Brüssel. Reisen und arbeiten in Europa: Für etliche EU-Bürger ist diese Möglichkeit eine der größten Errungenschaften ihrer Gemeinschaft. Doch in manchen Ländern gibt es weniger Sympathie dafür. Die Regierungen dort sähen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gerne eingeschränkt - obwohl die letzten Hürden für die neueren Unionsmitglieder aus Rumänien und Bulgarien in einem knappen Monat fallen müssen, wenn die Übergangsfristen auf den westeuropäischen Arbeitsmärkten auslaufen. So macht sich Großbritannien schon Gedanken darüber, wie die Einwanderung auf die Insel unattraktiver gemacht werden kann, und auch in Deutschland regen sich Rufe nach neuen Regelungen, die etwa den Missbrauch von Sozialleistungen erschweren sollen.

Dabei sei die Freizügigkeit ein Grundrecht, das nicht ausgehebelt werden dürfe. Das wird die EU-Kommission nicht müde zu betonen. Dies erklärte Justizkommissarin Viviane Reding einmal mehr den Innenministern der EU, die zu einem Treffen in Brüssel zusammenkamen. "Wir müssen unsere Werte und fundamentalen Freiheiten aufrechterhalten", sagte sie - und räumte gleichzeitig ein, dass Rechte auch Pflichten mit sich bringen. Denn die Reisefreiheit dürfe nicht Freiheit im Sozialbetrug bedeuten. Doch liege es laut Reding an den Staaten selbst, Missbrauch zu bekämpfen. Die Gesetze werden nämlich von den Ländern beschlossen, und die müssen sie auch umsetzen.

Diese Haltung gefällt dem deutschen Innenminister Hans-Peter Friedrich jedoch gar nicht: Er warf der Kommission Untätigkeit vor. Es brauche aber ein gemeinsames Verständnis, wie die Freizügigkeit geschützt und Missbrauch bekämpft werden könne. Daher drohte Friedrich damit, eine "multilaterale Verständigung" außerhalb der Strukturen der EU anzustreben. Vor Monaten schon klagte Deutschland gemeinsam mit Großbritannien und den Niederlanden über finanzielle Belastungen durch Sozialleistungen für eingereiste rumänische und bulgarische EU-Bürger, vor allem Roma - ohne die Minderheit freilich beim Namen zu nennen. Österreich hatte sich damals dem entsprechenden Schreiben an die Kommission angeschlossen, auch wenn es selbst von der Thematik nicht betroffen ist.

Ankara stimmt Vertrag über Flüchtlingsrücknahme zu

Die Niederlande sollen es auch sein, die weiterhin eine Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in den Schengen-Raum blockieren, wo Reisen ohne Grenzkontrollen möglich sind. Die technischen Voraussetzungen dafür erfüllen die beiden Länder bereits seit längerem, doch stellen manche Staaten zusätzliche Bedingungen wie größere Anstrengungen beim Kampf gegen Korruption.

Auf Reiseerleichterungen hingegen können die Bewohner eines Nicht-EU-Landes hoffen: Die Türkei rückt diesem Ziel einen Schritt näher. Schon lange beklagt sich die EU-Beitrittskandidatin über Hürden für ihre Bürger, die in einem umständlichen und recht teuren Verfahren Visa für die Einreise in die Union beantragen müssen. Nun kommt Bewegung in die jahrelangen Verhandlungen darüber. Bei seinem Besuch in Brüssel konnte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu verkünden, dass die Gespräche über Visa-Erleichterungen schon in eineinhalb Wochen gestartet werden.

Da wird nämlich in Ankara ein Abkommen mit der EU zur Rücknahme von Flüchtlingen unterzeichnet. Und dieser Vertrag war die wichtigste Voraussetzung der Europäer für die Aufnahme des Visa-Dialogs. Mit dem Abkommen verpflichtet sich die Türkei, über ihr Territorium illegal in die EU eingereiste Menschen wieder aufzunehmen - was den Migrationsdruck im benachbarten Griechenland vermindern würde. Daher pochte die EU im selben Ausmaß darauf, wie sich die Türkei vor dieser Verpflichtung wehrte. Sie ist nämlich ein Transitland für Flüchtlinge aus Asien, Nahost und Afrika, die dann auf ihrem Gebiet versorgt werden müssten. Allerdings gibt es Spekulationen darüber, dass Ankara das Abkommen wieder aussetzen könnte, wenn es keine Fortschritte bei den Visa-Gesprächen gibt.

Mit der Flüchtlings-Problematik befassten sich die EU-Innenminister ebenfalls. Um aber Katastrophen wie vor zwei Monaten vor der italienischen Insel Lampedusa, wo hunderte Menschen ertrunken sind, zu vermeiden, setzen sie in erster Linie auf verstärkten Schutz der Außengrenzen der Union. Die Kommission kündigte bereits an, dafür zusätzlich 50 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Den größten Teil, 30 Millionen Euro, erhält Italien. Mit dem Geld sollen die Behörden nicht nur den Grenzschutz, sondern auch die Registrierung und Versorgung der ankommenden Menschen verbessern.