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Stimme aus den Wäldern Pennsylvanias

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Gülen lebt als Phantom im luxuriösen US-Exil - ein Lokalaugenschein aus dem Jahr 2014.


Saylorsburg. Burhan lacht, wahrscheinlich das erste Mal überhaupt an diesem Tag. Alle bisherigen Fragen hat er vorsichtig beantwortet, kühl und sachlich und überlegt, nichts, aber auch gar nichts war ihm anzusehen, wie er wirklich über die Dinge denkt. Bis zu dieser Frage: Wie werden sie am Ende ausgehen, die Ereignisse in der Türkei?

"Es wird keine Probleme geben. Alles wird in Ordnung kommen", sagt Burhan. Und nicht die Tatsache, dass er lacht, sondern die Art wie, gibt eine Ahnung davon, dass man es hier nicht mit einem ganz normalen Torwächter zu tun hat. Ja, er lebe hier, zusammen mit rund 15 anderen Leuten. Die Tausenden anderen, die sonst hierherkommen, ins "Golden Generation Worship & Retreat Center", bleiben immer nur maximal ein paar Wochen. Wenn das Zentrum für Andacht und Erholung derart populär ist - warum steht dann nirgendwo in dieser gottverlassenen Gegend im Westen des US-Bundesstaates Pennsylvania auch nur ein einziges Schild, das einem den Weg dorthin weist? "Die Leute finden von alleine her", sagt Burhan, wieder ganz sein pseudo-cooles Selbst.

Dank den Segnungen des Internets und GPS ist es heutzutage tatsächlich nicht mehr schwierig, den Weg ins "Camp" zu finden. So lautet der Spitzname des riesigen Gebäudekomplexes im Dorf Saylorsburg, in dem sich der nach einhelliger Meinung von Experten der zweitmächtigste Mann der Türkei in den vergangenen 16 Jahren häuslich wie spirituell eingerichtet hat. Ein riesiges Grundstück, Badesee inklusive, das in der Regel ohne Ausnahme den Anhängern von Fethullah Gülen zur Verfügung steht, auf dass sie dort, umgeben von den wilden Wäldern Pennsylvanias, zur inneren Einkehr kommen und in Ruhe die Worte und die Lehren des islamischen Predigers studieren können. Zutritt für Nicht-Mitglieder streng verboten. "Tut mir sehr leid", sagt Burhan, "da müssen Sie sich an unsere Pressestelle wenden." Hat man natürlich schon vor Wochen und mehrmals getan, ohne entsprechende Antwort, das gehört mit zum Spiel.

Eine globale Bewegung

Der weltumspannende politische Erfolg und Einfluss der von Gülen angeführten Hizmet-Bewegung (türkisch für "Der Dienst"; in der Türkei selbst wird sie landläufig Cemaat genannt, "Die Gemeinde") ist nicht zuletzt auf diese Art von Geheimniskrämerei zurückzuführen. Ihre Feinde nennen Gülens Bewegung eine Sekte. Politische Analysten aus dem Westen - namentlich auch die Regierung des Landes, in dem er lebt, auch wenn sich das keiner ihrer Repräsentanten laut zu sagen traut - neigen zu einem milderen Urteil: Sie sehen in Hizmet eine der wenigen wirklich einflussreichen Kräfte in der muslimischen Welt, die einem modernen, moderaten Islam nicht nur das Wort redet, sondern diesen auch glaubwürdig repräsentiert; als zeitgemäßes Bindeglied zwischen den nationalistischen Idealen des Kemal Atatürk und den mehr oder minder religiös motivierten Gesetzgebern der die Türkei seit zehn Jahren regierenden AKP.

Bis vor einigen Monaten galten Gülen und die Seinen als Verbündete von Premierminister Recep Tayyip Erdogan. Seit ein paar Richter und Staatsanwälte es aber gewagt haben, sich der allem Anschein nach überbordenden Korruption innerhalb der AKP anzunehmen, ist ein Machtkampf ausgebrochen, dessen Ausgang mehr als ungewiss ist.

Was ihre eigene Sicherheit angeht, haben Gülen und seine Anhänger entsprechende Vorkehrungen getroffen. Jeder Brief und jedes Paket, die an die Adresse 7554 Mount Eaton Road geliefert werden, muss vor dem erst vor ein paar Monaten errichteten Eingangstor, das an einen alten DDR-Grenzübergang erinnert, abgegeben werden. Erst nachdem sich Burhan und seine Kollegen hinter den verspiegelten Scheiben des Kabäuschens vergewissert haben, dass sie keine Bomben enthalten, dürfen die Waren den Eingang passieren.

