Brüssel. Mit Rechtspopulismus lässt es sich politisch punkten. Was den etablierten Großparteien in etlichen Ländern Sorgen bereitet, könnte sich auch bei den Europawahlen zeigen, die in einem guten halben Jahr anstehen: Rechtspopulistische Kräfte werden zunehmend stärker und nehmen gemäßigteren Fraktionen Wählerstimmen weg. Und sie vertreten nicht nur ausländerfeindliche oder Islam-skeptische, sondern sehr oft auch EU-kritische Positionen.
Das sei für Europa mittlerweile eine derart greifbare Bedrohung, dass die etablierten Parteien - vor allem die konservative Volkspartei - reagieren müssten. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Rechtspopulistische Gruppierungen seien fast überall in Europa bereits so gestärkt, dass sie ihren Einfluss sowohl in ihrem Heimatland als auch auf EU-Ebene geltend machen können, schreiben die Autoren Karsten Grabow und Florian Hartleb: "Nationale Politik und Europapolitik stehen in vielen Ländern durch die harten Forderungen von Rechts- und Nationalpopulisten unter Druck." Beispiele dafür ortet die Studie vor allem in Österreich, der Schweiz, den Niederlanden, Dänemark und Finnland. Aber auch in den großen Mitgliedstaaten wie Frankreich und Großbritannien sind Front Nationale oder UKIP fest im politischen Spektrum verankert. Deutschland bilde eine Ausnahme, weil es an charismatischen Führungsfiguren sowie an breiter medialer Unterstützung fehle. Daran ändert auch das Aufkommen der Euro-skeptischen Allianz für Deutschland (AfD) nur wenig.
Für die Europawahl versuchen die Rechtspopulisten nun ihre Kräfte zu bündeln. Ihr Ziel ist es, eine eigene Fraktion im EU-Parlament zu stellen. Wortführer sind Marine Le Pen von der französischen Front National und Geert Wilders, Vorsitzender der niederländischen Partei für die Freiheit. Sie haben vor kurzem bei einem gemeinsamen Presseauftritt ihre Initiative beworben. Unterstützung könnte diese in Schweden, Belgien oder Österreich finden.
Doch sind solche Projekte zuvor an Zerwürfnissen zwischen den Parteien gescheitert. Die einen wollten beispielsweise nicht mit der ungarischen Jobbik oder der Goldenen Morgenröte in Griechenland zusammenarbeiten. UKIP-Vorsitzender Nigel Farage wiederum hält nichts von einer Kooperation mit der österreichischen FPÖ. Daher ist auch diesmal fraglich, ob die Rechtsparteien im nächsten EU-Parlament eine Fraktion bilden können: Dafür bräuchten sie mindestens 25 Abgeordnete aus sieben Ländern.
Kommt große Koalition?
Die deutschen Studienautoren raten dennoch davon ab, diese Prozesse zu ignorieren oder totzuschweigen. Im Gegenteil: "Die politischen Leerformeln der rechts- und nationalpopulistischen Parteien sollten durch direkte thematische Auseinandersetzung "entzaubert" werden", heißt eine der Handelsempfehlungen für die etablierten Parteien. Die richten sich in erster Linie an die europäischen Christdemokraten, "die mehr als andere das Augenmerk auf Rechtsstaatlichkeit und das Gewaltmonopol des Staates legen". Deswegen sollten sie auch beim Thema Migration, das die Rechtspopulisten gern aufgreifen, den Aspekt der inneren Sicherheit oder Integration nicht außer Acht lassen: Parallelwelten oder Missbrauch von Sozialleistungen sollte es nicht geben - sozialen Ausschluss aber auch nicht. Gleichzeitig sollten jedoch ebenfalls die Vorteile der europäischen Integration für die Bürger klar kommuniziert werden.
Allerdings sind es nicht nur die Rechtspopulisten, die den traditionellen Parteien Wählerstimmen wegnehmen könnten. Auch am linken Rand des politischen Spektrums sind Zugewinne zu erwarten. Das geht aus einer nur wenige Wochen alten Trendanalyse hervor, die im EU-Parlament erstellt wurde und die auf Wahlergebnissen nationaler Voten sowie Umfragen beruht. Die Berechnungen prognostizieren Verluste für die derzeit größte Fraktion, die Europäische Volkspartei, sowie leichte Stimmengewinne für die Sozialdemokraten. Doch schwellen die Ränder an: sowohl rechts als auch links. Dabei könnte auch bei den Linksparteien der Ton europaskeptischer werden, wenn etwa die griechische Partei Syriza oder auch die italienische Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo ins Parlament einziehen. Die Aussicht auf einen Rechtsruck wird in der Analyse aber relativiert. Vielmehr sieht es auch im künftigen EU-Abgeordnetenhaus derzeit nach einer großen Koalition aus. Nach jetzigem Stand könnten nämlich nur Volkspartei und Sozialdemokraten gemeinsam eine Mehrheit bilden.