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Ein Pakt für Europas Industrie

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Seit 2008 sind vier Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen.


Brüssel. Sie ist ein wenig besser - aber gut ist die Lage noch immer nicht. Wenn EU-Kommissar Antonio Tajani von seinem Zuständigkeitsgebiet, der europäischen Industrie, spricht, dann bemüht er sich zwar um Optimismus. Doch muss er dann gleich wieder einschränken. So sei ein schüchterner wirtschaftlicher Aufschwung in der EU zu bemerken, "aber die Industriebasis geht weiter verloren", erklärte Tajani.

Seine Analyse fußt auf zwei Berichten zur Wettbewerbsfähigkeit des verarbeitenden Gewerbes in der EU, die die Behörde in Brüssel vorgestellt hat. Und die Untersuchungen zeigen, wie weit die Union von den Zielen der Kommission entfernt ist. Tajani würde nämlich gerne den Anteil der Industrieproduktion auf 20 Prozent der Wirtschaftsleistung heben. Dafür fehlen aber im EU-Schnitt an die fünf Prozent. Österreich liegt nur knapp unter der Zielvorgabe, Deutschland etwas darüber. Trotzdem gehören die beiden Länder zu der größten Gruppe von Staaten, wo die Produktion noch nicht wieder das Vorkrisen-Niveau erreicht hat. Lediglich in Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und der Slowakei weisen die Zahlen auf eine Erholung der Industrie seit 2008 hin.

Ähnlich sind in den meisten Ländern hingegen die Klagen aus Industriekreisen. Es mangle an Investitionen, hohe Energiekosten schmälern die Wettbewerbsfähigkeit, der Zugang zu Krediten sei schwieriger geworden, und die bürokratischen Hürden sind teils noch immer hoch. Eine breit angelegte EU-Industriepolitik existiert sowieso nur auf dem Papier; zur Stärkung dieses Zweiges ist kaum etwas getan worden. Fast vier Millionen Arbeitsplätze sind in den vergangenen fünf Jahren dort verloren gegangen.

Das muss auch die Kommission zugeben. "Wir haben uns in den letzten Jahren sehr auf Haushaltskonsolidierung konzentriert", räumte Tajani ein. Die Wirtschaftspolitik habe sich vor allem auf die Regelung der Finanzen beschränkt. Dabei müsste es neben einem Fiskalpakt für mehr Budgetdisziplin auch einen Industriepakt geben, der etwa für mehr Investitionen sorgt. Die Vernachlässigung hat ihre Konsequenzen: "Das postindustrielle Europa war kein Erfolg", konstatierte der Kommissar.

So hat die EU auch beim verarbeitenden Gewerbe und in der Forschung an Vorsprung gegenüber anderen Wirtschaftspartnern eingebüßt. Im Vergleich zu den USA kann sie beispielsweise nur noch in drei von acht Industriebereichen bessere Forschungsergebnisse aufweisen. Laut Kommission gehören zu diesen Gebieten Luft- und Raumfahrt sowie Arzneimittel.

Verglichen mit den Vereinigten Staaten hat sich ebenfalls die Arbeitsproduktivität negativer entwickelt, und auch die Arbeitslosenrate stellt ein größeres Problem dar. So waren es vor allem die Exporte, die die europäische Industrie angetrieben haben. Das müsse sich ändern, befindet die Kommission und arbeitet an einer Industrie-Initiative, über die die Staats- und Regierungschefs der EU bei einem Treffen im kommenden Februar beraten sollen.

Vernachlässigter Bereich

Das sei auch hoch an der Zeit, heißt es aus Wirtschaftskreisen. "In den letzten Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten, ist vor allem der Bereich der Dienstleistungen gefördert worden - und Industrie war assoziiert mit Umweltverschmutzung oder minderer Qualifikation", stellt Markus Stock fest. Daher begrüßt der Leiter des EU-Büros der Wirtschaftskammer Österreich, dass nun auch "langsam" wieder die Bedeutung des verarbeitenden Gewerbes erkannt werde: "Denn wenn die Industrie abwandert, wandern Forschung und Innovation ebenfalls ab." Und umgekehrt habe sich gezeigt, dass starke Industriestandorte wie Österreich "gut über die Krise gekommen sind".

Dem Land bescheinigt auch die EU-Kommission eine gute Entwicklung. Es liegt bei der Wettbewerbsfähigkeit - gemeinsam mit Deutschland, Dänemark, Luxemburg und Schweden - im Spitzenfeld der 28 Unionsmitglieder. Beim Innovationsanzeiger belegt es Platz neun. "Österreich verfügt über ein günstiges Umfeld für Unternehmen und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft", ist in dem Bericht der Brüsseler Behörde zu lesen. Untersucht wurden dabei Indikatoren wie Arbeitsproduktivität, Ausbildung, Energiekosten oder Zugang zu Krediten. Arbeitslosigkeit war hingegen kein Kriterium.

Doch auch wenn in Österreich laut der Studie kurzfristig nicht "mit größeren Engpässen" zu rechnen sei, müsse es als "entwickeltes Hocheinkommensland" einige strukturelle Schwächen überwinden. Handlungsbedarf orten die Experten etwa in den Bereichen Bildung, Forschung und Innovation. Ein Risiko - trotz der hohen Produktivität des Landes - stelle auf längere Sicht ebenfalls der Mangel an Fachkräften und Forschern dar. Eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, wäre es, die Qualifikationen von Migranten zu nutzen.