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Auftrieb für Türkei-Gespräche

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Eröffnung eines weiteren Kapitels in den Beitrittsverhandlungen.


Europaminister Bagis nimmt wieder Kurs auf die Staatengemeinschaft.
© egemenbagis.com

Brüssel/Luxemburg/Ankara. Seine Reaktion hat Stefan Füle auch gleich auf Türkisch verfassen lassen. Denn endlich konnte sich der EU-Erweiterungskommissar über eine Entscheidung der Mitgliedstaaten in seinem Zuständigkeitsbereich erfreut zeigen. Seit einiger Zeit drängt er auf einen Neustart der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei; einen Beschluss darüber haben die Länder aber immer wieder verschoben. Nun haben die Außen- und Europaminister der EU bei einem Treffen in Luxemburg ein Datum fixiert: Am 5. November sollen die Gespräche wieder aufgenommen werden. Damit wird ein Stillstand durchbrochen, der mehr als drei Jahre gedauert hat.

Und für jede Menge Unmut in Ankara gesorgt hat. Erst in der Vorwoche hat sich Europaminister Egemen Bagis tagelang geweigert, auf einen Bericht der Kommission über die Fortschritte der Türkei zu reagieren. Offiziell wurde dies damit begründet, dass das Dokument just rund um das Opferfest Kurban Bayrami vorgelegt wurde, an dem die Ämter geschlossen sind. Dahinter könnte aber ebenso Verärgerung stecken über die Verzögerungen im Erweiterungsprozess, die die Türken als Hinhalte-Taktik der Westeuropäer empfinden. Das Gefühl, in der Union unerwünscht zu sein, gründet sich nicht zuletzt auf der in Berlin wiederholt gestellten Forderung, Ankara statt einer EU-Mitgliedschaft eine privilegierte Partnerschaft anzubieten. Die Skepsis über einen Beitritt der Türkei zur Union ist in Deutschland beinahe ebenso groß wie in Österreich. So war es auch Berlin, das noch im Sommer mit dafür gesorgt hat, dass das Verhandlungskapitel zur Regionalpolitik später als geplant eröffnet wird. Nach der Wahl zum Bundestag - und nach der Präsentation des Fortschrittsberichts - hat die Regierung dann ihre Opposition aufgegeben.

Das Kapitel, das unter anderem Regeln für Förderungen für ärmere Regionen beinhaltet, wird das 14. sein, das seit dem Beginn der Beitrittsverhandlungen 2005 eröffnet wird. Erst eines - zu Wissenschaft und Forschung - wurde vorläufig abgeschlossen. Insgesamt sind die Gespräche in 35 Verhandlungsbereiche unterteilt. Über einige von ihnen wollen ein paar Mitgliedstaaten aber gar nicht reden.

So ändert die Entscheidung der EU-Minister nur wenig an einer grundsätzlichen Blockade, an der beide Seiten beteiligt sind. Die Union pocht auf eine Öffnung der türkischen See- und Flughäfen für zypriotische Schiffe und Flugzeuge. Ankara beharrt umgekehrt darauf, dass die EU das Handelsembargo für den isolierten Norden der zerrissenen Mittelmeerinsel aufhebt. Dieser Teil des Landes ist der einzige, den die Türkei - anders als der Rest der Welt - anerkennt. Dort hat sie auch seit den 1970er Jahren Truppen stationiert. Zwar laufen auf Zypern erneut Gespräche über eine Wiedervereinigung der Insel; die Hoffnung auf baldige Ergebnisse ist aber gering. Hinzu kommt auch noch ein Streit über die geplante Förderung von Erdgas vor der zypriotischen Küste.

Das Kapitel zur Energiepolitik gehört denn auch zu den Bereichen, die derzeit nicht zur Verhandlung stehen. Ein weiteres betrifft die Justiz und Grundrechte. Auf deren Stärkung hat die EU immer wieder gedrängt. Doch nach den Ausschreitungen im Frühjahr, als die Polizei mit "exzessiver Gewalt" - wie auch im Kommissionsbericht zu lesen ist - gegen Demonstranten vorgegangen ist, sind wieder Bedenken aufgetaucht, wie konsequent die Regierung in Ankara die gewünschten Reformen umsetzt. Allerdings wären Gespräche über genau jene Themenkomplexe das richtige Druckmittel, um die Türkei zu weiteren Fortschritten zu bewegen, heißt es in Kommissionskreisen.

Mangel an Alternativen

Die Eröffnung dieser Verhandlungskapitel würde auch in Ankara begrüßt werden. Europaminister Bagis hat sich bereits dafür ausgesprochen. Gleichzeitig äußerte er die Hoffnung, dass die Beziehungen seines Landes mit der EU nun in eine Phase eintreten, in der "unlogische, unnötige und sinnlose politische Hürden" abgebaut werden.

Denn trotz allem Verdruss über das Zögern der Europäer und sinkender Zustimmung der Bevölkerung zu einem EU-Beitritt ihres Landes, könnte die Union wieder verstärkt in den Fokus der Türken rücken. Die Alternative dazu scheitert derzeit nämlich an der politischen Situation in der Gegend. Hatte Ankara erst vor wenigen Jahren begonnen, das Verhältnis zu den Nachbarländern zu verbessern, im Iran sowie in Syrien vermitteln zu wollen und damit die eigene Regionalmacht zu stärken, haben die aktuellen Konflikte dort diese Arbeit erschwert.

Der Bürgerkrieg in Syrien droht nun sogar, neue Gewalt in die Türkei selbst zu bringen. Kurdische Rebellen werfen nämlich der türkischen Regierung vor, Islamisten in Syrien im Kampf gegen Kurden zu unterstützen - was Ankara vehement abstreitet. Die als Terrororganisation eingestufte PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) könnte also auch den bewaffneten Widerstand gegen die türkische Armee aufnehmen, drohte Cemil Bayik, ein ranghohes PKK-Mitglied in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. Er forderte Ankara auf, den Friedensprozess mit den Kurden in der Türkei zu beschleunigen.