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Das späte Ende des geförderten EU-Huhns

Von Ronald Schönhuber

Politik

EU will Agrarexporte nach Afrika | künftig nicht mehr subventionieren.


Brüssel. Wenn man in Nairobi aus dem Stadtzentrum hinaus zu den Universitäten im Südwesten fährt, taucht auf der rechten Seite schon nach wenigen Minuten ein schier endloses Meer an Wellblechdächern auf. Kibera heißt die riesige Elendssiedlung am Rande der kenianischen Hauptstadt, und der Name, der auf Deutsch in etwa Dschungel bedeutet, erscheint heute fast noch passender als zu jener Zeit, als in der Gegend noch alles grün war. Mehr als 200.000 Menschen leben hier auf engstem Raum zusammen, häufig ohne Strom und Anbindung an das Sanitärsystem und mit einem Einkommen, das gerade einmal dafür reicht, mehr schlecht als recht über die Runden zu kommen.

Viele Bewohner, die heute in Kibera ihr Dasein fristen, sind mit der letztendlich zerschlagenen Hoffnung gekommen, in Nairobi ein neues und besseres Leben anfangen zu können. In dem Slum, der über lange Zeit hinweg als größter Afrikas galt, leben allerdings auch viele, die keine andere Wahl hatten, als vom Land in die Stadt zu ziehen. Es sind vor allem ehemalige Kleinbauern, die ihre Existenzgrundlage verloren haben, weil sie mit ihren Produkten auf den einheimischen Märkten nicht mehr konkurrenzfähig waren. Gegen die Flut an billigen Lebensmitteln aus Europa und den USA, die dank umfangreicher Subventionen oft nur einen Bruchteil lokaler Erzeugnisse kosten, konnte die Hirten-und-Hackstock-Landwirtschaft Afrikas nicht bestehen. Die ehemaligen Bauern in Kibera sind allerdings kein Einzelfall: Trotz eines großen Anteils an fruchtbaren Böden und genügend Arbeitskräften sind heute 35 der 48 Sub-Sahara-Staaten Lebensmittelimporteure - selbst das vergleichsweise reiche Schwellenland Südafrika gehört inzwischen dazu.

Doch zumindest in Europa scheint man nun nach Jahren der Kritik durch Nichtregierungsorganisationen bereit, mit einer langen Tradition zu brechen. "Ich bin bereit, ein für alle Mal auf die Erstattung für Ausfuhren in diese Entwicklungsländer vollständig zu verzichten", erklärte der rumänische EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos anlässlich der Eröffnung der "Grünen Woche" in der deutschen Hauptstadt Berlin. "Durch diesen Schritt wird unsere Agrarpolitik mit unserer Entwicklungspolitik vollständig in Einklang gebracht."

Ausstieg kommt zu spät

Bereits in den vergangenen Jahren hatten die Europäer ihre Stützungen für Agrarexporte massiv zurückgefahren. Betrugen die Subventionen aus Brüssel im Jahr 1991 etwas mehr als zehn Milliarden Euro und Anfang des Jahrtausends immerhin noch 5,65 Milliarden, so sanken die Ausfuhrhilfen 2012 laut Informationen des "Spiegel" auf 147 Millionen Euro.

Das europäische Umdenken könnte aus Sicht von Agrarökonomen und Entwicklungshilfeexperten für viele afrikanische Länder allerdings schon zu spät kommen. Denn mithilfe der Milliarden der Vergangenheit haben die zunehmend industrialisierten europäischen Lebensmittelhersteller die einheimische Landwirtschaft oft derartig nachhaltig geschwächt, dass ihnen nun auch ohne Subventionen keine ernsthafte Konkurrenz mehr droht. Allein im Jahr 2010, also zu einer Zeit, in der die Subventionen schon deutlich geringer ausfielen, konnte etwa die europäische Geflügelindustrie ihre Exporte nach Afrika um mehr als zwei Drittel steigern.

Die weitgehende Marktbeherrschung durch ausländische Produzenten dürfte sich laut Entwicklungshilfeexperten zudem in absehbarer Zeit auch auf die Preise auswirken. Wenn es kaum einheimische Konkurrenz mehr gibt, lassen sich Geflügel, Hirse und Zucker aus Europa nun wieder deutlich teurer verkaufen. Zu denjenigen, die sich viele Lebensmittel dann nicht mehr leisten können, dürften wohl auch die ehemaligen Bauern gehören, die nun in Slums wie Kibera leben.