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Moskaus letzter sicherer Hafen

Von Veronika Eschbacher

Politik

Bevölkerung der Krim will nichts mit der neuen ukrainischen Führung zu schaffen haben - und umgekehrt.


Sewastopol. "Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch versteckt sich auf einer russischen Marinebasis in Sewastopol", ließ der bekannte ukrainische Journalist Swjatoslaw Tsegolko am Dienstag über den Kurznachrichtendienst Twitter wissen und berief sich auf drei nicht namentlich genannte Oligarchen. "Und wartet wohl darauf, dass die Russen ihn retten", wurde in Antwortkommentaren gelästert. Aber nicht nur, weil bereits seit Sonntag gemutmaßt wird, dass der mittlerweile per Haftbefehl gesuchte Ex-Präsident auf der eigentlich für seinen Sekt und die herrlichen Badestrände bekannten Halbinsel Unterschlupf gefunden haben soll, steht die Krim aktuell im Zentrum der nationalen Aufmerksamkeit. Sondern auch, weil Montagnacht Emissäre des russischen Parlaments unter der Führung des Abgeordneten Leonid Slutzkij eingetroffen waren. Im Gepäck: die Ankündigung, Bewohnern der Krim in einem einfacheren Verfahren russische Pässe auszustellen.

Und auch wenn Slutzkij am Dienstag bereits zurückruderte und Nachrichtenagenturen sagte, dies sei noch nicht fix und die Angelegenheit erfordere gründliches Nachdenken - die Grundnachricht bei den Bewohnern der Krim war angekommen. Immerhin legte Slutzkij nach, Russland wolle jedenfalls Maßnahmen ausarbeiten, um die Landsleute zu schützen. Manche Beobachter sehen dies als weiteren Anhaltspunkt einer möglichen militärischen Intervention.

"Es ist zwar auf der Straße großteils wieder ruhig, die Menschen gehen arbeiten, die Schulen haben geöffnet. Die Stimmung hier aber kann man wohl am besten mit depressiv und sorgenvoll, teilweise hysterisch beschreiben", sagt Olga Smirnova, eine junge Bewohnerin von Sewastopol zur "Wiener Zeitung". Ständig gebe es Gerüchte darüber, dass bewaffnete Maidan-Kämpfer auf dem Weg auf die Krim wären, um auch hier einen Umsturz zu erzwingen und das Gebiet zu ukrainisieren. Ihren Unmut taten die ethnischen Russen seit der Absetzung des Präsidenten am Samstag bereits in mehreren großen Anti-Maidan-Demonstrationen auf der ganzen Halbinsel kund. Dabei hissten sie russische Flaggen - am Dienstag sogar am Parlamentsgebäude - und verbrannten ukrainische. Ein Video aus Kertsch, dem äußersten Ostzipfel der Krim, zeigt, wie Pro-Maidan-Aktivisten von aufgebrachten Bewohnern verprügelt werden. Es war das erste Mal seit Beginn der Revolution, dass normale Bürger auf andere Bürger losgingen.

Die Krim-Bewohner rüsten sich gegen eine Gefahr, die von "rabiaten faschistischen Umstürzlern" ausgeht und vor allem in den vor Ort konsumierten russischen Medien verbreitet wird. Seit Tagen schreiben sich Männer in Verteidigungs-Einheiten ein. Die Repräsentantin einer pro-russischen Organisation auf der Krim schrieb gar einen Brief an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, in dem sie um Schutz bat, da ein "Genozid" an der russischen Bevölkerung zu befürchten sei.

Moskau statt Brüssel

Die Krim ist eine Insel des russischen Nationalismus inmitten einer Nation, die in die andere Richtung schaut - gen Europa. "Nun, dem Pass nach bin ich Ukrainerin, dem Herzen und der Seele nach aber Russin", sagt Olga. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte das 26.000 Quadratkilometer große Gebiet zunächst zu Russland. Kremlchef Nikita Chruschtschow machte es 1954 zu einem Teil seiner Heimatrepublik Ukraine innerhalb der Sowjetunion. Heute ist die Krim ein autonom verwalteter Teil der unabhängigen Ukraine. Von den mehr als zwei Millionen Einwohnern sind etwa 25 Prozent Ukrainer und knapp 60 Prozent Russen. Zudem siedelten sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR zehntausende Krimtataren wieder dort an. Diese stellten sich auf die Seite der Maidan-Aktivisten.

"Die Bewohner der Krim träumen natürlich davon, wieder zu Russland zu gehören", sagt Olga. Man wisse aber genau, dass dies vollkommen utopisch sei. Die einzige Forderung, die man gegenüber den neuen Machthabern in Kiew habe, sei, dass der Autonomiestatus beibehalten werde und dass man Russisch sprechen und unterrichten dürfe. "Das ist weder eine neue noch eine radikale Forderung", sagt Olga. Die ethnischen Russen waren schockiert darüber, dass man in Kiew als eine der ersten Handlungen nach dem Umsturz die Möglichkeit einer zweiten Amtssprache neben dem Ukrainischen eingestampft hatte.

Ungeachtet der angespannten Situation - von den Revolutionären in Kiew wird die Krim bisher nur ins Spiel gebracht, wenn in Sitzungen des Nationalen Sicherheitsrates von der Notwendigkeit der Hintanhaltung "separatistischer Bestrebungen" die Rede ist. Anstrengungen, die Krimbewohner davon zu überzeugen, dass sie es nicht mit faschistischen Umstürzlern zu tun haben, die ihnen an den Kragen wollen, halten sich in Grenzen.

Nur Interims-Innenminister Arsen Awakow und der neue Chef des Geheimdienstes SBU ließen sich bisher auf der Halbinsel blicken. Die beiden waren aber nicht auf der Suche nach klärenden Gesprächen, sondern nach Janukowitsch. Wie bald sie wiederkommen, bleibt offen. Das russische Verteidigungsministerium dementierte am Dienstag Berichte, die russische Schwarzmeerflotte sei an der Flucht des abgesetzten Präsidenten beteiligt. Nichtsdestotrotz habe man sie wegen des "politischen Chaos" in erhöhte Bereitschaft versetzt.