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Der Vormarsch der Nationalisten

Von Gerhard Lechner

Politik

Für die in der Westukraine populären rechten Recken sitzt der Feind in Moskau.


Ternopil/Kiew. Ternopil im Jänner 2010. Der Wahlkampf für die Präsidentenwahlen in der Ukraine neigte sich seinem Ende zu. Die ostgalizische Stadt im Westen des Landes lag unter einer tiefen Schneedecke. Wer in die Stichwahl für das höchste Amt im Staat kommt, war noch unklar: Neben dem heutigen Präsidenten Wiktor Janukowitsch und seiner mittlerweile inhaftierten Rivalin, Premierministerin Julia Timoschenko billigten Umfragen auch noch dem parteilosen Serhij Tihipko Chancen zu. Dennoch waren auf dem weitläufigen Schewtschenko-Platz im Zentrum der Stadt kaum Wahlzelte für Timoschenko oder gar Tihipko zu sehen, und auch nur wenige für Janukowitsch. Hier, im galizischen Ternopil, der wohl nationalbewusstesten Stadt der Ukraine, dominierten schon zu Beginn 2010 Oleh Tjahnybok und seine Partei "Swoboda" (Freiheit).

"Aus Österreich kommen Sie? Ah, Adolf Hitler!" Die Bemerkung des jugendlichen Wahlkampfhelfers war freudig-anerkennend gemeint. Die radikalen Nationalisten hatten in Ternopil im März 2009 aus dem Stand einen Erdrutschsieg errungen: Auf ganze 35 Prozent kam die zuvor marginale Gruppierung bei den Regionalwahlen. Es war der erste Erfolg für die Bewegung des Lemberger Mediziners Tjahnybok.

Heute ist die straff, fast militärisch organisierte Rechtsaußen-Partei mit über 10 Prozent der Wählerstimmen im Parlament in Kiew vertreten. Sie tritt für eine strikte Begrenzung der Zuwanderung, eine protektionistische Wirtschaftspolitik, eine erneute atomare Bewaffnung der Ukraine und einen Austritt aus allen russisch dominierten Bündnissen wie der GUS ein. In den westukrainischen Gebieten Lemberg, Ternopil und Ivano-Frankivsk besetzen die rechten Recken die entscheidenden Bürgermeister- und Gouverneursposten.

Swoboda ist mittlerweile ein gewichtiger Teil des Oppositionsbündnisses gegen den immer autoritärer regierenden Präsidenten Wiktor Janukowitsch, der aus der russophilen Ostukraine stammt. Auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, ist es heute Tjahnybok, der mit aufpeitschenden Parolen die größte Aufmerksamkeit unter den Oppositionellen auf sich zieht - und nicht Boxchampion und "Udar"-Chef Vitali Klitschko oder Ex-Außenminister Arseni Jazenjuk, der Vertreter der Timoschenko-Partei "Vaterland".

Die Partei hat viel Geld, angeblich von Oligarchen

Dass Swoboda den ersten größeren Erfolg ausgerechnet im Jahr 2009 errungen hat, ist kein Zufall: Damals erreichte die Wirtschaftskrise in der Ukraine ihren bisherigen Höhepunkt. Der von den zerstrittenen prowestlichen Politikern Wiktor Juschtschenko und Julia Timoschenko geführte Staat befand sich am Rande der Pleite. Präsident Juschtschenko wurde bei den Wahlen 2010 abgestraft, landete bei rund fünf Prozent - für einen Amtsinhaber blamabel. Die Lücke, die seine nationaldemokratische Partei "Unsere Ukraine" in der Westukraine hinterlassen hat, hat spätestens seit der Ausschaltung Julia Timoschenkos Swoboda gefüllt.

Und das wohl mit Unterstützung von Janukowitschs Machtapparat: Die Zahl der TV-Auftritte Tjahnyboks in ukrainischen Talk-Shows stieg in den letzten Jahren spürbar an, die Partei verfügt auch über genügend Geld für politische Propaganda. Gerüchte, wonach Janukowitsch-nahe Oligarchen Swoboda unterstützen, um die Opposition aufzuspalten, wollen nicht verstummen.

