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Wahlgesetz mit Tücken

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Regierung verteidigt Regelung, linke und liberale Opposition untätig.


Budapest. Er nennt sich selbst stolz "Zigeuner", die politisch korrekte Bezeichnung "Roma" meidet er. Bis vor kurzem war Béla Lakatos ebenso stolz, Mitglied der in Ungarn regierenden Partei Fidesz zu sein. Er vertrete deren Werte, weil er in einer "konservativen, katholischen Familie" aufgewachsen sei. Er sei der rechtsnationalen Partei des Ministerpräsidenten Viktor Orbán auch deswegen beigetreten, weil er hoffte, damit für die chronisch benachteiligten, verarmten und diskriminierten Roma mehr bewegen zu können. Seit 2010 gelingt ihm dies ganz gut, als Bürgermeister der nordwestlichen Kleinstadt Ács - mit Zweidrittelmehrheit gewählt, und dies auch noch von Nicht-Roma, die dort mehrheitlich leben. Als langjähriger Schuldirektor hat Lakatos dort viel gegen die Diskriminierung der Roma-Kinder getan.

Jetzt droht der 45-Jährige mit Austritt aus der Fidesz, weil seine Partei ein Wahlgesetz durchgesetzt hat, das einen Trick enthält, der dazu führen könnte, dass viele Roma bei der Parlamentswahl in diesem Frühjahr in ihrem Recht auf freie Abstimmung eingeschränkt werden. Das Zentrale Wahlbüro verschickt nämlich gerade Registrierformulare an alle Wähler, in denen diese aufgefordert werden, ihre ethnische Zugehörigkeit anzugeben. Tun die Wähler dies, so verlieren sie das Recht, für eine Partei zu stimmen. Stattdessen dürfen sie nur noch darüber abstimmen, welche Vertreter ihrer jeweiligen Minderheitenorganisationen sie ins Parlament schicken wollen. Über diese Rechtslage kläre das Wahlbüro die Bürger aber nicht auf, beklagt die neue Roma-Partei MCP (Magyarországi Cigány Párt), die sich auch der Wahl stellen will.

"Dieses Gesetz ist so, als sei es nicht von der Fidesz, sondern von einer rechtsextremen Partei geschaffen worden", schimpft Bürgermeister Lakatos. "Wir müssen zwischen unserer ethnischen Identität und unserem allgemeinen Wahlrecht wählen", fügt Istvan Makai hinzu, Vorsitzender der Budapester Sektion der Roma-Selbstverwaltung. Zusammen mit anderen Roma-Organisationen hat Makai eine Kampagne gegen diese ethnische Registrierung gestartet.

Ein Vertreter pro Minderheit

Die Regierung wiederum verteidigt die Regelung mit dem Argument, dass dadurch Vertreter der Minderheitenorganisationen leichter ins Parlament kämen, weil sie dafür nur ein Viertel der Stimmenanzahl benötigten, die ein Vertreter einer der politischen Parteien braucht. In Ungarn lebten laut Volkszählung im Jahr 2011 insgesamt 308.957 Roma. Sie sind die größte der 13 ethnischen Minderheiten, bei einer Gesamtbevölkerung von rund zehn Millionen. Außer den Roma, den Deutschen und den Slowaken hat keine Minderheit mehr Mitglieder als die vorgeschriebene Mindestzahl der Wählerstimmen für den Einzug ins Parlament.

Ohnehin darf jede Minderheit nur einen Vertreter in die Volksvertretung schicken, egal wie viele Stimmen dafür abgegeben werden. Wird das Stimmensoll unterschritten, darf die betreffende Gruppe einen "Sprecher" ohne Stimmrecht ins Parlament entsenden. Zum Vergleich: Im Nachbarland Rumänien haben die 18 ethnischen Minderheiten das Recht auf je einen Sitz im Parlament. Sie werden von ihren Interessenvertretungen gewählt und haben auch Stimmrecht.

Die ominöse ungarische Regelung geht aus dem bereits im April 2013 verabschiedeten neuen Wahlgesetz hervor - doch keine der linken und liberalen Oppositionsparteien hat bisher dagegen Front gemacht. Die Roma-Organisationen stehen mit ihrem Protest allein da. Doch auch innerhalb dieser Gemeinschaft herrscht keine Einmütigkeit, zumal der Vorsitzende der Roma-Selbstverwaltung, Florian Farkas, seit Jahren als ein Günstling des Fidesz im Parlament sitzt.

Es mag auch an dem fehlenden Engagement der Opposition liegen, dass weder Staatspräsident Janos Ader noch der Ombudsmann für Grundrechte dazu Stellung genommen haben. MCP hatte beide Amtspersonen gebeten, prüfen zu lassen, ob diese Registrier-Regelung in Bezug auf Minderheiten überhaupt verfassungskonform sei. Vorzeige-Rom Lakatos hat offenbar innerlich mit Fidesz abgeschlossen. Schon seit einem Jahr wartet er vergeblich auf einen Termin bei Regierungsstellen, um dort seine Kritik an deren "kopfloser" Roma-Politik vorzutragen. Die Minderheiten-Regelung im Wahlrecht brachte jetzt das Fass zum Überlaufen. "Der Kaiser ist nackt", lautet sein niederschmetternder Befund.

Roma in Ungarn

Ausgrenzung, Diskriminierung. Märsche der rechtsradikalen, paramilitärischen "Ungarischen Garde" in Roma-Siedlungen und verbale Übergriffe in Medien: Immer wieder kommt es in Ungarn zu Feindseligkeiten gegenüber Roma, der größten Minderheitengruppe im Land. So hatte der ungarische rechtsextreme Publizist Zsolt Bayer in einem Beitrag im vergangenen Jahr geschrieben, "die meisten Zigeuner sind Tiere", "nicht geeignet, unter Menschen zu leben". Pikanterie: Bayer ist Gründungsmitglied der Regierungspartei Fidesz. Die Aussage des Publizisten wurde massiv kritisiert, EU-Justizkommissarin Vivian Reding sagte daraufhin: "Rassismus, Hasspredigten und andere Formen der Intoleranz haben keinen Platz in der EU."