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Füchsin in Lauerstellung

Von Veronika Eschbacher

Politik

Ex-Premierministerin könnte auf die radikal antirussische Karte setzen.


Kiew. Julia Timoschenko war immer schon eine ausgezeichnete Rhetorikerin. Zu einem Interview mit der ukrainischen BBC kam sie am Dienstag aufgrund ihrer Rückenprobleme mit dem Rollator - den sie auf 10-Zentimeter-Absätzen anschob. Auf die Frage der Journalistin, wie das zusammenpasse, antwortete die 53-Jährige, dass für sie Stöckelschuhe ein Symbol des Widerstands gegen das Regime des abgesetzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch seien. Die Wirbelsäulenprobleme, die ihren Angaben zufolge während der Haft begannen, hätten sie nicht gebrochen - durch die Absätze könne sie zeigen, dass sie nach wie vor nicht nur innerlich stark, sondern dass auch äußerlich alles mit ihr in Ordnung sei.

Und so wie Timoschenko es vermag, Antworten auf scheinbar unausweichliche Fragen zu politischen Parolen und Symbolen hochzustilisieren, wurde ihr immer die Eigenschaft zugeschrieben, sehr kreativ in der politischen Arena zu agieren. Momentan dürfte sie aber trotz aller Gerissenheit ein wenig planlos sein. Seit ihrer plötzlichen Haftentlassung vor knapp zwei Wochen hat sie genau zwei öffentliche Auftritte absolviert und zwei Videobotschaften für die Ukrainer aufgenommen, in denen sie die aktuelle Krise kommentiert und Ratschläge gibt, wie man mit Russland umgehen solle.

Für Experten ist ihre Zurückhaltung ein Beweis, dass sie verstanden hat, dass die Ukraine nach der Revolution am Maidan eine andere ist. Das dürfte sie bereits am ersten Abend ihrer Freilassung bemerkt haben. Der Empfang, denn man ihr am Maidan bereitete, war lau. Ihre Rede wurde mehrere Male unterbrochen und schließlich abgebrochen. Ohne Verabschiedung schob man sie, die im Rollstuhl gekommen war, von der Bühne. "Schön, dass du frei bist, aber jetzt mach die Fliege" - mit diesen Kommentaren kursierten wenige Stunden später ihre Bilder in sozialen Medien. "Wir sind doch nicht für sie am Maidan gestanden", zuckten Demonstranten mit den Schultern.

Timoschenko hat bisher kein einziges Mal selbst öffentlich gesagt, sie werde bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen am 25. April kandidieren. Berichte darüber, die gleich nach ihrer Entlassung in lokalen Medien vermeldet wurden, entsprächen nicht den Tatsachen, ließ sie über ihren Anwalt ausrichten. Vor wenigen Tagen gab Witalij Klitschko von der Partei Udar ("Schlag") bekannt, Timoschenko hätte ihm gegenüber ihre Absicht, bei den Präsidentschaftswahlen anzutreten, ausgedrückt. Von ihr kam abermals keine Bestätigung.

Parteiintern umstritten

Auch parteiintern ist die Vorsitzende der Vaterlandspartei nicht mehr die unumstrittene Heldin. Nicht alle sind mit der Entwicklung zufrieden, dass sie wieder das Sagen hat. Das hört man aber nur unter vorgehaltener Hand. Sie führt die Bewegung sehr autoritär, unzufriedene Parteimitglieder werden schnell aussortiert. Sie weiß zudem, dass es innerhalb der Partei keine Alternative zu ihr gibt. Die Zustimmung für Arsenij Jazenjuk, den jetzigen Übergangspremier aus ihrer Partei, sinkt seit Wochen kontinuierlich.

Nicht zuletzt weil sich Timoschenko am Freitag einer Operation am Rücken unterzieht, wird es wohl auch in den nächsten Tagen - innerukrainisch, nicht auf europäischer Ebene - weiterhin eher still um sie sein. "Sie hält sich in Deckung und sucht die richtige Rolle für sich", sagt Kyryl Savin von der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew zur "Wiener Zeitung". Es wird auch gemutmaßt, dass sie Witalij Klitschko und andere Präsidentschaftskandidaten erst aus einer Lauerstellung beobachten will. Immerhin lässt es sich aus der Deckung besser spielen.

Dass sie sich neu positionieren muss, ist unumstritten. Für viele zählt sie zur alten Führung, die inkompatibel scheint mit dem neuen Weg, den das Land nun geht. Erste Andeutungen, in welche Richtung es gehen könnte, hat sie bereits gemacht. In ihren Botschaften schießt sie ungewohnt scharf gegen Russland. So habe das Nachbarland etwa mit seinen Aktivitäten auf der Krim nicht nur internationales Recht verletzt, sondern darauf "herumgetrampelt". Die russische Schwarzmeerflotte, die einen "Unruheherd" darstelle, müsse sofort abziehen. Sie sprach sich auch in einem Interview mit dem "Stern" klar für einen Nato-Beitritt der Ukraine aus. "Sie möchte sich wohl als eine radikale prowestliche und antirussische Kraft darstellen", mutmaßt Savin.

Für Putin unberechenbar

Dabei hatte Timoschenko eigentlich keine schlechten Beziehungen zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Dieser selbst hatte erst in seiner Pressekonferenz am Dienstag erneut bekräftigt, dass er bereit sei, mit ihr zusammenarbeiten und dass die frühere Zusammenarbeit durchaus produktiv war. "Wahrscheinlich geht er davon aus, dass sie die gleiche ist wie früher", sagt Lilija Schewtsowa vom Carnegie Center in Moskau zur "Wiener Zeitung".

Timoschenko hätte aber ihre Wählerbasis verloren - und der Kampf mit Russland sei eine Art, wie sie wieder an Macht gewinnen kann. "Sie kann für Putin vom Partner zum Feind werden, das ist alles möglich", sagt Schewtsowa.

Nötig hat Timoschenko eine Neuerfindung allemal: Laut Präsidentschaftswahlrating von Mittwoch erreicht sie aktuell gerade Mal 9,7 Prozent der Stimmen und den dritten Platz hinter Oligarch Petro Poroschenko und Witalij Klitschko.