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Noch kein Volkstribun

Von Gerhard Lechner

Politik

Dem Box-Champion fehlt es an Redetalent - Gesetz könnte Rivalen Janukowitschs stoppen.


Kiew. Politik treibt in Kiew manchmal seltsame Blüten: Es war Ende Oktober, noch vor dem Gipfel der EU-Ostpartnerschaft in Vilnius, als in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, eine Abstimmung über die Änderung eines Steuergesetzes anstand. Gut versteckt fand sich darin eine Bestimmung, wonach jemand, der in den letzten zehn Jahren in einem anderen Staat gelebt und dort Steuern entrichtet hatte, unter bestimmten Umständen nicht als Bewohner der Ukraine gilt - und somit auch nicht zu den Präsidentschaftswahlen, die im Jahr 2015 stattfinden, antreten kann. Eine "Lex Vitali Klitschko": Unter den führenden ukrainischen Oppositionspolitikern ist es allein der Boxweltmeister, der seit den 1990er Jahren in Deutschland gelebt und dort auch Steuern gezahlt hatte.

Das Gesetz wurde von der Rada verabschiedet - und zwar nicht nur mit den Stimmen der regierenden Partei der Regionen von Präsident Wiktor Janukowitsch, der den Herausforderer Klitschko fürchtet. Oder mit denen der prorussischen Kommunisten. Nein, auch Klitschkos "Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen" ("Udar", auf Deutsch: Schlag) stimmte in der Rada mehrheitlich dafür - so wie auch eine erkleckliche Zahl an Abgeordneten der Vaterlandspartei der inhaftierten Oppositions-Ikone Julia Timoschenko. "Das Gesetz hat von außen wie ein rein steuerliches Paket ausgesehen", sagte Mykhaylo Banakh von der Kiewer "Renaissance Stiftung" des Milliardärs George Soros der "Wiener Zeitung". Der ukrainische Politikbeobachter vermutet, Klitschkos Abgeordnete wären ungenügend beraten worden. "Als das Gesetz durch war, haben sie realisiert, dass sie damit möglicherweise ihrem Vorsitzenden die politische Zukunft verbaut haben", sagte Banakh. Klitschkos politische Ambitionen auf die Präsidentschaft könnten somit mit einem raschen K.o. des Boxers enden.

Sicher sollte sich Präsident Janukowitsch dessen aber noch nicht sein. Der Schwergewichts-Weltmeister hat nämlich auch in der Politik schon ein paar Runden hinter sich gebracht. Bei den Parlamentswahlen im letzten Jahr zog seine "Udar", die über auffällig viel Geld für einen opulenten Wahlkampf verfügte, mit knapp 14 Prozent auf Anhieb in die Rada ein. Zuvor hatte Klitschko bei der Kiewer Bürgermeisterwahl Platz zwei belegt. Und auch vor neun Jahren, bei der Orangen Revolution, war der Boxer im Lager der Regimegegner auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz, dabei.

Ob Klitschko sich deswegen schon zur unumstrittenen Leitfigur des nunmehrigen "Euromaidan" eignet, wie vor allem deutsche Zeitungen schreiben, darf aber bezweifelt werden. Seit den ernüchternden Erfahrungen nach der "Orangen Revolution" herrscht in breiten Schichten ein großes Misstrauen gegenüber der politischen Klasse vor. Die Sehnsucht nach Leitfiguren ist bei den Demonstranten auf dem Maidan, die von den Sicherheitskräften mittlerweile aus dem Regierungsviertel vertrieben wurden, überschaubar. Zu Beginn des "Euromaidan" hatten sich sogar zwei Protestzentren gebildet - eines mit, eines ohne Präsenz von Politikern. Dazu kommt, dass sich Klitschko trotz seines Heldenstatus als Boxer bisher nicht als Volkstribun eignet: Er redet nur wenig mitreißend und nicht sonderlich fließend. Was auch daran liegt, dass der Mann aus Kiew mit der russischen Sprache aufgewachsen ist - zu Sowjetzeiten dominierte auch in der Hauptstadt das Russische.

"Ehrlich und nicht korrupt"

Dass der 42-Jährige dennoch für viele Ukrainer ein Hoffnungsträger geworden ist, hat seinen Grund darin, dass der Boxer seinen Weg abseits der korrumpierten Politelite in Kiew gemacht hat. "Er ist ehrlich und nicht korrupt", sagen viele Demonstranten auf dem Maidan. Und seine politisch gemäßigte Rhetorik, die im Gegensatz zur sonstigen Opposition auf nationalistische Phrasen weitgehend verzichtet, macht ihn prinzipiell auch für Ukrainer aus der prorussischen Süd- und Ostukraine wählbar. Eben das wird Janukowitsch auch zu der Gesetzesnovelle motiviert haben - wie auch der Umstand, dass der Boxer offen von der deutschen Regierung um Kanzlerin Angela Merkel und Noch-Außenminister Guido Westerwelle unterstützt wird. Insbesondere die CDU soll gemeinsam mit den konservativen Parteien in Europa versuchen, Klitschko zum starken Mann in Kiew aufzubauen. Janukowitsch wertet das als Einmischung.