldlazarett nach einer Schlacht", sagt der Papst. "Man muss die Wunden heilen. Dann können wir von allem anderen sprechen." Der Papst spielt auf dogmatische Probleme an, die viele Gläubige beschäftigen oder zur Abkehr vom Katholizismus bewogen haben. "Die Kirche hat sich manchmal in kleine Dinge einschließen lassen, in kleine Vorschriften." Ist die rigide Haltung der Kirche zur Homosexualität plötzlich nur noch eine "kleine Vorschrift"? "Ich bin ein Sohn der Kirche", hält Franziskus fest und ordnet sich so den bestehenden Dogmen unter. Doch für ihn stellt sich auch eine Frage des Umgangs, des Tons, der Papst nennt es "Barmherzigkeit". "Wir können uns nicht nur mit der Frage um die Abtreibung befassen, mit homosexuellen Ehen, mit Verhütungsmethoden. Das geht nicht." Die Ansichten der Kirche seien bekannt, ihm sei vorgeworfen worden, "nicht viel über diese Sachen" gesprochen zu haben. "Aber man muss nicht endlos davon sprechen."

Es klingt, als sei die Vermeidung der Probleme die Lösung. Aber damit wird man den Worten des Papstes nicht gerecht. Es geht ihm um eine neue Offenheit im Rahmen des Katechismus. In Buenos Aires habe er Briefe von homosexuellen Personen erhalten, die "soziale Wunden" seien, weil sie sich "immer von der Kirche verurteilt" gefühlt hätten. "Aber das will die Kirche nicht", sagte der Papst. Es dürfe keine Einmischung in das persönliche Leben geben.

Einmal habe ihn jemand provozierend gefragt, ob er Homosexualität billige. Daraufhin habe er sein Gegenüber gefragt, ob Gott eine homosexuelle Person mit Liebe anschaue oder sie verurteile oder zurückweise. Man müsse immer die Person anschauen. Franziskus schlägt einen versöhnlichen, offenen Ton an und bewegt sich doch im Rahmen des Dogmas. So hat er seit Beginn des Pontifikats neugierig gemacht, die Atmosphäre verändert, nicht aber mit katholischen Inhalten gebrochen.

Ähnlich denkt der Papst über die Rolle der Frau in der Kirche. "Die Räume einer einschneidenden weiblichen Präsenz in der Kirche müssen weiter werden", fordert Franziskus und wirft damit die Frage der Frauenordination auf. Die Frauen stellten "tiefe Fragen, denen wir uns stellen müssen". "Die Frau ist für die Kirche unabdingbar", sagt Franziskus und wiederholt seine Forderung der Ausarbeitung einer Theologie der Frau. Der "weibliche Genius" sei nötig an den Stellen, "wo wichtige Entscheidungen getroffen werden". "Die Herausforderung heute ist: Reflektieren über den spezifischen Platz der Frau gerade auch dort, wo in den verschiedenen Bereichen der Kirche Autorität ausgeübt wird."