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Spielball Moskaus wird abtrünnig

Von Michael Schmölzer aus Moldawien

Politik

Europas Stiefkind Moldawien sucht verzweifelt Anschluss an die EU - Russland sieht dem nicht tatenlos zu.


Chisinau. Kilometerlange Fußmärsche, um trinkbares Wasser zu holen. Neun Euro Sozialhilfe für die Ärmsten, 45 Euro Mindestpension. Nein, das ist nicht Afrika, sondern Europa. Genauer gesagt Moldawien, 90 Flugminuten von Wien entfernt.

20 Prozent der Bevölkerung leben hier unter der Armutsgrenze, ein Drittel sucht ihr Heil im Ausland. Wer jung ist und die Möglichkeit hat, versucht in Russland oder der EU sein Brot zu verdienen. Denn die Wirtschaft liegt brach in der ehemals wohlhabenden ex-sowjetischen Teilrepublik; hier war die Region der blühenden Felder, die die gesamte UdSSR mit Wein versorgte.

Nach dem Kollaps des Roten Imperiums erklärte Moldawien 1991 seine Unabhängigkeit und wurde bald darauf von einem verlustreichen Krieg heimgesucht, der mit der Abspaltung der Region Transnistrien endete. Der Absatzmarkt Russland ist weggefallen, Moskau hat einen Einfuhrstopp über das wichtigste Exportgut, Wein, verhängt. Als Grund werden Qualitätsmängel angegeben, doch der Kreml will die Regierung in Chisinau dafür bestrafen, dass sie seit einigen Jahren auf EU-Kurs segelt.

In Brüssel weiß man nicht viel anzufangen mit dem Armenhaus Europas, das sich dem Würgegriff Russlands entwinden will. Korruption und Misswirtschaft blühen, der Rechtsstaat ist schwach ausgebildet. Am 28. und 29. November will die EU in Vilnius ein Freihandelsabkommen paraphieren, dann sollen die Import-Beschränkungen fallen. Moldawischer Wein ist jetzt schon auf polnischen, norwegischen, fallweise auch auf tschechischen Tischen zu finden. Doch ob das Abkommen tatsächlich unterzeichnet wird und ob der Handel mit den EU-Ländern dann in Schwung kommt, ist nicht klar.

Lokalaugenschein in der moldawischen Gemeinde Nisporeni an der Grenze zu Rumänien. Das lokale Frauenkomitee "Visionärinnen" ist vollzählig angetreten, um die Besucher aus dem Westen - eine Journalisten-Abordnung und Vertreter der österreichischen Entwicklungshilfeagentur ADA - zu empfangen. Die Damen nehmen Platz in Reih’ und Glied. So ähnlich muss es ausgesehen haben, als 1982 die hohen Sowjet-Funktionäre gekommen sind, um das Problem Nummer eins der Region zu besprechen: Es ist das gleiche wie heute. Das Trinkwasser aus den lokalen Brunnen macht krank, greift Nieren und Magen an, sorgt für Hepatitis-Fälle und eine niedrige Lebenserwartung. Die Ursache dafür hat sich auch nicht geändert. Das Wasser, das in Kübeln aus den Brunnen gezogen wird, ist mit Schadstoffen, Nitraten und Schwermetallen verseucht. Die Sowjet-Führung begann 1982 mit dem Bau von Anlagen, die Abhilfe schaffen sollten. 1992 wurde das Projekt unvollendet eingestellt, seitdem rotten zwei Beton-Ungetüme vor sich hin. Jetzt wird die Infrastruktur von Grund auf erneuert, Österreich steuert 3,5 Millionen Euro bei, fünf Millionen kommen von der EU und 800.000 Euro aus der Schweiz. Das Wasser soll aus dem Grenzfluss Prut gepumpt werden und in Zukunft 30 Dörfer versorgen.

Hinter Betonmauern

In Moldawiens Hauptstadt Chisinau verschanzt sich der niederländische Diplomat Wicher Slagter hinter Betonmauern. Als Delegationsleiter hält er hier einen Außenposten der EU - der pro-europäischen moldawischen Regierung kann er nur wenig Hoffnung machen. Das Land sei "noch sehr weit davon entfernt", die notwendigen Bedingungen zu erfüllen, sagt er achselzuckend. Die Institutionen seien schwach, die Bürokratie sei bestechlich. Überhaupt sind Korruption und Intransparenz das große Problem hier, die politische Lage ist instabil, die Parteien nicht in der Gesellschaft verankert.

Immerhin hat die Regierung in Chisinau, die seit 2009 nicht mehr von den Kommunisten geleitet wird, Privatisierungen vorangetrieben und einige Reformen durchgeboxt. Es sei nicht auszuschließen, dass Moldawien "langfristig" ein EU-Beitrittsabkommen stellen könne, macht der Abgesandte Brüssels ein wenig Mut. Worte der Kritik findet er für das Verhalten Russlands, das Moldawien in seiner ureigensten Einflusssphäre wähnt und keinen Millimeter zurückweichen will. Das russische Wein-Embargo ist für die EU "inakzeptabel" und "Erpressung". Dazu kommt unmissverständlich die Forderung, dass die russischen Truppen, die seit Sowjet-Tagen auf der anderen Seite des Dnjestr stationiert sind, abziehen müssten.

