
Kiew/Washington. (rs/dpa) Als türkische Polizeieinheiten im Sommer mit Tränengas-Granaten und Gummi-Geschossen gegen die Demonstranten am Taksim-Platz vorgingen, hatte das auch die USA auf den Plan gerufen. Die fundamentalen Freiheitsrechte müssten in jedem Fall gewahrt werden, hieß es damals aus Washington. Das Wort Sanktionen wollte man trotz fünf Todesopfer und knapp 8000 Verletzter allerdings nicht in den Mund nehmen.
Deutlich weniger zurückhaltend zeigen sich die USA nun in der Ukraine, wo die Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften bisher weit weniger gewalttätig verlaufen ist. Während Victoria Nuland, die Europabeauftragte der US-Regierung, Mitte dieser Woche einen ganzen Plastiksack voller abgepackter Kekse an die pro-westlichen Demonstranten auf dem Kiewer Maidan verteilte, wurden in Washington fast zeitgleich schwere Geschütze aufgefahren. Und um sicherzustellen, dass die Botschaft ankommt, verzichtete die US-Regierung gleich auch auf diplomatische Floskeln und Verklausulierungen: Man ziehe "bestimmte politische Optionen in Betracht, darunter auch Sanktionen", sagte Außenamtssprecherin Jennifer Psaki trocken.
Zu den ersten Strafmaßnahmen würden wohl Einreiseverbote und das Einfrieren von Guthaben gehören. Vor einem Jahr hatte Präsident Barack Obama etwa den "Magnitsky Act" unterzeichnet, der Sanktionen wie Kontosperrungen gegen kriminelle russische Beamte vorsieht. George W. Bush ließ 2001 Guthaben von Personen einfrieren, die eine Stabilisierung des Balkans oder der demokratischen Prozesse in Weißrussland gefährdeten.
Dass die USA gegenüber der Ukraine nun wesentlich schärfer reagieren als im Fall der Türkei, hat aber nicht nur damit zu tun, dass das Land am Bosporus ein enger Verbündeter Washingtons ist, den man nicht vergrämen will. Denn nicht nur für die EU, die nach dem Scheitern des Assoziierungsabkommens noch immer ihre Wunden leckt, sondern auch für die USA steht in der Ukraine geopolitisch betrachtet viel auf dem Spiel. So haben die Amerikaner seit dem Kollaps der Sowjetunion und der ukrainischen Unabhängigkeit mehr als fünf Milliarden Dollar ins Land gepumpt, um der jungen Republik demokratiepolitisch auf die Beine zu helfen und sie näher an den Westen heranzuführen. Mithilfe der US-Unterstützung, die auch 2013 noch mehr als 100 Millionen Dollar ausmachte, wurden unter anderem Gesetzesvollzug, Wahlrecht, Justizsektor und Geschäftsklima gestärkt. Hinter diesen Summen steckt freilich ein klares Kalkül. Denn wenn die Westintegration der Ukraine gelingt, könnte das 46-Millionen-Einwohner-Land ein wichtiger US-Verbündeter in einer Region werden, die Moskau nach wie vor als politischen Hinterhof betrachtet. Wie notwendig die USA einen solchen brauchen, hat gerade das vergangene Jahr bewiesen, in dem sich Russland immer stärker als Gegenentwurf zu einer von den USA gestalteten Weltordnung zu präsentieren versucht hatte.
Ein wenig Wirkung scheint der Druck, den die Amerikaner gemeinsam mit den Europäern aufgebaut haben, jedenfalls schon gezeigt zu haben. Am Freitag gingen Präsident Wiktor Janukowitsch und die Opposition erstmals aufeinander zu. Im Vorfeld eines Runden Tisches kündigte Janukowitsch bereits eine Amnestie für alle verhafteten Demonstranten an. An der grundsätzlichen Position der Gegenseite ändert das allerdings wenig. Denn für Oppositionsführer Vitali Klitschko, der zuletzt ankündigte, Präsident werden zu wollen, lässt sich die Krise nur durch den Rücktritt der Regierung lösen.