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"USA bleiben wichtigster Partner"

Von Walter Hämmerle

Politik
"Mann der Institutionen": Franco Frattini.
© Andy Urban

Italiens Ex-Außenminister kritisiert Assange und Snowden.


Wien. Franco Frattini ist ein Mann mit vielen "Ex" und einem großen "vielleicht". Der 56-jährige italienische Politiker hat sich vor 18 Monaten von Silvio Berlusconis Partei "Volk der Freiheit" losgesagt. Der Jurist versteht es, bella figura auf dem nationalen wie internationalen Parkett zu machen. Seine politische Karriere begann 1995 als Kurzzeitminister für öffentliche Angelegenheiten und Regionalpolitik; 2001 war er für einige Monate für den Geheimdienst verantwortlich, bevor er 2002 Außenminister wurde. 2004 stieg der verbindlich auftretende Frattini zum Vizepräsidenten der EU-Kommission auf, verantwortlich für Justiz, Freiheit und Sicherheit. 2008 wurde er erneut Außenminister - und blieb dies bis 2011.

Heute ist der mittlerweile parteifreie Römer ein Favorit und offizieller Kandidat Italiens für die Nachfolge Anders Fogh Rasmussens als Nato-Generalsekretär. Entsprechend kritisch betrachtet er die Aktivitäten von Aufdeckern wie Julian Assange oder Edward Snowden. Die Entscheidung darüber fällt im Frühjahr 2014. Die "Wiener Zeitung" traf Frattini anlässlich des 17. Europaforums zu EU-Sicherheitsfragen* am Freitag in Wien zum Interview.

"Wiener Zeitung": Sie sind eben erst aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt - wie sieht man dort die Affäre um das Spionageprogramm der NSA, welche Eindrücke nahmen Sie aus den USA mit?Franco Frattini: Die feste Überzeugung, dass die Gemeinsamkeiten zwischen Europa und den Vereinigten Staaten die nun entstandenen Gräben und Missverständnisse bei Weitem übertreffen. Die USA werden der wichtigste Partner für Italien und Europa bleiben, nicht nur im Bereich der Sicherheitskooperation und Terrorabwehr, sondern auch wirtschaftlich. Deutschlands Kanzlerin Merkel abzuhören, ist illegal, keine Frage. Ich kenne zwar die konkreten Tatsachen nicht, aber ich bin überzeugt, dass die USA auf die Bedenken ihrer europäischen Verbündeten reagieren werden. Außenminister John Kerry hat ja bereits eingestanden, dass einzelne Aktionen womöglich jenseits der zulässigen Grenze stattgefunden haben.

Waren Sie persönlich überrascht, als Sie von den Ausmaßen der US-Spionage in Europa erfuhren?

Nein, das war ich nicht. Klar ist: Wir brauchen klare und transparente Regeln für die Informationsdienste, aber wir können auf die Erkenntnisse der Geheimdienste nicht verzichten. Die USA sollten die im Raum stehenden Vorwürfe aufklären und so einen Beitrag dazu leisten, dass das zerbrochene Vertrauen wieder neu aufgebaut werden kann. Wir wissen, dass Europäer in Syrien an der Seite der Islamisten kämpfen, wir wissen, dass manche zurückkehren wollen: Angesichts dieser Bedrohung benötigen wir mehr, nicht weniger Kooperation, um Terroranschläge verhindern zu können.

Niemand bezweifelt die Notwendigkeit seriöser Geheimdienstarbeit, worüber in Europa diskutiert wird, ist die Etablierung einer eigenen europäischen Kommunikationsinfrastruktur, ein europäisches Internet, ein europäisches Google.

Damit dies gelingt, benötigt man entsprechende Behörden; es wäre fatal, privatwirtschaftlich eine solche Infrastruktur aufzubauen, ohne gleichzeitig über das notwendige öffentliche Regelwerk zu verfügen. Diese Voraussetzungen sehe ich derzeit nicht.

Sie haben WikiLeaks-Gründer Julian Assange heftig für seine Aktionen kritisiert. Gilt dieses Urteil auch für den NSA-Aufdecker Snowden und wenn ja, warum?

Sehen Sie, ich bin ein Mann der Institutionen, kein Journalist. Deshalb bin ich überzeugt, dass wenn man sich einmal dazu entschlossen hat, für eine Institution zu arbeiten, man verpflichtet ist, diese Institution auch nach einem allfälligen Ausscheiden zu respektieren. Man kann, ja man muss, Missbrauch aufzeigen, aber dann gehe ich mit meinen harten Beweisen zum Richter oder Staatsanwalt und spiele diese nicht über die Medien an die Öffentlichkeit. Das kann ich als Staatsdiener nicht akzeptieren.

Zur italienischen Innenpolitik: Wird es Ex-Premier Berlusconi, mit dem Sie lange Zeit zusammenarbeiteten, noch einmal gelingen, nach der Macht zu greifen?

Früher oder später wird der Senat über den Ausschluss Berlusconis abstimmen, nachdem er von einem Gericht rechtskräftig verurteilt worden ist. Ich selbst habe die Partei nach diversen Auseinandersetzungen verlassen. Nun gibt es einen offenen, harten Machtkampf zwischen jenen, die für stabile Verhältnisse und eine feste Verankerung Italiens in Europa eintreten, und den anderen, die all das gefährden, indem sie Neuwahlen anstreben. Ich hoffe eindringlich und bin zuversichtlich, dass Berlusconi sich nicht durchsetzt und das Lager seines internen Kritikers, Vize-Premier Angelino Alfano, die Oberhand behält. Alles andere würde das Land in die Krise stürzen.

Was stimmt Sie zuversichtlich?

Italien hat schmerzhafte Reformen hinter sich - und das ohne einen einzigen Tag eines Generalstreiks! Welche Partei auch immer - Beppe Grillo oder Berlusconi - jetzt vorzeitige Neuwahlen vom Zaun bricht, wird von den Wählern abgestraft werden, davon bin ich überzeugt. Italiens Bürger wollen Stabilität, Wachstum und Wohlstand, keine Rückkehr zum Chaos. Darüber hinaus würde Staatspräsident Napolitano niemals vorzeitigen Wahlen zustimmen.

*Veranstalter waren das Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik, die Politische Akademie sowie das Center for European Studies.