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Schluss mit Nachsicht

Von Alexander Dworzak

Politik

SPD fordert automatischen Austausch von Kundendaten.


Berlin/Wien. Die Frage ist dieselbe, und die Leser antworten in einhelliger Ablehnung: "Soll Steuerbetrug bei Selbstanzeige in Deutschland straffrei bleiben?", fragen derzeit die wichtigsten deutschen Online-Nachrichtenportale. Nein, votierten beispielsweise mehr als 80 Prozent auf "Tagesschau.de". Dass die streitbare Publizistin Alice Schwarzer und der Berliner Kulturstaatssekretär Andre Schmitz (SPD) binnen weniger Tage zugeben mussten, Steuern hinterzogen zu haben, sorgt nicht nur für Häme und Empörung in Online-Foren und sozialen Netzwerken. Politische Konsequenzen werden mittlerweile immer lauter gefordert. "Wenn jetzt auch Steuerhinterzieher im intellektuellen Establishment bekannt werden, deutet das auf eine viel größere Dunkelziffer hin als bisher angenommen. Wir wollen die strafbefreiende Selbstanzeige überprüfen und gegebenenfalls ändern", sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann am Dienstag in einem Interview mit "Spiegel Online".

Zahl der Selbstanzeigenhat sich verdreifacht

Fast 25.000 Deutsche haben im vergangenen Jahr ihren Steuerbetrug selbst angezeigt, um der strafrechtlichen Verfolgung zuvorzukommen - dreimal so viele Personen wie 2012. Alleine auf die drei Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen entfielen mehr als 14.000 Selbstanzeigen. Dass die Finanzbehörden der Bundesländer nicht zimperlich beim Aufdecken sind, haben sie seit 2010 mehrfach bewiesen: Sie kauften CDs mit Kundendaten von (ehemaligen) Bankangestellten - Kritiker bezeichneten diese Praxis als Hehlerei. Nicht nur dicke Fische wie der frühere Post-Vorstandsvorsitzende Klaus Zumwinkel gingen ihnen dadurch ins Netz, eine Lawine an Selbstanzeigen folgte.

Ich melde dem Finanzamt meine Steuerhinterziehung, zahle die entsprechenden Steuern sowie sechs Prozent Hinterziehungszinsen zurück. Dafür garantierst du mir Straffreiheit. So lautet der Deal zwischen Bürger und Staat bisher - vorausgesetzt, die Tat ist nicht bereits amtsbekannt. Nach diesem Muster konnten im vergangenen Jahr 3,5 Milliarden Euro lukriert werden.

Doch auch die Praxis des Freikaufens ist nicht unumstritten, hat sie sich doch gewandelt: "Ich, der Staat, locke dich und nehme dein Geld - aber ob ich dir dann die Strafe wirklich erlasse, weiß ich noch nicht; das sehen wir dann", schreibt der Jurist und Journalist Heribert Prantl in der "Süddeutschen Zeitung". Denn alle nicht verjährten Steuerstraftaten müssen vom Steuerhinterzieher lückenlos aufgeführt werden. Vergisst man Angaben, kann die Selbstanzeige in ihrer jetzigen Form zum Fallstrick mutieren. Prominentestes Beispiel ist der Präsident des FC Bayern, Uli Hoeneß: Er steht trotz Selbstanzeige ab März vor Gericht.

Große Koalition bisherohne gemeinsamen Nenner

"Steuerhinterziehung in Millionenhöhe ist aber gewiss kein Irrtum, sondern eine Straftat", kontert der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD), der treibende Kraft hinter dem Ankauf von Steuer-CDs ist. Ganz anders sieht das Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Und nicht nur in dieser Frage: Als Schäuble noch unter der schwarz-gelben Vorgängerregierung ein bilaterales Steuerabkommen mit der Schweiz aushandelte, versagte ihm die rot-grüne Mehrheit im Bundesrat die Zustimmung. Ob und in welcher Form sich Christ- und Sozialdemokraten nun einigen können, bleibt abzuwarten.

Geht es nach SPD-Fraktionschef Oppermann, soll der automatische Informationsaustausch von Kundendaten mit der Schweiz so bald wie möglich Wirklichkeit werden. Die Schweizer Regierung steigt auf die Bremse: Dann müssten die anderen Finanzplätze mitziehen.

Während eine Lösung im Bund noch auf sich warten lässt, musste in Berlin Kulturstaatssekretär Andre Schmitz am Dienstag zurücktreten. Er hatte ein Konto mit fast einer halben Million Euro in der Schweiz nicht versteuert. Doppelte Pikanterie: Seine SPD trommelt immer lautstark für Steuergerechtigkeit. Und Bürgermeister Klaus Wowereit weiß seit 2012 von der Causa Schmitz.