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"Es ist falsch, nichts zu tun"

Von Muhamed Beganovic

Politik

Auch in Wien lebende Bosnier und Neo-Österreicher solidarisieren sich mit der neuen Protestbewegung.


Wien.Manchen genügt das Klicken eines "Like"-Buttons auf Facebook nicht. So auch Patricija Zanka. Die 25-jährige Lehrerin zählt zur bosnisch-herzegowischen Diaspora in Österreich und verfolgt die Proteste in ihrer früheren Heimat sehr aufmerksam. Erst gründete sie vor einer Woche mit einem Freund die Facebook-Seite "Solidarität mit den sozialen Kämpfen in Bosnien und Ex-YU", die bereits 1600 "Gefällt mir"-Angaben zählt. Viele der laut "Medien-Servicestelle neue Österreicher" 206.000 Bosnier mit Migrationshintergrund im Land verwenden soziale Medien, um jede neue Nachricht mit den virtuellen Bekannten zu teilen. Zanka ging einen Schritt weiter: Sie beschloss, friedliche Demonstrationen zu veranstalten.

An diesem Wochenende findet "ihr" Protestmarsch in Wien statt. "Die Idee dahinter war, dass wir unsere Solidarität überparteilich mit protestierenden Arbeitern in Tuzla ausdrücken wollen", erklären Zanka und ihr Co-Organisator Branko Bratic, ein Software Developer aus Linz. Um 11 Uhr beginnt um Samstag der Marsch durch den Bezirk Meidling, startet bei der U6-Station-Philadelphiabrücke und endet vor der bosnischen Botschaft in der Tivoligasse 54, wo es zu Ansprachen kommen soll. "Der Marsch zur Botschaft soll ein von Musik begleitetes Zeichen dafür sein, dass die Protestierenden in Bosnien keine Kriminellen sind, sondern, so wie alle Menschen dieser Welt, nach einem Leben in Würde, ohne Nationalismus und Korruption von oben streben", sagt Zanka. Zu der Demonstration werden hunderte Teilnehmer erwartet. "Das Spannende ist, dass ethnische Grenzen überwunden wurden. Bosnier, Serben und Kroaten erhoffen sich teilweise einen neuen Einigungsprozess oder zumindest ein friedlicheres Zusammenleben", sagt die junge Lehrerin.

"Keine Kriminellen"

Zankas Marsch ist nicht das erste Zeichen der Solidarität in Wien. Bereits am Dienstag fand eine Demonstration am Yppenplatz in Ottakring statt. Organisiert wurde sie von Dzenita Memic und Zorica Jakupovic. Die beiden wollten eigentlich an Demonstrationen teilnehmen. Als sie merkten, dass noch keine angekündigt wurden, beschlossen sie kurzerhand, selbst eine zu organisieren – und das, obwohl sie darin keinerlei Erfahrung besaßen. "Dass sich die Menschen in Bosnien endlich gegen die korrupte Politik zur Wehr setzen, hat uns motiviert, hier eine Demonstration zu veranstalten", sagt Kauffrau Jakupovic. Seit Monaten haben die Arbeiter in Tuzla jeden Mittwoch gegen die geplante Streichung von 10.000 Arbeitsplätzen in fünf Fabriken demonstriert. "Keiner in Österreich hat es wirklich mitbekommen. Erst als etwas geschah, das uns alle wachrüttelte. Es hat sich dann einfach nicht richtig angefühlt, nichts zu tun", erklärt der Büroangestellte Memic. Obwohl die Demo kurzfristig angekündigt wurde, kamen etwa 150 Personen zusammen. "Es waren Österreicher, Bosnier, Serben und Kroaten dabei. Das Publikum hat sich mit dem bosnischen Volk solidarisiert", sagt Memic.
In Bosnien-Herzegowina ist die Zustimmung mit den Anliegen der Protestierenden – Auszahlung von fälligen Löhnen, Beschränkung von Politikergehältern sowie Rücktritte der Behörden in Kantonen und in Gemeinden – mit 88 Prozent überwältigend. Auch hier werden frühere ethnische Gräben überwunden: Sowohl in der bosniakisch-kroatischen Föderation als auch in der von Serben dominierten Republika Srpska unterstützen die Bürger die Forderungen. Am Freitag ist es den Protestierenden gelungen, eine weitere Forderung durchzusetzen. Auf Antrag des Bürgerplenums hat das Kantonalparlament einstimmig die Forderungen angenommen, zuvor zurückgetretenen Funktionären – dem kantonalen Regierungschef und seinen Ministern – ihre Gehaltsfortzahlungen zu streichen.
"Die Menschen unten haben Hunger, sind müde von den ganzen Lügen und leeren Versprechungen und wollen Veränderungen. Das ist alles was Bosnier interessiert", sagt Memic. Jakupovic ist sich sicher, dass die Proteste noch eine Weile andauern werden. "Solange keine Veränderung geschieht, die den Menschen in Bosnien und Herzegowina jene soziale Verbesserung bringt, nach der sie streben, werden die Leute demonstrieren", sagt sie. Auch die Rücktritte der Regierungschefs von Sarajavo, Tuzla und Zenica haben die Bosnier nicht besänftigt. Der Zorn der Bevölkerung ist noch zu groß.

Facebook ersetzt Medien

Die Aktivisten hier und dort nutzen die sozialen Medien nicht nur, um Interessenten auf die nächste Demonstration aufmerksam zu machen. Facebook, ist für viele junge Bosnier auch die Haupt-Informationsquelle. "Wir haben dank der sozialen Medien Dinge in Erfahrung bringen können, die wir sonst nie herausgefunden hätten. Die Menschen haben direkt von den Straßen berichtet", sagt Memic.
Konventionelle Medien wie Zeitungen oder Fernsehsender werden sehr kritisch beäugt. "Die Medien in Bosnien sind vor allem stumm, wenn es darum geht die Wahrheit zu sagen", sagt Dzenita Memic. "Es besteht eine Mediensperre in Bosnien und Herzegowina. Es wird mit allen Kräften versucht die Aufmerksamkeit auf den Sachschaden zu lenken", sagt Zorica Jakupovic.

Vor allem die Tageszeitung Dnevni avaz geriet in den vergangenen Tagen wegen angeblicher selektiver Berichterstattung stark in Kritik. Auf Facebook gibt es sogar Boykottaufrufe gegen die Zeitung. "Wir haben mittlerweile ein kleines Netzwerk aus allen Teilen Bosniens aufgebaut. Wir vergleichen die Aussagen untereinander, aber auch mit den Medienberichten", sagt Aktivistin Jakupovi