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Energiewende lässt Köpfe rauchen

Von Alexander Dworzak

Politik

Umweltminister Altmaier muss mit Kohle-Verfechterin Kraft Kompromiss finden.


Berlin/Wien. Schlag 12 Uhr beginnt das Spektakel. Schwere Limousinen fahren vor, Fotografen balgen sich im Konrad-Adenauer-Haus unweit des Berliner Tiergartens um die besten Bilder. Am Sitz der CDU werden sie fröhliche Minen einfangen, die in Erwartung "konstruktiver Gespräche" sind. Tatsächlich steigt die Anspannung: Einen Monat nach der Bundestagswahl und dem Warmlaufen bei Sondierungsrunden beginnen heute, Mittwoch, die Koalitionsverhandlungen in Deutschland zwischen der konservativen CDU/CSU und den Sozialdemokraten.

Zwölf Arbeitsgruppen und vier Unterarbeitsgruppen bilden die Verhandler in den kommenden Wochen. Brisanz birgt der Bereich Finanzen und Haushalt, zu dem auch die Untergruppe Bankenregulierung samt Euro zählt. Dort trifft CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble auf den Hamburger SPD-Bürgermeister Olaf Scholz als Verhandlungsführer. Die Sozialdemokraten sägten bereits im Vorfeld öffentlich am Stuhl Schäubles, des Architekten des strammen Sparkurses in den Euro-Krisenländern. Dass die Union nach einem Wahl-Triumph, der ihnen 41,5 Prozent der Wählerstimmen bescherte, tatsächlich das gewichtige Finanzministerium aufgeben werden, wagen aber nicht einmal die kühnsten SPD-Optimisten zu träumen. Und dass Schäuble durch einen anderen Unions-Politiker abgelöst wird, scheint auch unrealistisch. Der Ex-Parteichef ist nicht beliebt, aber respektiert - und gefürchtet.

Den gesamten November hat die Union für die Koalitionsverhandlungen eingeplant. Bis zu zwei Mal pro Woche soll sich die 75-köpfige "Große Runde" treffen; unter ihnen sind 30 SPD-Politiker, 27 stellt die CDU, weitere 18 die CSU. Diese Zahlen spiegeln die rasant gestiegene Bedeutung der bayerischen Christsozialen seit ihrer absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl Mitte September und dem Traumergebnis in Bayern bei der Bundestagswahl wider. Drei Verhandlungsführer stellt die CSU nun: Die Minister Peter Ramsauer und Hans-Peter Friedrich verhandeln "ihre" bisherigen Ressorts Verkehr und Inneres, die scheidende Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner - sie wechselt als Wirtschaftsministerin und stellvertretende Regierungschefin zurück nach Bayern - verantwortet den Bereich Wirtschaft.

Neue Koalition, alte Konstellation bei Energie

Mit einem Zehn-Punkte-Forderungskatalog wurden die SPD-Verhandler von ihrem Parteikonvent im Vorfeld der Gespräche ausgestattet; an erster Stelle findet sich die Forderung nach einem gesetzlichen und flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Nicht erwähnt wird hingegen die konkrete Ausgestaltung der Energiewende.

Wie bei den Finanzen versprechen die Verhandlungsführer bei der Energiepolitik Spannung: CDU-Minister Peter Altmaier trifft auf Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Da der gesellige Saarländer, der zum engen Kreis von Kanzlerin Angela Merkel zählt und seit 2012 als Umweltminister die Energiewende managen soll. Dort die energische Politikerin aus der traditionellen Heimat von Berg- und Kohlebau. Altmaier - bisher mit bescheidenem Erfolg in Sachen Energiewende - findet sich bei den Gesprächen mit der SPD in einer vertrauten misslichen Lage wieder: Bremste einst die FDP bei der Energiewende und sorgte sich um die Interessen der großen Konzerne, finden die Unternehmen nun in Hannelore Kraft eine Fürsprecherin. Mit E.ON und RWE - ihre Bilanzsumme betrug im vergangenen Jahr 140,4 bzw. 88,2 Milliarden Euro - haben gleich zwei Energieriesen ihren Sitz in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland.

Lediglich neun Kernkraftwerke befinden sich bundesweit noch in Betrieb, sie sollen bis spätestens Ende 2022 stillgelegt werden. Vier jener lukrativen Atommeiler betreibt E.ON, drei weitere RWE. Neben den AKW werden auch zahlreiche Kohle- und Gaskraftwerke abgeschaltet. Die etablierten Konzerne setzen nun auf das Thema Versorgungssicherheit für die Energiewende. Im Klartext: Subventionen für Anlagen, die produzieren, wenn Ökostrom nicht zur Verfügung steht.

SPD und Union schanzen einander Posten zu

Während das Match Altmaier gegen Kraft in den kommenden Wochen noch an Schärfe gewinnen wird, sorgten Rot und Schwarz bei der konstituierenden Sitzung des Bundestags am Dienstag für Aufruhr. Sie inthronisierten einen weiteren Bundestags-Vizepräsidenten. Damit halten Union und SPD je zwei der begehrten Posten, Grüne und Linkspartei jedoch nur einen Vize. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) versuchte zu kalmieren und sagte der Opposition die Wahrung ihrer Minderheitenrechte im Bundestag zu. Denn sollte Rot-Schwarz tatsächlich eine Regierung bilden, würde die Koalition 80 Prozent der Mandate stellen - für einen Untersuchungsausschuss im Bundestag ist aber mindestens ein Viertel der Stimmen notwendig.