Mehr als kritisch sieht der Politologe Oazu Nantoi vom "Institute for Public Policy" die Rolle Russlands im blutigen Transnistrien-Krieg, der mit der Abspaltung der Region endete - ein Umstand, der bis heute wie ein Stachel im Fleisch Moldawiens steckt. Moskau sei am Ausbruch des Krieges genauso schuld wie an dem Konflikt generell, wettert Nantoi. Die Strukturen in Transnistrien, etwa Schulen, seien moldawisch, elf Dörfer sind direkt unter moldawischer Jurisdiktion, doch Moskau habe in Tiraspol einen "autoritären, xenophoben Marionettenstaat" errichtet und illegal dort Truppen stationiert. Russische Geheimdienst-Agenten würden ungehindert den Dnjestr überqueren. Russland liefere Transnistrien Gas fünfmal billiger als Moldawien und würde die transnistrische Schuldenlast dann Moldawien umhängen. "Es ist den Russen ein Bedürfnis, andere zu demütigen", schimpft der Politologe.

Ukraine ist Trumpf

Die entscheidende Rolle bei der Lösung des Konflikts kommt der benachbarten Ukraine zu; doch Kiew liegt selbst im Dauerclinch mit Moskau und verwendet den Transnistrien-Streit als "Verhandlungsmasse", so Nantoi. Immerhin sieht der Politologe einen Silberstreif am Horizont. Und der lautet, wenig überraschend, EU. Das Problem werde dann gelöst, wenn sich die Ukraine und Moldawien gemeinsam der EU annähern und zur Lösung des Problems einen europäischen Ansatz wählen. Derzeit versuchen die USA, die OSZE, die EU, die Ukraine und Russland einen Kompromiss zu finden, doch die Präsenz Russlands bewirke, dass der Konflikt "eingefroren" bleibe, sagt Nantoi. Auch hat Moskau ein weiteres Druckmittel zur Hand. 190.000 Moldawier befinden sich in Russland. Die Drohung, für diese Gastarbeiter Visa-Pflicht einzuführen und damit das ökonomische Rückgrat Moldawiens zu brechen, hängt als Damoklesschwert über Chisinau.

Moskau führe außerdem mit Hilfe der russisch-orthodoxen Kirche einen Propaganda-Feldzug in Moldawien, sagt Nantoi. Die EU werde mit Homosexualität und Hitler gleichgesetzt, obskure Referenden über die "künftige geopolitische Orientierung" Moldawiens initiiert.

Dennoch ist er überzeugt, dass der Zug Richtung Brüssel fährt und nicht mehr aufzuhalten ist. Der EU-Annäherungskurs werde von der jetzigen Regierung so weit vorangetrieben, dass auch eine künftige, EU-feindliche moldawische Regierung nicht mehr zurück könne. "Ich hoffe, die Moldawier sind für diesen Weg reif genug", sagt Nantoi auf Frage der "Wiener Zeitung".

Geschäfte mit Görings Wein

Nicht alle wettern gegen Russland. Im staatlichen Weingut Milesti Mici zum Beispiel. Immerhin hat die Rote Armee nach der Kapitulation Nazi-Deutschlands 1945 Hermann Görings Weinkeller hierher verfrachtet. Und es kursieren Gerüchte, wonach für die Flaschen des Reichsmarschalls auch heute noch bei russischen Kunden exorbitant hohe Preise erzielt würden.

Österreichische Hilfsprojekte

(schmoe) Österreich ist über die Austrian Development Agency (ADA) mit zahlreichen Hilfsprojekten in Moldawien präsent. Im Bezirk Nisporeni werden die Wasserversorgung und Teile der sanitären Infrastruktur rundumerneuert. Von den 1700 moldawischen Gemeinden verfügen nur rund 200 über eine funktionierende Infrastruktur zur Wasserversorgung. Österreich beteiligt sich mit 3,5 Millionen Euro, um die Lage zu verbessern.

Außerdem hilft Österreich, die Berufsausbildung in Moldawien zu modernisieren. So wurden an der Weinbauschule in Nisporeni die Lehrpläne für Wein- und Obstanbau modernisiert, dadurch soll sich die Qualität im Wein- und Gemüseanbau verbessern. Weinexporte machen 40 Prozent der landwirtschaftlichen Ausfuhren aus, mittlerweile werden auch in Privatbetrieben Weintrauben angebaut. Die Verarbeitung findet hauptsächlich im staatlichen Weingut von Milesti Mici statt, die Weinkeller befinden sich in 60 bis 80 Meter Tiefe, erstrecken sich über rund 200 Kilometer und sind mit dem Auto befahrbar.

Zudem hat Österreich an der Erstellung neuer Lehrpläne an zwei berufsbildenden Schulen für Elektromonteure, Schweißer, Automechaniker, Fliesenleger und IT-Fachleute mitgearbeitet. Die Curricula wurden erprobt und sollen nun landesweit angewendet werden.

Darüber hinaus greift Österreich finanziell einer Gewerkschaftsschule in Chisinau unter die Arme, wo Betriebsräte und künftige Arbeitnehmervertreter in Abendkursen weitergebildet werden.

In der Stadt Straseni, 25 Kilometer von Chisinau entfernt, unterstützt die österreichische Entwicklungshilfe ein Tagesbetreuungszentrum für Senioren. Die älteren Menschen werden dort verköstigt, haben Sanitäreinrichtungen und eine Waschküche zur Verfügung. Außerdem bekommen die Pensionisten, die sonst alleine wären, Gelegenheit zu sozialen Kontakten. Es werden Aktivitäten wie Handarbeiten, Musizieren, Sport und Gymnastik angeboten. Die Senioren werden per Auto von Zuhause abgeholt. Das Tagesbetreuungszentrum stellt auch Holzhütten für Touristen zur Verfügung, um die Ausgaben teilweise eigenständig zu decken.