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Neustart auf ausgetretenem Pfad

Von Alexander Dworzak

Politik

Rot-gelb-grüne Ampelkoalition in Hessen könnte erster Testlauf sein.


Berlin/Wien. Mindestlohn, Frauenquote in Aufsichtsräten, Mindestrente, Infrastrukturprogramme und Steuererhöhungen: SPD und Grüne haben im Wahlkampf ganz auf das linke Stimmenpotenzial gesetzt, die Linkspartei ohnehin. Das Ergebnis war fatal: Nur 43 Prozent der Stimmen erreichten die drei Parteien zusammengezählt bei der Bundestagswahl, vor elf Jahren lagen sie noch bei 51 Prozent. Die CDU fuhr einen fulminanten Sieg ein. Rot-Grün vernachlässigte die Wähler des Zentrums, lautet die erste Diagnose. Die Kur haben Eilige auch parat: ab in die Mitte!

Die vermeintliche Mitte ist ein Tummelplatz der Parteien. Sowohl Sozialdemokraten, Christkonservative als auch Liberale verorten sich gerne dort: Gerhard Schröder rief "Die neue Mitte" 1998 als neues Zielpublikum aus; mit der Taktik eroberte der SPD-Kandidat nach 16 Jahren Durststrecke wieder das Kanzleramt für seine Partei. Er präsentierte als Zeichen der inhaltlichen Öffnung Unternehmer Jost Stollmann als künftigen Wirtschaftsminister - der trat sein Amt nie an.

Lediglich zwei Wörter brauchte die CDU 2007 für die Selbstpositionierung: "Die Mitte" hieß das Motto des Parteitags, bei dem ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet wurde. Dieser Kernbotschaft sind die Christdemokraten seitdem treu. Und bereits seit Jahrzehnten pflegt die FDP ihr Image als Zentrumspartei; sie plakatierte im Wahlkampf 1957 die Partei als "Goldene Mitte" - stilisiert in Form einer ägyptischen Pyramide - zwischen SPD und CDU. Der neue starke Mann bei den Freidemokraten, Christian Lindner, weiß schon ein Rezept aus der Krise: Eine "respektierte Partei der gesellschaftlichen Mitte" soll die FDP in den Augen des 34-Jährigen werden. Wege dorthin sind noch nicht bekannt, dafür gibt es bereits einen Arbeitstitel für den Wiedereinzug in den Bundestag: "Projekt 2017".

Logik aus den 1970ern statt Antwort auf heutige Fragen

Man wähnt sich zurückversetzt, als es noch starke linke und rechte Lager gab und eine kleine Minderheit namens FDP den Mehrheitsbeschaffer spielte. Heute gibt es Grüne, Piraten, AfD und andere politische Konkurrenten, mehr Wechsel- als Stammwähler, Patchwork-Ideologien, die Mitgliederzahlen der Parteien haben sich halbiert, die Medienlandschaft ist völlig verändert. Aus unbefristet Beschäftigten wurden Leiharbeiter oder Minijobber, die nicht mehr als 400 Euro verdienen.

Wer auf diese Probleme - scheinbar - Antworten findet, wird von den Bürgern belohnt, nicht wer Strickmustern aus den 1970ern folgt. Die CDU übernahm ganz selbstverständlich "sozialdemokratische" Themen wie die flächendeckende Kindergartenbetreuung oder schaffte die Wehrpflicht ab. Wichtig ist, dass eine Partei Standpunkte vertritt: Die FDP hatte keine, daher flog sie aus dem Bundestag. Rot-Grün-Rot hatten zu ähnliche und sich damit selbst das Wasser abgegraben. 18 Millionen Deutsche, so viele wie 2009, gingen am Sonntag nicht zur Wahl, vor acht Jahren waren es noch vier Millionen weniger. Den Sozialdemokraten gelang es abermals nicht, diese Wähler zu mobilisieren.

Schwerpunkte dürfen sich ändern, Regierungskonstellationen auch. Gerade hier zeigen sich die deutschen Parteien erstaunlich starr. Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb lautet die Losung. Vor 31 Jahren wandte sich die FDP von ihrem Koalitionspartner SPD ab und lief zu den Konservativen über. Nun stehen die Liberalen vor den Trümmern und könnten sich für andere Bündnisse öffnen - ebenso die Grünen.

Eine erste Gelegenheit wäre eine Ampelkoalition in Hessen: Die dortigen Wahlen am Sonntag brachten für beide traditionellen Koalitionen keine Mehrheit, SPD Grüne und Liberale könnten knapp eine Regierung bilden. Auf keinen Fall, poltert Hessens FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn kurz vor seinem Rückzug. Eine Premiere wäre die Ampel jedoch nicht: 1991 bis 1995 regierten die drei Parteien in Bremen, in einzelnen Städten wie Bielefeld, Mönchengladbach und Trier funktioniert das Bündnis bis heute.

Rot, Grün und Gelb können trefflich über die Energiewende streiten, besonders trennen sie atmosphärische Differenzen. Wenn die Grünen paternalistisch einen "Veggie Day" fordern, stellt es FDP-Funktionären die Nackenhaare auf. Vielleicht mag auch Pragmatismus zum Umdenken bewegen: Als Regierungspartner wäre die FDP medial stärker präsent als von der harten Oppositionsbank. Und besser ein "Veggie-Day" als gar nicht mehr an den fleischlosen Töpfen der Macht.