Zum Hauptinhalt springen

"Die Schweizer haben sich keinen Gefallen getan"

Von Walter Hämmerle

Politik

In Vorarlberg reagiert man gelassen auf das Votum, man kennt den Nachbarn.


Bregenz. Das Votum der Schweizer Stimmbürger rüttelt an den Fundamenten der Beziehungen zur Europäischen Union, das Ja einer knappen Mehrheit zu einem Zuwanderungslimit betrifft aber vor allem die Grenzregionen. Aus österreichischer Sicht ist Vorarlberg und hier das Rheintal betroffen, durch welches ein Gutteil der gemeinsamen Grenze zur Schweiz verläuft.

Das Vierländereck Ostschweiz-Vorarlberg-Baden-Württemberg-Liechtenstein zeichnet sich durch enorme wirtschaftliche Dynamik und hohe Verflechtung aus. Was den gemeinsamen Arbeitsmarkt angeht, hat die Region jedoch enorme Schlagseite: Im Jahr 2012 arbeiteten 17.400 deutsche Staatsbürger (2002 waren es lediglich 10.600) und knapp 7900 Vorarlberger in der Ostschweiz (2002: 6200); weitere 8100 Vorarlberger arbeiten im Fürstentum Liechtenstein. Umgekehrt sind die Wanderungsbewegungen kaum der Rede wert: Nur 34 Schweizer kommen zum Arbeiten über die Grenze nach Vorarlberg, nach Deutschland sind es 730 (siehe Grafik).

Win-win für Grenzgänger

Die Gründe für diese Einseitigkeit liegen auf der Hand: In der Schweiz (und auch in Liechtenstein) werden einmalig hohe Löhne bezahlt; ein Lehrer verdient gut das Doppelte, wenn er von der Vorarlberger auf die Schweizer Seite des Rheins wechselt, bei Fachkräften kann der Unterschied noch höher ausfallen. Der Verdienst relativiert sich allerdings, wenn man auch die hohen eidgenössischen Lebenshaltungskosten berappen muss; wer jedoch die Chance hat, in Vorarlberg oder Deutschland zu wohnen und ein Schweizer Gehalt zu beziehen, ist glücklicher Teilnehmer einer Win-win-Situation.

Die Schweizer selbst wissen natürlich Bescheid über die Vorteile, die sie Pendlern zu bieten haben. (Anmerkung: Der Autor dieses Berichts war selbst Ende der 1980er Jahre als Ferialarbeiter in der Industrie. Der Zahltag war enorm, das Sozialprestige im Keller, selbst Schweizer Migranten aus Süd(ost)europa blickten auf einen herab.)

Abschottung riskant

Was nun die Auswirkungen der Abstimmung angeht, gibt man sich im Ländle gelassen: Zum einen traut sich niemand eine Prognose zu, wie die Verhandlungen der Schweiz mit Brüssel verlaufen werden; zum anderen kennt man hier die Nachbarn und hat gelernt, mit solchen, periodisch wiederkehrenden Überraschungen zu leben. "Je weiter man in den Westen kommt, desto gelassener fallen die Reaktionen aus", bringt Herbert Motter von der Vorarlberger Wirtschaftskammer diese Stimmung auf den Punkt. Zumal sich die Ländle-Grenzgänger - überwiegend hoch qualifizierte Fachkräfte - ohnehin nicht von der Initiative gegen die Zuwanderung betroffen fühlen: Diese richte sich nicht gegen Vorarlberg, ist etwa Walter Natter (ÖVP), Vizebürgermeister der Grenzgemeinde Lustenau, überzeugt.

Dass die Entscheidung den Wirtschaftsstandort Schweiz stärken wird, glaubt im Ländle niemand; möglich sogar, dass mittel- und langfristig Vorarlberg von der zunehmenden Abschottung des wohlhabenden Nachbarn profitiert. "Einen Gefallen haben sie sich damit sicher nicht gemacht", formuliert es einer. Nicht zuletzt die durchaus manifeste anti-deutsche Stimmung könnte noch zu einem Problem für die eidgenössische Wirtschaft werden.

Sollte die Zahl der Grenzgänger wider Erwarten doch sinken, würden dadurch zwar dringend benötigte Fachkräfte auf den Vorarlberger Arbeitsmarkt zurückkehren, rund ein Drittel der 8100 Arbeitnehmer könnte man wohl verkraften, schätzen Wirtschaftskreise - mehr würde wohl auf Kosten der Arbeitslosenzahlen gehen.