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Erdogans Feind heißt Internet

Von Ines Scholz

Politik

Türkischer Premier droht nun mit Verbot von Youtube und Facebook|Präsident Gül kündigt Widerstand an.


Ankara. Für seinen Machterhalt opfert Recep Tayyip Erdogan viel - sogar den Mythos vom demokratischen Reformer und Modernisierer der Türkei. Das hat der türkische Premier bei den Massenprotesten gegen ein Bauprojekt im Istanbuler Gezi-Park, die er brutal niederknüppeln ließ, ebenso deutlich gemacht wie bei den Korruptionsermittlungen gegen Kabinettsmitglieder und dessen familiäres Umfeld, auf die Erdogan mit Zwangsversetzungen in Justiz und Polizei, Massenverhaftungen und einer rigorosen Internetzensur antwortete.

Doch die Maßnahmen zeigten nicht die gewünschte Wirkung. Zuletzt geriet Erdogan selbst in den Strudel der Korruptionsaffäre. Entlarvende Telefongespräche unter anderem zwischen ihm und seinem Sohn kursieren auf YouTube. Und bringen den politisch bereits schwer angeschlagenen Politiker und seine konservative AKP vor den Kommunalwahlen Ende März weiter in Bedrängnis.

Der schlägt jetzt zurück: Nach dem Urnengang, so kündigte Erdogan an, wolle er Internetplattformen wie Facebook und Youtube dauerhaft sperren lassen. Im regierungsnahen Fernsehsender ATV sagte er wörtlich: "Ich werde nicht zulassen, dass unsere Nation Facebook und Youtube geopfert wird." Für die "Destabilisierungskampagne" machte der Regierungschef - einmal mehr - den im US-Exil lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen und dessen Netzwerk in der Türkei verantwortlich. Mit seinem Gesetzesvorstoß stößt Erdogan nicht nur seine Kritiker neuerlich vor den Kopf, sondern auch auf entschlossenen Widerstand seines Parteikollegen, Staatspräsident Abdullah Gül. Mit ihm sei ein solches Verbot nicht zu machen, ließ Gül am Freitag ausrichten. Eine Blockade stehe nicht einmal zur Debatte, legte er nach. Güls Amtszeit endet allerdings im Mai. Das Gesetz müsste also sein Nachfolger in Kraft setzen - möglicherweise Erdogan selbst, der sich als Kandidat bereits in Stellung gebracht hat.

Peinliche Enthüllungen

Dass Erdogan nicht davor zurückschreckt, die Meinungsfreiheit drastisch einzuschränken, wenn diese seinen Interessen zuwiderläuft, zeigt auch das Zensurgesetz, das Mitte Februar in Kraft trat und von Kritikern inner- und außerhalb der Türkei massiv kritisiert worden war. Das neue Internet erlaubt Kommunikationsminister Lütfi Elvan, unliebsame Inhalte auch ohne richterliche Zustimmung vorübergehend zu blockieren. Dem Ministerpräsidenten geltende Beleidigungen und Verunglimpfungen im Internet dürften nicht ungestraft bleiben, zeigte sich Elvan begeistert.

Auf Grundlage des Maulkorb-Gesetzes "zum Schutz der Privatsphäre von Personen" war kürzlich die Videoplattform Vimeo für 24 Stunden blockiert, weil in Videos Erdogans Sohn Bilal in Zusammenhang mit Korruptionsverdacht erwähnt wurde. Der 33-Jährige soll unter anderem an einem illegalen Grundstücksgeschäft in Istanbul beteiligt sein. Auch gegen dieses Gesetz hatte Gül Vorbehalte - erst als dieses entschärft wurde, setzte er seine Unterschrift darunter.

Erdogans angekündigter Coup gegen Facebook und Youtube soll verhindern, dass weitere kompromittierende Enthüllungen den Weg in die Öffentlichkeit finden. Im Internet waren in den vergangenen Wochen gleich mehrere Mitschnitte von mutmaßlichen Telefonaten Erdogans aufgetaucht, die ihn und sein Umfeld in ein schiefes Licht rücken. In einem von ihnen ruft Erdogan seinen Sohn Bilal auf, große Geldmengen vor Korruptionsermittlern in Sicherheit zu bringen.

Die Telefonate sollen dem Youtube-Mitschnitt zufolge am 17. Dezember vergangenen Jahres geführt worden sein. An dem Tag wurden bei Großrazzien zahlreiche Verdächtige aus dem Umfeld der Regierungspartei AKP unter Korruptionsverdacht festgenommen, darunter auch die Söhne von drei Ministern. Vier Minister mussten im Zuge der Affäre zurücktreten.

Laut einer weiteren Tonaufnahme fordert Erdogan von dem - inzwischen zurückgetretenen - Justizminister Haft für einen unliebsamen Medienvertreter, obwohl dieser von einem Gericht freigesprochen worden war. Ein anderes Mal setzt sich Erdogan dafür ein, dass die Auftragsvergabe für den Bau eines Kriegsschiffes geändert wird, weil der Bestbieter die Niederschlagung der Gezi-Proteste und anderer Demonstrationen öffentlich kritisierte.

Die Echtheit des Telefonats mit seinem Sohn dementiert Erdogan bis heute. Die Authentizität anderer Gespräche wie das über die Auftragsvergabe räumte er aber inzwischen ein.

Erdogan Nervosität wächst mit dem Näherrücken des Wahltermins 30. März. Zwar sagen Umfragen voraus, dass die AKP beim wichtigen Testlauf für die Präsidenten- und Parlamentswahlen erneut als stärkste Kraft hervorgehen wird, einige bisherige Hochburgen dürften aber fallen. Erdogan hat jedenfalls bereits angekündigt, im Falle einer Niederlage zurückzutreten.