Der Schein trügt: Russland ist keine Supermacht mehr

Nun ist entscheidend, wie der Westen reagiert. Russland kann darauf spekulieren, dass es bei einem Sturm im Wasserglas bleibt. Denn die UN-Vetomacht Russland wird international benötigt: sei es bei der Syrien-Krise, sei es beim Streit um Irans Atomprogramm. Einige symbolische Sanktionen, ein vorübergehender Ausschluss aus den G8, all das würde Russland wohl nicht sonderlich schmerzen - wichtige Kommunikationskanäle aber verstopfen. Hier wird von vielen Seiten ins Treffen geführt, dass Europa die Hände gebunden seien, weil es vom russischen Gas abhängig ist. Doch das ist ein Nullsummenspiel: Die darbende russische Wirtschaft ist genau so auf die Gaseinnahmen angewiesen.

Immerhin ist denkbar, dass Putin diesmal den entscheidenden Schritt zu weit gegangen ist. Wollen die USA ihre außenpolitische Vormachtstellung nicht einbüßen, müssen sie jetzt, falls Russland nicht einlenkt, konsequente Handlungen setzen: Das wären Kontosperren, Einreiseverbote, harte Wirtschaftssanktionen, Isolation. Fraglich ist aber, wieweit die mit Russland stärker vernetzte Europäische Union bei so etwas mitziehen will. Wirtschaftliche und diplomatische Ausgrenzung würde Russland treffen, aber auch der Westen würde verlieren.

Die Hebel für eine Beilegung der Krise scheinen noch nicht gefunden: Derzeit deutet vieles darauf hin, dass Europa, zumindest für geraume Zeit, eine kalte Kohabitation mit Russland bevorsteht. Ein ohnehin gespanntes Verhältnis wird sich weiter verschlechtern.

Putin könnte sich aber selbst überdribbeln - und im Endeffekt genau das erreichen, was er nicht wollte, nämlich dass ein prowestlicher Staat in seiner Nachbarschaft entsteht. Spaltet sich die Krim nämlich tatsächlich ab, dann verschieben sich die Mehrheitsverhältnisse in der Ukraine zuungunsten der prorussischen und zugunsten der proeuropäischen Kräfte. Wenn Moskau nun separatistische Tendenzen in der Ostukraine unterstützt und es zu einer Spaltung der Ukraine kommt, dann hätte Russland zwar einen treuen Vasallenstaat an seiner Grenze. Aber gleichzeitig würde sich in der Westukraine ein Staat bilden, der danach giert, Teil der EU und der Nato zu werden. Das westliche Militärbündnis könnte plötzlich in Kiew, der Wiege der russischen Zivilisation, stationiert sein. Und Putin müsste zur Kenntnis nehmen, wogegen er sich wehrt: dass Russland keine Supermacht mehr ist.