Wien. Die Ereignisse auf der Krim haben zur schwersten Konfrontation zwischen Ost und West seit dem Ende des Kalten Krieges geführt. Politiker und Kommentatoren stellen die Frage, ob Europa wieder in Zeiten zurückfällt, die 1989 überwunden schienen. Noch sei eine Umkehr möglich, noch könne eine neue Spaltung Europas verhindert werden, lauten die beschwörenden Worte des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. Doch der einzige, der handelt, ist derzeit Kremlchef Wladimir Putin.

Er ignoriert die Souveränität der Ukraine, auf der Krim haben russische Truppen die Macht übernommen, laut einem später dementierten Medienbericht wurden die ukrainischen Streitkräfte aufgefordert, sich zu ergeben, Kampfjets dringen in den ukrainischen Luftraum ein. Es scheint jetzt nicht mehr ausgeschlossen, dass sich das Krim-Szenario im Osten der Ukraine wiederholt. Auch hier besetzten pro-russische Demonstranten Amtsgebäude, die russische Armee hat hinter der Grenze 150.000 Mann in Alarmbereitschaft versetzt.

Für den Westen wird ein Albtraum wahr: "100 Jahre nach 1914 finden wir uns plötzlich wieder in einem Europa von Invasion, Aggression und Drohungen wieder" twittert der schwedische Außenminister Carl Bildt, für US-Außenminister John Kerry verhält sich Moskau "wie im 19. Jahrhundert". Russland marschiere in andere Länder unter Verweis auf "frei erfundene Gründe" ein, so der US-Amerikaner. Die östlichen Staaten der EU fühlen sich jedenfalls an ihre jüngere, traumatische Vergangenheit erinnert, das Wort "Panzerkommunismus" taucht plötzlich wieder auf. In Prag, Bratislava, Budapest und den baltischen Staaten hat man die eigenen Sowjet-Invasionen vor Augen und ist entsprechend alarmiert. In Washington, Berlin und Paris dämmert es den Verantwortlichen, dass man viel zu lange von Kooperation mit dem russischen Bären geträumt hat - und schlägt jetzt umso härter auf dem Boden der Realität auf.

Putin zieht rote Linien

mit dem Bajonett

Denn Putin ist dabei, dem Westen seine Logik der Konfrontation aufzuzwingen. US-Außenminister John Kerry schlägt jetzt ebenfalls martialische Töne an, er spricht von einem "unglaublichen Akt der Aggression", der "schwerwiegende Konsequenzen" für Russland haben werde. Das klingt schon etwas nach Kaltem Krieg. Es besteht die Gefahr, dass knapp 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer Kommunikationskanäle wieder gekappt werden, West und Ost auseinanderdriften und sich belauern. Der Vorstoß, Russland aus den G8 zu verbannen, wäre ein erster Schritt in diese Richtung. Es ist, so betont jedenfalls der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der ARD, "das einzige Format, in dem wir aus dem Westen noch mit Russland unmittelbar sprechen".

Die russische Armee schafft indes Fakten, der Kreml zieht auf der Krim rote Linien mit dem Bajonett. Für Putin ist der Zerfall der Sowjetunion die "größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts", der starke Mann im Kreml will die Schmach tilgen. Putin hegt die Vision einer "Eurasischen Union", die zumindest aus Teilen der zerfallenen UdSSR bestehen und Russland zu neuer Macht und Geltung verhelfen soll. Das politische Denken des Ex-KGB-Mannes ist von den Kategorien "wir oder ihr" geprägt, er ist bereit, seine Einflusssphären auch mit Waffengewalt zu sichern.

Dass der Westen ihn als Persona non grata sieht, ist Putin spätestens seit der Boykottdiskussion um die Olympischen Winterspiele in Sotschi klar - und war ihm immer schon herzlich egal. Der russische Präsident bricht mit dem Einmarsch auf der Krim das Völkerrecht und setzt alles auf eine machtpolitische Karte. Die EU ist für Putin kein ernst zu nehmender machtpolitischer Faktor. Die Union agiert zu uneinheitlich, spricht mit zu vielen Stimmen. Ernste Konsequenzen befürchtet Putin von dieser Seite nicht. Der einzige Global Player, den Putin ernst nimmt, sind die USA. Doch diese haben sich in den letzten Monaten außenpolitisch unentschlossen gezeigt. So hat Barack Obama etwa im Fall Syriens rhetorisch eine rote Linie - einen Giftgas-Angriff - zwar festgelegt, dann aber nicht gehandelt. Putin sieht Washington offenbar in einer Phase der Schwäche, nun scheint für ihn der Zeitpunkt günstig, seine Pläne - die etwa bei der Krim-Invasion offenbar schon lange in der Schublade liegen - umzusetzen.

Die Frage lautet nun, welches Risiko er mit seinem militärischen Vorstoß eingeht. Putin hat sich die Krim als Faustpfand für weitere Verhandlungen über die Zukunft der Ukraine gesichert. Es ist schwer vorstellbar, dass der Kreml die Kontrolle über die Halbinsel, auf der die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist, in absehbarer Zeit verlieren könnte. Putin muss nicht fürchten, dass die Nato militärisch auf Seite der Ukraine eingreift. Die ukrainische Armee wiederum ist für Russland keine Gefahr, dafür sind die Streitkräfte Kiews zu schwach. Und eine weitere Botschaft sendet der Kreml: Er will bestimmen, wie es mit der Ukraine weitergeht. Die EU, die neue Regierung und die Revolutionäre vom Maidan sollen zur Seite gedrängt werden. Bedrohlich klingen in diesem Zusammenhang die Worte von Putins Kompagnon, Premier Dmitri Medwedew: Die ukrainische Führung habe die Macht illegal an sich gerissen, sagt er, ihre Herrschaft werde mit einer "neuen Revolution" und weiterem Blutvergießen enden. Innenpolitisch ist die russische Führung mit solch martialischen Tönen, denen dann Taten folgen, auf der Siegerstraße. Mit seiner Propaganda geriert sich Putin als der Mann, der Russlands alte Größe wiederherstellt. Jetzt handelt er. Die vom Kreml kontrollierten Medien erzeugen die passende patriotische Stimmung.