Tatsächlich wäre Tjahnybok für den Präsidenten der ideale Gegenkandidat: Seine Anhängerschaft fokussiert sich auf den äußersten Westen der Ukraine, im Süden und Osten wäre er - im Gegensatz etwa zu Klitschko - ohne Chance. Zu wenig können die eher pragmatischen Süd- und Ostukrainer mit dem Weltbild der Swoboda anfangen, das sich an die "Organisation Ukrainischer Nationalisten" (OUN) der Dreißiger und Vierziger Jahre anlehnt und den umstrittenen OUN-Führer Stepan Bandera vergöttert. Die OUN, die 1929 in Wien gegründet wurde, verfocht in Anlehnung an die damals aufkommenden faschistischen Bewegungen in Europa einen aggressiven Nationalismus - vor allem in Reaktion auf die diskriminierende Politik gegen die Ukrainer im wiederentstandenen Polen, zu dem die heutige Westukraine damals gehörte. Polen schloss etwa ukrainische Einrichtungen oder siedelte bewusst polnische Bauern im ukrainisch dominierten Ostgalizien an.

"Behandle die Feinde deiner Nation mit Hass"

Militant klingen die "zehn Gebote des ukrainischen Nationalisten", die die OUN 1929 aufstellte. Das erste Gebot lautete: "Du wirst einen ukrainischen Staat erreichen oder im Kampf dafür sterben." Und das achte: "Behandle die Feinde deiner Nation mit Hass und ohne Rücksicht." Der dann folgende Guerillakampf im Zweiten Weltkrieg zwischen der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) der OUN und polnischen Partisanen trennt noch heute Polen und Ukrainer in Galizien.

Dennoch sitzt der Hauptfeind der heutigen Erben der OUN nicht in Warschau, sondern in Moskau. Kein Wunder, ist doch die Unabhängigkeit der Ukraine höchstens von Nordosten bedroht. In Ternopil kann man Sticker mit der Aufschrift "Danke dir, Gott, dass ich kein Moskowiter bin" kaufen. Oder die rot-schwarzen Fahnen der UPA, die auch auf dem Maidan in Kiew bei den Protesten gegen Janukowitsch gezeigt werden. Plakate fordern dazu auf, keine russischen Produkte zu kaufen. Anders sieht man das im Süden und Osten der Ukraine: Hier gelten die Kämpfer der UPA als Faschisten, als NS-Kollaborateure, als Verräter an der Heimat - rekrutierte sich aus ihnen doch im Zweiten Weltkrieg die Waffen-SS-Division Galizien, die Kriegsverbrechen verübte.

Marsch in die Mitte der Gesellschaft ist geglückt

Dennoch ist Swoboda, die in den 1990er Jahren unter dem Namen "Sozial-Nationale Partei der Ukraine" eine politische Randexistenz führte, der Marsch in die Mitte der Gesellschaft geglückt. Die Unzufriedenheit mit dem Janukowitsch-Regime treibt Tjahnybok immer neue Anhänger zu, die paramilitärische Radikalität der Bewegung unterscheidet Swoboda deutlich von den meisten anderen Parteien, die eher lose, von Oligarchen finanzierte Wahlbündnisse darstellen.

Der OUN-Kampfruf "Ehre der Ukraine!", der wahlweise mit "Ehre den Helden!" oder "Tod den Feinden!" beantwortet wird, hallt heute auch durch die Hauptstadt Kiew, wie jüngst am 1. Jänner, als Swoboda einen Fackelzug zu Ehren des 105. Geburtstages von Stepan Bandera veranstaltete. Dass der Jüdische Weltkongress noch im Mai 2013 die Partei als "neonazistisch" bezeichnete und ein Verbot von Swoboda forderte, dass im selben Monat eine Delegation der Partei die NPD-Fraktion im sächsischen Landtag besuchte, ficht die Swoboda-Wähler nicht an. Die Bewegung wird nicht als rechtsextrem oder neonazistisch gewertet, sondern als patriotisch.

Tjahnybok kann nicht nur auf sein Bündnis mit Jazenjuk und Klitschko verweisen. Mit Timoschenkos "Vaterland"-Partei hatte Swoboda bei den letzten Parlamentswahlen aus taktischen Gründen sogar eine Kooperation bei der Listenerstellung vereinbart, um sich nicht Stimmen wegzunehmen und somit dem gemeinsamen Feind Janukowitsch zu nutzen. Der Marsch der Nationalisten dürfte weiter nach oben führen.