Zum Hauptinhalt springen

Die Rückkehr der Oligarchen

Von Veronika Eschbacher

Politik

Schwerreiche Geschäftsleute werden Gouverneure im Osten - zur Beruhigung.


Kiew. Der neue Gouverneur von Dnjepropetrowsk ist ein Freund klarer Worte. "Wir hatten den großen Schizophrenen, Russland hat den kleinen Schizophrenen", sagt er bei seiner Antrittspressekonferenz am Montag vor ukrainischen Medien und bezieht sich dabei auf den abgesetzten ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch und Wladimir Putin, den russischen Präsidenten. Dass ausgerechnet ein Gouverneur im prorussischen Osten des Landes solche Worte öffentlich aussprechen würde, ließ doch manchen Beobachter mit offenem Mund zurück.

Aber in der Ukraine scheint aufgrund der Ausnahmesituation durch die militärische Bedrohung Russlands momentan vieles möglich. Auch Postenbesetzungen, die Maidan-Aktivisten vor zwei Wochen noch niemals akzeptiert hätten. Anders wäre es gar nicht möglich, dass nun ausgerechnet die so verhassten Oligarchen wieder auf der politischen Bühne des Landes auftauchen, das durch einen Volksaufstand seine bisherige Führung verjagt hatte. Igor Kolomojskij, der furchtlose Kritiker der beiden Präsidenten und drittreichste Ukrainer, wurde zum Gouverneur von Dnjepropetrowsk ernannt. Stahl- und Kohlemagnat Serhij Taruta ist sein Pendant in Donetsk.

Das geringste Übel

"Wenn das so weitergeht, haben wir bald eine Oligarchen-Hundertschaft", witzelte ein Maidan-Aktivist über den Kurznachrichtendienst Twitter (die Selbstverteidigung des Maidans ist in sogenannte Hundertschaften eingeteilt). Als großen Trend darf man die Besetzung der Posten mit Oligarchen freilich nicht verstehen. Es ist vielmehr so, dass dies von den Revolutionären zähneknirschend akzeptiert wird, - praktisch als das geringste Übel in einer für die Ukraine herausfordernden Übergangszeit. Momentan scheint in Kiew eine alte Regel zu gelten: Gibt es eine Bedrohung von außen, wird innenpolitisch erst Mal nicht kritisiert.

Die neue ukrainische Führung verfolgt mit der Besetzung, die manche Kommentatoren als "verzweifelt" bezeichnen, aber auch bestimmte Ziele. Kolomojskij etwa hat keine 360-Grad-Wendung vollzogen. Der Ostukrainer, der seit Jahren eigentlich in der Schweiz lebt, wurde von Janukowitsch eher geduldet als geliebt, und stellte sich während der Proteste auf die Seite der Maidan-Aktivisten. Seine Ernennung ist aus ukrainischer Sicht auch ein Zeichen an die Bürger im Osten, aber auch in Richtung Russland, dass es ist nicht wahr sei, dass nun das ganze Land nur von Westukrainern regiert werde. Und sie soll wohl auch den russischen Vorwürfen "faschistischer Neigungen" der neuen Führung in Kiew den Wind aus den Segeln nehmen - Kolomojskij ist sehr aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde.

Aber nicht alle Oligarchen wollen momentan groß vor den Vorhang treten. Man kann davon ausgehen, dass Rinat Achmetow, dem reichsten Ukrainer und Förderer des abgesetzten Präsidenten Janukowitsch, der Gouverneursposten sicherlich auch angeboten wurde. Er hält sich aber bisher zurück. Seine Statements zur neuen Führung, wie auch die von Dmytro Firtasch, der Janukowitsch zur Macht verhalf, sind noch sehr vorsichtig und teilweise zweideutig. Beobachter meinen, absichtlich, da sie eine Gegenrevolution, wenn diese auch unwahrscheinlich erscheint, noch nicht gänzlich ausschließen.

Keine Rachekampagne

Und während sich die beiden aber nach wie vor in der Ukraine aufhalten, haben sich andere Oligarchen, die klar mit Janukowitsch verbandelt waren, abgesetzt. Darunter der in der Ukraine als "Baby-Oligarch" bezeichnete Serhij Kurtschenko. Der 28-Jährige tauchte im Vorjahr praktisch aus dem Nichts mit einem auf 2,5 Milliarden Dollar geschätzten Vermögen unter den zehn reichsten Ukrainern auf. Lokalen Medienberichten zufolge soll er als Strohmann in Firmen fungiert haben, die eigentlich dem Janukowitsch-Clan zuzuschreiben sind und so gigantische Geldwäsche betrieben haben. Momentan soll er sich in Russland aufhalten und von dort aus versuchen, den Zerfall seines Imperiums - eine Raffinerie in Odessa soll bereits der russischen Rosneft gehören, seine Banken wurden wegen Zahlungsschwierigkeiten unter Aufsicht gestellt - aufzuhalten.

Es ist aber nicht klar, wer an diesem eigentlich rüttelt. Bisher hat die neue ukrainische Führung nur ein einziges Mal direkt auf Vermögen zugegriffen: Als das Parlament - aus rechtlicher Sicht wohl bedenklich - per Beschluss die Luxusresidenz von Janukowitsch in Staatseigentum überschrieb. Aktuell gibt es keine weitere Andeutungen der Übergangsregierung, Eigentum der alten Führungsriege zu beschlagnahmen. Eine Aufarbeitung von Korruptionsvorwürfen vor Gericht wird wohl erst starten, wenn sich die Lage beruhigt hat. Eine richtige Hexenjagd erwartet aber niemand.

Kolomojskij versprach am Dienstag, er wolle, solange er den Posten habe, sein Geschäft ruhen lassen. Die wenigen kritischen Stimmen bekamen - nicht ganz unerwartet - Schützenhilfe von den von ihm beleidigten russischen Präsidenten. Putin kritisierte in seiner Pressekonferenz am Dienstag die Bestellung von Milliardären in der Ukraine als Gouverneure. Und Kolomojskij sei ein "einzigartiger Betrüger".