Zum Hauptinhalt springen

Rotes Koalitionsdilemma

Von Alexander Dworzak

Politik

Heute, Freitag, berät der SPD-Konvent über Koalitionsverhandlungen mit der CDU.


Berlin/Wien. Hängende Köpfe, ins Leere starrende Blicke und Hände, die sich an mit Bier gefüllte Plastikbecher klammern; die Wahlparty der SPD im Willy-Brandt-Haus vor einer knappen Woche geriet ob des Wahlergebnisses zum Stimmungskiller. Und auch heute, Freitag, wird die Laune in der Berliner Parteizentrale verhalten sein, wenn sich 200 Delegierte zum Konvent treffen. Funktionäre aus Bund und Ländern beraten, ob Koalitionsgespräche mit dem konservativen Wahlsieger aufgenommen werden sollen. Ja, wird wohl die Antwort lauten. Doch weiter geht der Konsens bei der SPD derzeit nicht.

"Opposition ist Mist", schärfte der damalige SPD-Parteichef Franz Müntefering seinen Genossen bei Eintritt in die große Koalition 2005 ein. Das Bündnis mit der CDU funktionierte inhaltlich, nach Ausbruch der Finanzkrise navigierte der damalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel den Tanker Deutschland sicher durch stürmische Zeiten. Belohnt wurden dafür andere: Von 34,2 Prozent stürzte die SPD auf 23 Prozent ab; Konservative und Liberale bildeten daraufhin eine Koalition. Die Abstrafung bei der Wahl 2009 haben die Genossen nicht vergessen.

Aus zwei undankbaren Möglichkeiten müssen die Sozialdemokraten nun wählen: weitere vier Jahre in der Opposition oder nochmals Juniorpartner der CDU, die auch mit den Grünen koalieren könnten. Die SPD-Spitze wehrt sich gegen die Avancen der Linkspartei - sie will den gesetzlichen Mindestlohn mit SPD und der Öko-Partei einführen und einen Entscheid der Mitglieder aller drei Parteien, ob es eine rot-rot-grüne Koalition geben soll. In der SPD-Basis wird die Abgrenzung zur laut SPD-Granden nicht paktfähigen Linkspartei heftig kritisiert, genauso die Aussicht auf Schwarz-Rot. "90 Prozent meines Landesverbands sind gegen die große Koalition", ließ Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ausrichten. Ihr Wort hat Gewicht, die Landeschefin gilt als Kanzlerkandidatin für die Wahl 2017. Mit zur Schau gestellter Ablehnung will die 52-Jährige den Preis für eine Zusammenarbeit zwischen Rot und Schwarz in die Höhe treiben. Und sie bringt Parteichef Sigmar Gabriel unter Zugzwang, als deren mögliche Nachfolgerin Kraft gilt.

Mitsprache - aber wie viel?

Von 42 auf 49 Prozent möchte die SPD den Spitzensteuersatz für Jahreseinkommen ab 100.000 Euro erhöhen. Nicht mit uns, bloß keine weiteren Belastungen, riefen die CDU-Granden im Wahlkampf empört. Nun signalisiert Finanzminister Wolfgang Schäuble Kompromissbereitschaft. Auch Krafts konservativer Kontrahent in Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, deutet ein Einlenken an: "Natürlich werden wir in allen Themen kompromissbereit sein müssen. Sonst kriegen wir keine Koalition hin", sagte er gegenüber der "Welt". CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe dementiert hingegen eilig ein Einknicken in der Steuerfrage. Die typischen Verwirrungsspiele vor Koalitionsverhandlungen haben wieder Saison.

Ernst nehmen muss die SPD aber den Unmut an der Basis. Die Mitglieder sollen daher in die Koalitionsentscheidung eingebunden werden. "Mehr Legitimation als früher", verspricht Sigmar Gabriel, bleibt aber konkrete Vorschläge schuldig. Der SPD-Chef muss einen Balanceakt bewältigen: Das Heft des Handelns will er sich nicht von den Genossen aus der Hand nehmen lassen, gleichzeitig muss Gabriel den 470.000 Mitgliedern das Gefühl geben, sie ernst zu nehmen. Möglich wäre daher eine Abstimmung über einen bereits mit der CDU ausgehandelten Koalitionsvertrag, der bei Steuern, Infrastrukturmaßnahmen und Kinderbetreuung eine sichtbare sozialdemokratische Handschrift trägt und der der SPD Schlüsselressorts im Kabinett Merkel III zugesteht.

Dass Opposition nicht das Allheilmittel ist, erlebte die SPD in den vergangenen vier Jahren nicht zuletzt in der Europapolitik. Alle wichtigen Maßnahmen wie der Euro-Rettungsschirm wurden von den Sozialdemokraten und der Öko-Partei gemeinsam mit der Regierung getragen - Rot-Grün konnte Merkels Austeritätspolitik im Wahlkampf daher nur mit angezogener Handbremse kritisieren. Dieses Dilemma würde sich in der Opposition fortsetzen. Als Regierungspartei ließe sich gestaltend eingreifen, ein Korrektiv zum strikten Sparkurs der Kanzlerin bilden und so die Binnennachfrage in den Krisenländern Spanien, Griechenland, Portugal und Italien ankurbeln.