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Der Tod der Allzweckwaffe

Von Veronika Eschbacher

Politik

Gas ist im Umgang mit Europa für Russland kein Allheilmittel mehr.


Moskau/Kiew. "Gas ist eine Waffe. Es brennt, es explodiert, es kann Menschen ersticken", sagte einmal Wjatscheslaw Scheremet, ehemaliger stellvertretender Vorstandsvorsitzender des russischen Gasmonopolisten Gazprom. Russland hat Erdgas bereits zweimal als Waffe gegen die Ukraine eingesetzt - in den Jahren 2006 und 2009. Viele westliche Beobachter fragen sich nun, ob Moskau angesichts des sich zuspitzenden Konflikts mit dem Nachbarland erneut auf diese Karte setzt. Eine militärische Option, sind sich Experten einig, würde immense Nachteile für Russland auslösen, von einer wahren Eiszeit in den Beziehungen mit dem Westen bis hin zu einem weiteren Absacken ausländischer Direktinvestitionen für die sich ohnehin in einer schweren Krise befindende russische Wirtschaft.

Die vergangenen beiden Gaskrisen haben die Ukraine und Europa noch in lebhafter Erinnerung. Nichtsdestotrotz hat sich an der Abhängigkeit Europas von russischem Gas kaum etwas geändert. Im Gegenteil: Gazprom hat seinen Anteil am europäischen Gasmarkt im Vorjahr auf einen neuen Rekord von mehr als 30 Prozent gesteigert. Die Hauptader der Versorgung der Europäer läuft durch die Ukraine - die Hälfte der Gaslieferungen in die EU, an den Balkan und die Türkei passieren das Land am Dnjepr. Dennoch ist Gas Experten zufolge für Russland keine Allzweckwaffe mehr - weder in Bezug auf die Ukraine noch, wenn es um Europa geht.

Dies hat mehrere Gründe. Wenn der derzeitige politische Wandel vor vier Jahren eingetreten wäre, "dann wären die Spotpreise über den gesamten Kontinent hinweg nach oben ausgerissen", sagte Nick Campbell, Analyst bei Inspired Energy Plc in Kirkham, Großbritannien, zur Finanznachrichtenagentur Bloomberg. Dies verhinderte nicht zuletzt, dass Europa aufgrund des milden Winters aktuell über die größten Lagerbestände an Erdgas seit mindestens 2009 verfügt. "Eine Lieferblockade würde man sehr lange aushalten", glaubt auch Gerhard Mangott, Energie- und Russlandexperte der Universität Innsbruck.

Europa kann zurückfeuern

Den Einsatz einer Lieferunterbrechung hält Mangott für Russland riskant, da die Ukraine als Vergeltungsmaßnahme den Transit nach Europa - zu den Hauptkunden von Gazprom - unterbinden könnte. Aber nicht nur deshalb. Je unsicherer Gaslieferungen aus Russland werden, umso mehr würden die Europäer versuchen, die Lieferanten zu diversifizieren oder zum Teil den Energieträger Gas durch andere Energieträger zu substituieren. "Gazprom kann sich auf dem europäischen Markt nicht noch eine Vertrauenskrise leisten", sagt Mangott. Eine wirkliche Unterbrechung der Lieferung sei natürlich nicht völlig auszuschließen, der Experte hält sie aber für wenig wahrscheinlich.

Heute haben die Europäer aber noch ein Ass gegen Russland im Gasbereich im Ärmel. "Die EU könnte auch versuchen, auf Russland Druck auszuüben, indem es dem Land bei South Stream Hürden in den Weg legt", sagt Mangott. Die neueste Gaspipeline aus Russland in Richtung Europa, an der bereits gebaut wird und die von Südrussland durch das Schwarze Meer nach Europa führt, steht bereits unter dem Beschuss durch die EU-Kommission. Diese ist der Ansicht, dass die zwischenstaatlichen Vereinbarungen, die Russland mit den einzelnen Transitländern abgeschlossen hat, EU-Recht widersprächen und daher abgeändert werden müssten. "Solange die Russen South Stream nicht haben, bleiben sie auf das ukrainische Leitungsnetz angewiesen, weil sie bestimmte Kunden - etwa Österreich oder die Slowakei - nicht über Nord Stream (Pipeline über die Ostsee nach Deutschland, Anm.) oder Jamal (nach Polen, Anm.) versorgen können", sagt Mangott.

Aufhebung des Rabatts

Das wiederum hätte den Vorteil, dass Russland gezwungen wäre, weiter Gas durch die Ukraine zu liefern - was Kiew weiterhin Einnahmen aus Transitgebühren verschaffen würde. Und in der Ukraine ist ob des mehr als klammen Staatshaushaltes jeder Dollar willkommen.

Was bleibt Russland bei diesem Szenario noch als Druckmittel? "Sehr wahrscheinlich ist es, dass man den Gasrabatt, den die russische Führung im Dezember Wiktor Janukowitsch eingeräumt hat, Mitte März nicht mehr verlängert wird", sagt Mangott. Dann muss die Ukraine erneut den alten, sehr hohen Preis von gut 400 Dollar pro tausend Kubikmeter berappen - anstelle der 268,5 Dollar seit Einsetzung des Rabatts. Das ist für Kiew ein Problem. Schon die Summen für die Rechnungen mit dem niedrigeren Gaspreis konnte die Ukraine nicht begleichen. Der Ausstand beträgt 4,7 Milliarden Dollar.

Wenn auch Moskau über die letzten Tage viele verschiedenartige Drohungen in Richtung Ukraine und Europa schickte, so hielt es sich im Gasbereich zurück. "Russland hat aus den letzten beiden Krisen gelernt. Von sich aus wird Moskau sicher keine neue Gaskrise herbeiführen", sagt Mangott.