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Willkommen in der Hölle

Von WZ-Korrespondentin Christine Zeiner

Politik

Brennende Autos, Festnahmen, Gewalt - während des G20-Gipfels befindet sich Hamburg im Ausnahmezustand.


Hamburg. Die Sonne geht auf, im Gängeviertel wummern die Bässe. Wie schon die ganze Nacht hindurch hört man auch Freitag in der Früh die Sirenen der Polizei in Hamburg. Das Gängeviertel ist ein ehemaliges Arbeiterviertel mit alten Fachwerkhäusern im Zentrum der Stadt. 2009 wurde es besetzt, der Abriss der teils verfallenen Gebäude verhindert. Die Besetzer richteten Ateliers und ein Café ein, Wohnungen und Veranstaltungsräume. Das Viertel liegt in der Demonstrationsverbotszone: Seit 6 Uhr ist die "Allgemeinverfügung" in Kraft, mit der das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in zwei Hamburger Innenstadtbereichen eingeschränkt wird. Im Gängeviertel feiert man nun "die letzte Stunde der Demokratie".

An der Kreuzung vor dem Viertel versperrt ein aufblasbarer "schwarzer Block" den Weg. Das war der Plan des Aktionsbündnisses "Block G20": Den Ablauf des Gipfels "spürbar zu stören und die Inszenierung der Macht, die der Gipfel darstellt, zu brechen." Dazu werde man einen "massenhaften, öffentlich angekündigten Regelübertritt begehen".

"Es geht ja umunseren Planeten"

Hubschrauber kreisen. In der Stadt ist keine Ruhe. In der Nacht ist die G20-Welcome-to-hell-Demonstration eskaliert, die um
19 Uhr am Fischmarkt losgegangen ist. Weit kam sie nicht. Kurz vor der Hafenstraße stand ein großer Block komplett schwarz gekleideter Demonstranten einem Block Polizisten gegenüber. Erst wenn sie die Vermummung sein ließen, dürften sie weiterziehen, wurden die Frauen und Männer informiert. Die Polizei setzte Pfefferspray und Wasserwerfer ein. "Aufhören", riefen konventionelle Demonstranten.

Kurze Zeit später strömten immer mehr Menschen von der Norderelbe herauf Richtung Reeperbahn, viele mit schwarzen Regenjacken, Kapuze, Sonnenbrillen. Dazwischen Demonstranten gekleidet in unterschiedlichen Farben und - immer in Gruppen - Polizisten in Schutzuniform, mit Helmen und Schlagstöcken. "Haut ab, haut ab", brüllen Frauen und Männer ihnen im Chor zu.

Er war selbst mal Polizist, kommentiert ein Mittsechziger das Geschehen. Als Bürger habe auch er das Recht, gegen etwas zu protestieren, in Anspruch genommen. "Es geht ja um unseren Planeten", sagt seine Frau, die ebenfalls bei der Polizei gearbeitet hat.

Ein paar Meter weiter lösen drei schwarz gekleidete Männer flink Plastersteine aus dem Boden und packen sie ein. "Denen geht es doch nicht um die Sache", empört sich der Ex-Polizist. Vorhin habe er mit ein paar von den schwarz gekleideten jungen Menschen gesprochen, "ganz liebe, nette Leute. Die sagten mir, das sei eine Tarnung, so fühlten sie sich in der Gruppe sicherer. Aber wenn die friedlich demonstrieren, dann tut ihnen ja keiner was". Dass die Polizisten unter ihren Helmen schwarze Sturmmasken tragen, findet er "falsch" - "so sieht man aus, wenn man ne Bank überfällt".

Ausgebrannte Autos, zerschlagene Scheiben - am nächsten Tag sieht man die Zerstörung der Nacht. Doch es geht nicht nur um Sachbeschädigungen und Flaschenwürfe. Die Polizei meldet Attacken mit Eisenstangen und Molotowcocktails, außerdem Verletzte durch Steinschleudern.

Am Freitag sammeln sich die Demonstranten dann ab sieben Uhr Früh an mehreren Treffpunkten und laufen los Richtung Messe. Hier treffen einander die Staats- und Regierungschefs der G20. Auch Alyssa und ihre Mutter Ursula sind dabei. Schließlich werden sie mit den anderen Demonstranten eingekesselt.

In Sichtweite der Messe setzen sie sich spontan mit einigen anderen auf den Gehsteig. "Wir wollen Präsenz zeigen, wir leisten friedlich Widerstand gegen die Politik der G20. Wir wollen ein Umdenken, mehr Demokratie und den Schutz der Erde", sagt Ursula. Die Polizisten seien freundlich gewesen. Doch plötzlich sei eine Gruppe aus Berlin angerückt. Brutal hätten die Einsatzkräfte zwei junge Männer zu Boden gedrückt. Als Ärztin habe Alyssa helfen wollen, sei aber abgeführt worden. Die Mutter begleitete die Tochter und zeigt aufgeregt die Fotos, die sie gemacht hat.

Jetzt stehen Mutter und Tochter am Johannes-Brahms-Platz. Von zwei Seiten rollen Kolonnen von Einsatzwägen heran. Auf der Kreuzung und an jeder Ecke stehen Polizisten, eine Gruppe marschiert die Kaiser-Wilhelm-Straße hinunter, hier skandieren Demonstranten. Einige Journalisten tragen zum Schutz Fahrradhelme.

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Ursula und Alyssa versuchen zu ihren Freunden zurückzugehen, die noch Teil der Sitzblockade sind. Doch die Polizei lässt mittlerweile niemanden mehr in die Zone um die Halle - außer mit Presseausweis. Ursulas Mann berichtet später, er habe sich wegtragen lassen. Die Hannoveraner und Hamburger Polizisten seien jedenfalls sehr viel freundlicher als die Berliner. Am Freitagmittag sind 20.000 Polizisten aus dem gesamten Bundesgebiet im Einsatz, Unterstützung kam auch aus Österreich. Hamburg hat weitere Hilfe angefordert. Zusätzliche Hundertschaften rücken an.

Mehrere tausend Demonstranten sammelten sich dann am Nachmittag am Millerntorplatz, darunter auch Anhänger des "schwarzen Blocks". Ihr Plan: Am Abend das Konzerthaus Elbphilharmonie blockieren, damit die G20-Politiker nicht hineinkommen. Doch um 19 Uhr begann das Konzert. Während Kanzlerin Angela Merkel drinnen Applaus erhielt, fanden in der näheren Umgebung Straßenschlachten statt. Im Schanzenviertel rückte die Polizei mit Wasserwerfern gegen Autonome vor, die eine Kreuzung blockierten und Böller zündeten.

Am Freitagabend zog sie Bilanz: Bis dahin wurden knapp zweihundert Beamte verletzt. Die Proteste gingen in den dritten Tag: Die letzten Großdemonstrationen sollten am Samstagnachmittag über die Bühne gehen.