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Häupl hat es "viel, viel leichter"

Von Michael Schmölzer aus Bratislava

Politik
Bürgermeister Ftacnik - der Sozialdemokrat regiert gegen eine konservative Mehrheit.
© archiv

"Machtmissbrauch": Milan Ftacnik rechnet mit der Ära Meciar ab.


"Wiener Zeitung": Sie waren früher Bürgermeister von Petrzalka. Die Plattenbau-Kolosse aus der kommunistischen Ära winken nach Österreich herüber und machen oft einen ziemlich baufälligen Eindruck. Gibt es ein langfristiges Konzept, was mit den Siedlungen geschehen soll?

Milan Ftacnik: 95 Prozent der Wohnungen sind hier - im Gegensatz zu Wien - in privaten Händen. Die Regierung hat in den frühen 90er Jahren beschlossen, die Wohnungen zu verkaufen. Sehr billig, um 1000 bis 2000 Euro vielleicht. Jetzt sind sie 100.000 bis 150.000 Euro wert. Damit haben die Menschen aber auch die undichten Fenster und die schadhaften Dächer mitgekauft. Die Eigentümer haben Kredite aufgenommen und begonnen, die Blocks zu renovieren.

Also werden die Plattenbauten nicht einstürzen?

Das werden sie nicht. Manche Häuser entwickeln sich besser, manche weniger gut, aber der Betondschungel wird sich zu etwas Anderem entwickeln. Das Problem ist für die nächsten 20 oder auch 50 Jahre aus der Welt.

Bleiben wir in der kommunistischen Zeit: 1988 hat es Pläne gegeben, dass Bratislava eine U-Bahn bekommen soll. Können Sie sich das heute noch als Option vorstellen oder sind die Pläne endgültig ad acta gelegt?

In Prag wurde eine U-Bahn gebaut, also war es der Traum, dass Bratislava auch eine bekommt. Aber Bratislava hat 450.000 Einwohner und nicht eine Million, die man normalerweise für eine U-Bahn braucht. Es wurden Alternativen zur U-Bahn geschaffen. Wir haben uns zuletzt auf die Straßenbahn geeinigt.

Nach dem EU-Beitritt der Slowakei 2004 sollten Wien und Bratislava zu eng kooperierenden "Zwillingsstädten" werden, die Erwartungen waren enorm hoch. Läuft da etwas schief?

Ich würde nicht sagen, dass etwas schiefläuft, aber: Es wird nicht das volle Potenzial ausgeschöpft, das beide Städte haben. Sie wissen zum Beispiel, wie lange es gedauert hat, bis Österreich die Autobahn nach Bratislava gebaut hat. Da waren die Probleme auf der österreichischen Seite. Eine Angst, dass viele Slowaken dann nach Österreich kommen werden.

Aber was funktioniert denn heute nicht gut?

Das Potenzial im Bereich Kultur ist vielleicht nicht zu 100 Prozent ausgeschöpft. Man könnte die kulturellen Veranstaltungen koppeln, das geschieht nicht so oft, wie wir das gerne hätten. Es kommen 7 bis 8 Millionen Touristen nach Wien, 800.000 nach Bratislava. Wir versuchen zu erreichen, dass Touristen, die nach Wien kommen, ein oder zwei Tage nach Bratislava kommen.

Die Fremdenführer sollten Touristen von Wien nach Bratislava schleusen?

Ja, denn Bratislava ist so nahe. Sie könnten ein bis zwei Tage hierher kommen, die Stadt entdecken und dann wieder für eine Woche kommen. Das ist das Potenzial, das wir haben.

Bratislava war zuletzt eine Art Party-Stadt für Touristen aus Großbritannien. Hat man sich von diesem Konzept komplett verabschiedet? Wie sind die neuen Pläne?