Namenlose Kontrahenten

"Es gibt viele Leute, die etwas von Fethullah Gülen wollen, aber er hat halt wenig Zeit", sagt der aus der Schwarzmeer-Gemeinde Samsun stammende Torwächter. Vor zwölf Jahren ist er aus Istanbul hierhergezogen. "Es war natürlich eine große Umstellung. Aber gut, New York ist ja nur zwei Stunden entfernt." So konziliant sich Burhan im Umgang mit den Besuchern gibt, so hart bleibt er in der Sache: "Tut mir leid, aber solange Sie nicht überprüft worden sind, müssen Sie draußen bleiben." Die Dinge seien eben kompliziert in der Türkei. Thema erledigt. Nicht, dass die Hizmet-Leute nicht immer schon vorsichtig gewesen wären. Aber jetzt, wo sie im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, halt noch ein bisschen mehr, Theater inklusive.

Nachdem Erdogan die Ermittlungen gegen seine Parteifreunde (und deren Söhne und deren Freunde) per Dekret niederschlagen ließ, tausende Vertreter der Judikative wie der Exekutive absetzte und die halbe Regierungsmannschaft austauschte, sprach er aus, was er und seine Anhänger wirklich denken: dass es in der heutigen Türkei einen "Staat im Staat" gebe, dessen Repräsentanten ihm und seiner Partei an den Kragen wollen "und deren üble Machenschaften die türkische Demokratie untergraben". Freilich, ohne das Kind auch nur ein einziges Mal beim Namen zu nennen. Nicht, dass das in der Türkei überhaupt nötig wäre: Dort weiß jeder, dass der Premier von Gülen und seinen Anhängern sprach.

Nicht, dass der 1941 in einem Dorf im Norden der Türkei geborene Prediger seinem Widersacher in Sachen aufgesetzter Subtilität nachstünde. Anfang der Woche gelang es der BBC als erstem unabhängigem Medium aus Europa seit 16 Jahren, mit Gülen persönlich zu sprechen. Der sunnitische Imam, der laut den britischen Reportern einen gesundheitlich angeschlagenen Eindruck machte, spielte dabei seine Rolle in der aktuellen Staatskrise herunter. "Ich weiß nichts über die aktuellen Ermittlungen. Ich habe auch niemanden angewiesen, irgendetwas zu tun", erklärte Gülen im Interview. Er wurde aber insofern deutlich, als er immer, wenn es um Erdogan ging, diesen ebenfalls nie beim Namen nannte, sondern immer nur "this guy" ("dieser Typ") sagte. Nach einer Empfehlung für die Regional- und Präsidentschaftswahlen befragt, antwortete Gülen betont unkryptisch: "Man sollte die Leute wählen, denen man vertraut, die sauber sind und glaubwürdig."

Während Gülens Worte in seinem Heimatland einschlugen wie eine Bombe, bemerkte man in seiner unmittelbaren Nachbarschaft davon ungefähr so viel wie von einem Baum, der in den Saylorsburg umgebenden Hügeln unter der winterlichen Schneelast umfiel. Unter den rund tausend weitflächig über die Ortschaft verstreuten Einwohnern ranken sich zahlreiche Mythen um Gülen - zweifellos befeuert von der Tatsache, dass ihn noch nie jemand außerhalb der Grenzen seines selbst gewählten Exils persönlich zu Gesicht bekommen hat.

Niemand kennt Gülen

Nachdem dieser Teil von Pennsylvania zudem als Hochburg der Rechtsausleger der Tea Party gilt - wovon nicht zuletzt der Slogan "Tritt mir nicht zu nahe" auf den historischen Gadsden-Flaggen zeugt, die ein gutes Dutzend Häuser zieren -, fallen die Reaktionen der Bürger entsprechend aus. "Es gibt hier viele Leute, die ihn für einen Terroristen halten, der von Präsident Barack Obama beschützt wird. Aber sonst kümmern sie sich nicht weiter darum", sagt die Verkäuferin der Tankstelle im Ort, mangels Café oder Restaurant der einzige wirkliche soziale Treffpunkt der Saylorsburger. "Nur einmal hat es eine Ausnahme gegeben, als vorigen Sommer tausende Türken in Bussen aus ganz Amerika hierhergekommen sind, um gegen Gülen zu demonstrieren. Da haben sich viele im Dorf den Protesten angeschlossen." Ob sie wisse, was in der Türkei los sei und welche Rolle Gülen dort spiele? "Keine Ahnung. Das weiß, glaube ich, niemand hier. Es interessiert auch niemanden wirklich. Die Leute haben sich ihre Meinung gebildet. Wissen Sie, hier gibt es viele Rassisten. Das hat den Vorteil, dass sie über bestimmte Dinge nicht nachdenken müssen."