Wir verkaufen Bratislava nicht mehr als Party-Stadt, das ist vorbei. Wir haben jetzt Familien-Angebote, Leute, die sich für die glorreiche Vergangenheit interessieren. Früher wurden die ungarischen Könige hier gekrönt, auch Maria Theresia. Wir setzen auf Historie. Natürlich hat Wien hier das Gleiche zu bieten...

...ich würde sagen: Wien hat hier viel mehr zu bieten ...

...viel mehr, viel mehr. Aber was Bratislava betrifft, wäre das etwas, was wir gerne anbieten würden. Wir würden Bratislava gerne als Stadt des Weins und der Gastronomie präsentieren, als Ort der Ruhe für Familien.



Bratislava ist traditionell konservativ, im Gemeinderat hier gibt es auch keine linke Mehrheit. Werden Sie als Sozialist nicht neidisch, wenn sie nach Wien blicken? Häupl hat eine solide Mehrheit im Rücken?

Ja natürlich (lacht). Wenn Sie eine Mehrheit haben, ist es viel, viel einfacher, die Pläne, Ziele und Versprechungen umzusetzen. Unser System hier ist schwieriger und vergleichbar mit der Kohabitation in Frankreich. Mitterrand war Sozialdemokrat und war mit einer konservativen Mehrheit im Parlament konfrontiert. Ich empfinde es als Herausforderung.

Der Gegner kooperiert?

Wir finden Kompromisse und Übereinkünfte. Es ist nicht leicht, aber es funktioniert.

Werden Sie im kommenden Jahr wieder zur Wahl antreten?

Ja, aller Voraussicht nach. Ich hoffe, dass mich Smer (die regierenden slowakischen Sozialisten, Anm.) einmal mehr unterstützen. Aber ich werde nicht der offizielle Kandidat der Smer sein. Ich halte es für realistisch, dass mich auch ein oder zwei konservative Parteien unterstützen werden.

Im slowakischen Parlament hat es vor einiger Zeit eine wüste Schlägerei zwischen Mandataren gegeben. Eine der Interpretationen war, dass die Politiker und Menschen angesichts der Dominanz der Sozialisten frustriert sind. Ist das der Fall?

Es handelt sich hier aus meiner Sicht um das Problem eines sehr extravaganten Politikers. Man macht es sich zu leicht, wenn man sagt, "die sind frustriert". Normale Menschen verhalten sich nicht so. Der Politiker kommt aus einer Protestpartei, den "Gewöhnlichen Leuten", eine Fraktion ohne Tradition und Programm. Derartiges sieht man auch anderswo in Europa, bei rechten und xenophoben Parteien.

Da fällt mir Ex-Premier Vladimir Meciar ein. Er hat der Slowakei in den 90er Jahren seinen Stempel aufgedrückt, jetzt verlässt er endgültig die Politik. Wie beurteilen Sie im Nachhinein die Ära Vladimir Meciar?

Wir reden da über einen Mann, der zum Missbrauch der Mehrheit tendierte. In der Demokratie sind auch die Rechte der Minderheit zu wahren. In der Meciar-Ära gab es keinen Respekt gegenüber den Minderheiten. Meciar hat so getan, als müsse alles nach seinen Vorstellungen funktionieren, es gab diktatorische Tendenzen. Damals ging es vor allem um die Frage der Privatisierungen. Er hat seine Leute mit Fabriken versorgt.

Würden Sie sagen, dass die Zeit eines Meciar und eines Slota (ein radikaler Nationalist, Anm.) unwiderruflich vorbei ist?

Der Gedanke der Versöhnung zwischen den Nationalitäten hat sich durchgesetzt.

Im August wurde in Tschechien und der Slowakei der Niederschlagung des Prager Frühlings vor 45 Jahren gedacht. Haben Sie Erinnerungen an die Tragödie?

Ich war erst zwölf Jahre alt, also habe ich keine großen Erinnerungen. Ich wurde von der Zeit der "Normalisierung" beeinflusst, von Husak. Aber ich habe erlebt, wie die Menschen auf den "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" gehofft haben. Und dann sind die Panzer gekommen.